Viel geklärt, ohne Klarheit zu schaffen

Von Petra Pau (MdB)

Neues Deutschland, 18.10.2002

Ich empfehle, für einen Moment die Binnenbrille abzunehmen und in den rauschenden Blätterwald nach dem PDS-Parteitag zu gucken. Allein die Schlagzeilen sprechen Bände. „Berliner Zeitung“: „Aufbruch in die Bedeutungslosigkeit“, „Die Welt“: „Fiasko der Reformer“, „Ostsee-Zeitung“: „PDS in neuer Krise“, „Taz“: „Ein Schritt nach vorn in den Abgrund“, „Frankfurter Rundschau“: „Unbrauchbar“. Sage bitte niemand leichtfertig, was ich gelegentlich auch höre: „Na klar, die bürgerlichen Medien …!“ Sie sind meinungsbildend, für linke Politik daher von Belang, und was nicht minder schwer wiegt: Sie haben zuweilen auch Recht.

Der Geraer Parteitag sollte, allemal nach der Wahlschlappe vom 22. September, ein Aufbruch-Signal senden, in die Partei und vor allem an die Gesellschaft. Unter dem Strich bleiben andere Botschaften: Die PDS war erneut mit sich selbst beschäftigt. Sie hat ein kulturloses Schauspiel geboten. Und sie blieb Antworten auf die wirklichen Probleme des Lebens schuldig. Peter Porsch wird danach zitiert: Die Partei sei zu sich zurückgekehrt. Gregor Gysi resigniert: Er wäre in fast allen Entscheidungen unterlegen gewesen. Gabi Zimmer resümiert: Offensichtlich gibt es in der PDS Partei-Flügel.

„Wir sind eine sozialistische Partei, keine kommunistische, keine sozialdemokratische“, las ich in einem Papier auf dem Parteitag. Das klingt gut. Aber was heißt das, programmatisch und praktisch? Seit Jahren plädiere ich dafür, dass die PDS für sich strategische Autonomie gewinnen muss. Nicht als Ersatz, sondern als Voraussetzung, um sich überhaupt auf andere Parteien beziehen zu können und kenntlich zu bleiben. Das gilt natürlich genauso gegenüber außerparlamentarischen Partnern: Kirchen, Gewerkschaften, attac. Die Flucht in einen kräftigen Oppositionsgestus ersetzt diese Denkarbeit nicht. Auch nicht die Beruhigungspille, an modernen Konzepten wäre kein Mangel. Mit dem Wegfall eines 200-köpfigen Bundestags-Teams verlor die PDS ein wichtiges Kompetenz-Zentrum. Das Gebot nach Gera besteht folglich weder darin, Siege zu feiern noch Mitarbeiter zu disziplinieren.

Vielmehr muss die Arbeit der gesamten Partei politisiert werden. Das war übrigens die Kernbotschaft des „Berliner“ Antrages. Er war auf dem Parteitag unterlegen. Sachlich widerlegt wurde er nicht. Das ist ein Teil des Problems. „Gera“ hat viel geklärt, ohne Klarheit zu schaffen.

Ich bleibe dabei: Der Kampf der Ideologien muss endlich einem Wettstreit um bessere Politik weichen. Das ist eine Überlebensfrage der PDS. Ob es gelingt, ist offen.

Davon wird übrigens auch abhängen, was Gesine Lötzsch und ich im Bundestag überhaupt leisten können. Unsere parlamentarischen Rechte sind dünn, die Arbeitsmöglichkeiten eng, die Ressourcen klein. Allein mit gutem Willen oder Fleiß lässt sich das nicht ausgleichen.

Die Themen sind gesetzt: die bevorstehende EU-Osterweiterung, die Gesundheitsreform und damit die Solidarsysteme generell, die anhaltende Arbeitslosigkeit in einer sich ändernden Welt und natürlich der Kampf um Frieden und Gerechtigkeit, weltweit. Ob die PDS dafür Überzeugendes bieten kann, entscheidet viel. Ohne innerparteiliche Tabu-Brüche, wird es nicht gelingen.

Hinzu kommt eine Binsenweisheit: Eine Partei, die sich selbst misstraut, kann nicht souverän wirken. Aktuell illustriert: PDS-Mitglieder in Regierungen gelten vielfach als aussätzige Stiefkinder. Und so werden sie auch behandelt. In Gera wurde unterstellt: „Bedingungslose Regierungsbeteiligung, bedingungsloses Tolerieren, Zustimmung um jeden Preis - das ist Opportunismus!“ Alle wussten, wem das galt, und viele jubelten befreit. Wovon?

Die PDS existiert in der politischen Bundesliga quasi nicht mehr. Wesentliche Säulen ihrer Infrastruktur werden abgewickelt. Für einflussreiche Medien wird sie uninteressant. Auch außerparlamentarisch schwinden die Kräfte. Hinzu kommt: Manchmal entwickeln auch politische Prozesse eine schwer kalkulierbare Eigendynamik. So wie in Goethes „Zauberlehrling“ die Geister, die man rief. „Das habe ich so nicht gewollt“, kommt immer zu spät. Deshalb denke ich heftig nach. Die PDS verfehlt 2004 das EU-Parlament, und sie verpasst auch 2006 den Einzug in den Bundestag. Das ist ein durchaus realistisches Szenario, fürchte ich. Das andere: Die PDS besinnt sich, sie nimmt Kurs auf eine zweite Erneuerung, sie öffnet sich und versucht das fast Unmögliche. Das Angebot vieler junger Leute dafür lag vor. Wagen wir es nicht, dann versagen wir nicht nur der PDS eine linke Zukunftschance.
 

 

 

18.10.2002
www.petra-pau.de

 

Seitenanfang

 

PDS: Reden & Erklärungen

 

Lesbares

 

Startseite