Gründungstreffen des Netzwerkes Reformlinke in und bei der PDS

Berlin, 16. Februar 2003
Rede von Petra Pau

I. Moderat oder Klartext?

1. Ich soll einen Impuls geben. Und so gebe ich erst mal zu: Meine ersten Stickpunkte waren sehr moderat gehalten.

Nur nichts über Gebühr zuspitzen, dachte ich. Die Lage ist ohnehin verquer und obendrein gelte ich inzwischen als Sarg-Sängerin. Ich würde mich - beleidigt - auf Kosten des Vorstandes profilieren, las ich mehrfach. „Zicken-Krieg in der PDS“, hieß es in der BILD-Zeitung.

2. Ich habe mich entschieden, dennoch Klartext zu reden. Weil grundlegende Konflikte sich nicht moderat händeln lassen.

Ein Beispiel:
Uns alle bewegt, ob und wie wir einen drohenden Welten-Brand verhindern können. Uns eint ein Nein zum Krieg im Allgemeinen und zum Irak-Krieg im Besonderen.

Aber während sich die einen um gesellschaftliche Mehrheiten mühen, forcieren andere ihren Privat-Krieg gegen die SPD.

Mit Kriegsbefürwortern, „ja, mit Kriegstreibern“, dürfe die PDS keine gemeinsame Sache machen, auch nicht auf Landesebene. Gemeint war die SPD. Das Ganze ist nachlesbarer als O-Ton von Bundesgeschäftsführer Uwe Hiksch.

Ich finde: Das ist strategischer Schwachsinn. Aber er ist leider ton-gebend, er spricht für die PDS und er lässt sich den Unsinn auch noch doppelt bezahlen.

II. Formel-Kompromisse und Programm-Debatte

1. Eine Zeitung hat orakelt, „Gera“ wäre das PDS-Unwort des Jahres. Ich wette, „Formel-Kompromiss“ hätte gleich gute Chancen. Auch der Umgang mit dem Wort trägt PDS-typische Züge.

Die einen nutzen es, um auf inhaltliche Defizite und auf gescheute Konflikte zu verweisen. Die anderen fühlen sich missverstanden oder gar angegriffen. Sie versuchen das Wort zu bannen, nicht das Problem.

2. Nehmen wir den folgenden Satz. Er wurde wiederholt beschworen und ebenso heftig beklatscht. Zuletzt in Gera:

„Wir sind eine sozialistische Partei, keine kommunistische und keine sozialdemokratische!“

Ein klassischer Formel-Kompromiss: Denn er versucht Mitglieder verschiedener Strömungen auf einen Nenner zu bringen. Und er unterlässt es zu klären, worin die neue Qualität dieses Sozialistischen besteht.

3. Dabei ist das eine programmatische Frage. Es ist eine Frage konkreter Politik. Und es ist eine Frage, von deren Antwort die Erkennbarkeit der PDS abhängt, unsere Unterscheidbarkeit von anderen Parteien.

Die PDS braucht eine strategische Autonomie. Davon reden wir seit Jahren, zuweilen sprechen wir auch darüber. Aber niemand kauft sie uns ab. Zu Recht, denn wir haben sie nicht.

III. PDS und Staat

1. Ich will das an einem weiteren Beispiel illustrieren. Es wurde bereits auf dem „Forum 2. Erneuerung“ erwähnt. Und es spielte in Berliner PDS-Debatten schon früher eine Rolle.

Welches Verhältnis haben wir zum und welches Verständnis haben wir vom Staat?
Bei allen Unterschieden: Für Kommunisten und für Sozialdemokraten war der Staat stets erstrebenswert, wenn nicht gar der Dreh- und Angelpunkt.

Wenn wir aber sozialistisch sein wollen, also weder kommunistisch, noch sozialdemokratisch, wie halten wir es dann mit dem Staat?

2. Als in Berlin mit Rot-Rot die Frage stand, Kitas aus öffentlicher Hand an Wohlfahrtsverbände und andere freie Träger zu übergeben, regte sich PDS-Protest.

Dahinter stand die These: Kitas sind wichtig, also müssen sie in Staates Hand bleiben.

3. Wolfgang Fritz Haug schrieb 1999: „Links ist alles Handeln, dass Welt aus dem Reich des Privateigentums zurückgewinnt, ohne sie dem Reich des Staatsapparats auszuliefern.“

Das ist eine andere Sicht.

4. Auch daher meine These: Wir haben nicht nur ein Politik-Defizit, wir haben im Grundsatz Nachholebedarf.

Und weil das so ist, finde ich: Die „Reform-Linke“ muss sich aktiv in die Programm-Debatte einmischen. Wir sollten Formel-Kompromisse nicht beklagen, sondern erhellen und beheben helfen.

IV. Reform-Linke und PDS

1. Zuweilen hat die PDS preußische Züge, zuweilen auch sächsische. Seit wir uns im November hier in Prenzlauer Berg getroffen haben und seit die Gründung einer „Reform-Linken“ durch die Medien geistert, gibt es immer wieder Empörung. Ganz so, wie weiland der König Sachsens angesichts frustrierter Bürger fragte: „Därfen die das überhaupt?!“

2. Ich höre solche Stimmen von verschiedenen Seiten: „Was fällt euch ein“, empörte sich ein bekanntes Mitglied der Kommunistischen Plattform, „ihr könnt doch keine Plattform bilden!“ Ich vernehme Ablehnung aus Vorstands-Kreisen, die sich miss-vorstanden wähnen, und von Basis-Gruppen, die einfach Verstehen wollen.

3. Die Reform-Linke will in der PDS für politische Mehrheiten werben, die uns als moderne, sozialistische Partei präferiert.
Das ist jedenfalls mein Anliegen.

4. Darin steckt natürlich ein Kontra. Ich lese, dass sich im Schöneberger Rathaus ein Geraer Kreis formiert hat.

Zu den Überlieferungen gehört:
Gysi und andere sollen aus der PDS gedrängt werden. Der Parteitag zu Gera wurde zur „Ideologie“ erhoben. Der Genosse „Zweifel“ war offenbar verhindert. Der Kamerad „Gewissheit“ hat ihn ersetzt.

Dieses arrogante Links-Sektierertum lehne ich ab. Zumal er nicht als Kinderkrankheit, sondern als Alters-Starrsinn daher kommt.

5. Wichtiger ist allerdings ein Pro. Wir wollen nicht konservieren, sondern aufbrechen. Wir wollen nicht diffamieren, sondern klären. Wir wollen uns nicht isolieren, sondern in die Gesellschaft hinein intervenieren.

Was einschließt: Wir müssen für uns werben.

IV. Vorschläge und Bremser

1. Nun habe ich vorgeschlagen, im Juni einen Parteitag durchzuführen, keinen Sonderparteitag, sondern eine Arbeitstagung.

Dafür sprechen verschiedene Gründe. Übergreifend ist die Chance, uns als PDS bundespolitisch zurück zu melden, noch dazu mit einem anstehenden und drückenden Thema. Ich meine Europa.

2. Die Idee kann gut sein, sie kann auch Macken haben. Sie war jedenfalls mit vielen abgestimmt und sie liegt dem Vorstand seit Wochen vor.

3. Meine Kritik bleibt: Das Gros der bundes-politischen PDS-Vorhaben ist nach Innen gerichtet und daher wenig geeignet, in die Gesellschaft hinein zu intervenieren.

Dazu gehört das Frauen-Plenum, dazu zählen die Regional-Konferenzen. Und auch der Programm-Parteitag wird kein bundespolitisches Signal setzen.
Ich finde ihn wichtig und überfällig. Aber medial wird er auf die Frage gestutzt werden: Welcher Flügel hat gewonnen?

4. Der Ausgang der Landtags-Wahlen in Hessen und Niedersachsen ist ein weiteres Argument für einen Arbeits-Parteitag der PDS.

Denn was zur Bundestags-Wahl noch kaschiert schien, hat jetzt doch die Bundesrepublik erreicht: Der europäische Rechtsruck. Dazu muss sich eine Links-Partei, wie die PDS, verständigen.

Und wir müssen uns doch ernsthaft - nicht polemisch - fragen: Warum ist das so?

5. Deshalb werbe ich weiter für einen Arbeits-Parteitag im Juni, also vor der Sommerpause. Noch ist es nicht zu spät, aber die Uhr läuft - gegen uns.

V. zum Begriff „Reform-Linke“

1. Ich will keinen Namens-Streit. Ich will übrigens auch keine lange Satzungs-Debatte. Ich will aber skizzieren, warum ich den Begriff „Reform-Linke“ akzeptabel finde.

Die Betonung „Reform“ bedeutet für mich, dass wir Reformen nicht als zwiespältiges Vorspiel einer großen Revolution tolerieren. Sondern als Anspruch, die kapital-dominierte Gesellschaft so zu reformieren, dass sie immer weniger kapital-dominiert wird.

2. Das „Links“ nehme ich als Herausforderung, nicht als Bestandsschutz.

Dazu noch mal ein Denksatz von Prof. Haug, der Marx bekanntlich nicht fallen lässt und gerade deshalb meint:

„Zu lernen ist die Dialektik der neuen Politikfelder. Was nach wohlerkämpften Kriterien politisch richtig scheint, ist unter den Bedingungen des transnationalen High-Tech-Kapitalismus vielleicht längst nicht mehr richtig politisch.
Vielleicht verdient am Ende so manche Auffassung, die man, weil sie es mal war, für links hält, nicht mehr dieses Attribut.“

Eine gute Frage, finde ich. Lasst uns nach aufmunterden Antworten suchen.

VI. zu Flügel-Theorien

1. Vor sechs Jahren gab es einen "Brief aus Berlin". Er war ein Diskussions-Angebot in die PDS und er war Bestandteil der Parteitags-Materialien, damals in Rostock.

2. Es hilft wenig, wenn ich daran erinnere: Die Probleme und Streitpunkte, die wir heute haben, waren vorgezeichnet.

3. Auch damals ging es um Flügel-Kämpfe. Sie wurden personalisiert. Sarah Wagenknecht auf der einen und André Brie auf der anderen Seite.

4. Wir haben damals geschrieben: „Einer Partei ohne handlungsfähiges Zentrum, das in der Lage und Willens ist, den Streit der Flügel produktiv aufzunehmen und aufzuheben, droht der Absturz.“

5. Wir sind abgestürzt und ein produktives Zentrum haben wir immer noch nicht. In Gera wurde ein Vorstand gewählt. Er wird - nachlesbar - von Flügel-Wölfen gefeiert.

Ich möchte, dass sich die Reform-Linke nicht als Flügel versteht, sondern wieder zum produktiven Zentrum wird. Wenn es gut gehen soll, dann mit dem Vorstand. Anderenfalls geht es weiter bergab. Das will ich nicht.

Deshalb sollten wir uns einmischen: praktisch, politisch, progressiv!

Zitate W. F. Haug aus: Politisch richtig oder richtig politisch, 1999
 

Information über das Gründungstreffen des „Netzwerkes Reformlinke“

 

 

16.2.2003
www.petra-pau.de

 

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