Kandidatur für das Direktmandat im Wahlkreis Mitte/Prenzlauer Berg zur Bundestagswahl 1998

Rede auf der PDS-Hauptversammlung Prenzlauer Berg
Berlin, 16. Mai 1998

Eine/r für alle und alle für eine/n.
Ich habe mich bereit erklärt, mit Euch um das Direktmandat im Wahlkreis Mitte/Prenzlauer Berg zu kämpfen.

Das ist mein Versprechen an Euch und ich bitte um Euer Versprechen, dass jede und jeder einen eigenen Beitrag dafür leistet.
Anders haben wir keine Chance.
Wir müssen unsere Stärken im Basiswahlkampf ausspielen.

Aber wir führen auch einen Medienwahlkampf. Denn der Wahlkreis Mitte/Prenzlauer Berg wird der medienträchtigste im gesamten Bundesgebiet sein.
Jeder gelungene Coup, aber auch jeder Fehltritt werden bundesweit registriert werden. Alles was wir tun oder lassen, kann Kameras locken oder Schlagzeilen machen.
Auch daran sollten wir in den kommenden fünf Monaten denken.
Vor allem sollten wir dies als Chance annehmen.

Weil das so ist, sage ich auch: Es ist richtig - unser Wahlkampf wird auf beide Bezirke, ja auf die vielfältigen Kieze und Mileus ausgerichtet sein. Er ist in gewissem Maße aber auch Trend setzend für die PDS insgesamt.

So wie unsere Genossinnen und Genossen in Sachsen-Anhalt nicht nur landespolitisch agiert haben, so geht unser Wahlkampf über Bezirksgrenzen hinaus.

Deshalb bitte ich alle direkt und indirekt Beteiligten: Wir brauchen weder Abgehobenheit noch Engstirnigkeit. Was wir brauchen ist der Geist der legendären Musketiere: „Eine/r für alle und alle für eine/n!“

Chance ja, aber keine Garantie.
Ich möchte uns allen auch nochmal die Ausgangslage in Erinnerung rufen. 1994 gewann die PDS im Wahlkreis Mitte/Prenzlauer Berg 1 Prozent mehr Zweitstimmen als die SPD und Stefan Heym knapp 4 1/2 Tausend Erststimmen mehr als Wolfgang Thierse. Das Plus für uns kam wesentlich aus Mitte, denn in Prenzlauer Berg hatten die SPD und Thierse die Nase vorn.

Ihr kennt die Zahlen. Seither hat sich viel verändert im Bezirk, nicht zuletzt die Wählerschaft.
Kurzum: Auch wenn die 95er Wahlen für uns sprachen - es gibt für uns keinerlei Garantien. Aber wir haben alle Chancen, wenn wir um jede Stimme kämpfen. Ich bin dazu bereit.

Wer PDS wählt, wählt PDS Wir haben politische Inhalte zu bieten - und vor allem: Wir sind niemandens Kopie und auch niemandens Anhängsel.

Wir sind die Partei des „neuen, eines selbstbewußten Ostens“, mit bundespolitischen Ansprüchen.

Nicht Ostalgie ist unser Programm, nicht nationalistischer Wahn, nicht Angepaßtheit und nicht „Weiter so“.

Wir sind die einzige Partei, die sich nicht schämt, sondern „hier“ ruft, wenn vom demokratischen Sozialismus die Rede ist.
Und demokratischer Sozialismus ist kein Regional-Konzept. Gerade deshalb sind wir auch die sichersten Garanten für den überfälligen Politikwechsel auf Bundesebene.

Übrigens: Wenn Trittin meint, wer PDS wählt, wählt Kohl, und wenn Thierse meint, PDS-Stimmen würden im Westen nicht verstanden, dann kann ich beiden nur sagen: Tauscht eure Westbrille endlich gegen eine gesamtdeutsche ein!

Und wenn Kanzlerkandidat Schröder signalisiert, er wolle vor allem eines - Regieren - notfalls mit jedem, nur nicht mit der PDS, dann kann ich nur sagen:
Wir wollen nicht Regieren,
wir wollen verändern,
wir wollen eine andere Politik,
wir wollen eine gerechte Republik.

Außerdem. Was bedeutet denn Schröders Abgrenzung nach links? Doch nichts anderes, als: Wer linke Politik will, der muss halt PDS wählen.
Das sollten wir auch jenen sagen, die im „neuen Osten“ ein Zuhause gesucht und gefunden haben.

Wer A sagt, sollte auch B sagen, wer ein alternativer Prenzlauer Berger werden will, der muss auch PDS wählen. Denn den Rest hätten sie überall haben können.

PDS, die kluge Alternative.
Zwei Anmerkungen zur Sachsen-Anhalt-Wahl.
Ohne PDS müßte Ministerpräsident Höppner jetzt der CDU zu Füßen knien. Eines Tages wird man das hoffentlich auch in der Bonner SPD-Baracke begreifen. Ob und wann der Berliner SPD dieses Licht aufgeht, ist hoffentlich nur noch eine Frage der Zeit.
Und zweitens bleibt es dabei und das müssen wir auch deutlich machen: Jede Stimme für die PDS ist ein Protest gegen die herrschenden Verhältnisse.
Der Unterschied zu braunen Parolen-Klebern ist: Jede PDS-Stimme ist eine kluge und vor allem menschliche.

Mit dem Rostocker Wahlprogramm und dem Rostocker Manifest haben wir Alternativen und Konzepte verabschiedet, die vor allem Zweierlei belegen:

Erstens: Im Mittelpunkt steht die alle bewegende Frage, die soziale Frage und die Beseitigung der nicht länger hinnehmbaren Massenarbeitslosigkeit.

Zweitens: Wir reden nicht nur vom Politikwechsel, sondern wir sagen auch klipp und klar, was wir damit meinen:
-Der gesellschaftliche Reichtum ist umzuverteilen, und zwar von oben nach unten.
-Demokratie muß wieder etwas mit dem Volk zu tun haben, und zwar nicht nur am Wahltag.
-Politik muß eingreifen wo der Markt blind ist, und darf nicht durch militärisches Säbelrasseln ersetzt werden.
Es gibt hierzulande zwei Parteien, die für grundlegende Veränderungen stehen.

Die CDU, deren Programm heißt: Weitere Umverteilung von unten nach oben.
Und die PDS, die sagt: Wer über Armut spricht, muß über Reichtum reden und Reichtum ist teilbar.

Die CDU, deren Programm heißt: Auslese und Ausgrenzung.
Und die PDS, die sagt: Sozial und solidarisch mit allen.

Die CDU, deren Programm sagt: Berlin den Eliten und Palästen.
Und die PDS, die sagt: Für eine Stadt der Menschen nicht der Macht.

Das markante an dieser Konstellation ist, daß wir uns in voller Übereinstimmung mit dem Grundgesetz befinden.

Euro, so nicht.
Übrigens auch mit unserem „Euro so nicht!“ Denn im Grundgesetz steht nicht: Alle Macht geht von den Banken aus, sondern da ist vom Volke die Rede.

Die Entscheidung über den Euro ist aber durch ein paar hundert Berufspolitiker gefällt worden, mit der kaum verhohlenen Botschaft, sie seien das Volk und wüßten daher am besten, was dem Volke gut tut.

Wir haben eine Volksabstimmung gefordert, nicht weil wir gegen ein vereintes Europa sind, auch nicht weil wir die dumpf-nationalistische DM-Binde tragen, sondern weil wir aus der Geschichte lernen.
Also nehmen wir unser Wahlprogramm, unterziehen wir uns der Mühe, es in verständliche Worte zu bringen und sagen wir den Unentschlossenen: Laßt Euch nicht einlullen - es gibt Alternativen!

Marx oder Ver-Eppelmann?
Und lasst mich auch das sagen: Es gibt keinen Grund das Stückchen Marx, das viele von uns noch im Bücherschrank oder im Kopf haben, zu verstecken.

Was wir derzeit an Umbrüchen in der Arbeitswelt und damit in der Gesellschaft insgesamt erleben, hat uns der Alte schon vor 150 Jahren prophezeit:
Mit der Entwicklung von Wissenschaft und Technik, mit zunehmender Rationalisierung und Automatisierung „tritt der Mensch neben die Maschine“, tritt er aus dem Produktionsprozess heraus.
Für Marx eine Quelle des Reichtums, die dann sprudelt.
Die alte und neue Frage ist nur: Was macht der Mensch, daneben stehend? Und wem dient der zunehmende Reichtum?

Einer meiner Konkurrenten, Günter Nooke, gab auf einer Wahlkampfveranstaltung seine Antwort.
Vollbeschäftigung? Ja, das bleibe sein Ziel.
Und der Weg? Dienstleistungen müßten endlich geschätzt werden. Auch Schuhputzen und Rikscha-Fahren seien schließlich ehrenwerte Berufe - Schließlich: Ronald Reagen und Margith Thatcher sind seine Vorbilder.

Merke: Es gibt Wege, Kohl rechts zu überholen.
Und: Wer - wie Nooke - als Bürgerrechtler startet, um in der CDU landet, der ist ein Ver-Eppelmann.

Gern füge ich zum Thema Bürgerrechtler hinzu: Ohne linke DDR-Oppositionelle, wie Marion Seelig, wäre die PDS nicht das, was ihr in einem taz-Artikel bescheinigt wurde: Sie ist auf dem Weg zu einer linken, sozialistischen Bürgerrechtspartei.

Lasst uns auch dies im Wahlkampf deutlich machen, wohl wissend oder gerade, weil Themen, wie Ausländerpolitik, MigrantInnen oder innere Sicherheit, von der CDU benutzt werden, um letztlich Bürgerrechte abzubauen.

Ich kann gut damit leben, dass die Verteidigung der Demokratie und von Menschenrechten heute bei der PDS beheimatet sind.
Oder hat jemand von Euch gehört, daß Wolfgang Thierse beim Euro gerufen hat: Nein - mehr Demokratie wagen?
Oder hat ihn jemand rufen hören: Nein - Hände weg vom großen Lauschangriff?
Oder hat ihn jemand rufen gehört: Nein, SPD-Genossen, haltet inne und lehnt den PDS-Vorschlag gegen das Renten-Unrecht-Ost nicht ab?

Ich habe nichts dergleichen vernommen, und vom großen Lauschangriff abgesehen, auch nichts von Bündnis 90/Die Grünen.

Guildo und die Erstwähler.
Gregor Gysi schloß auf dem Rostocker Parteitag mit dem Mutmacher: Wenn Guildo Horn zum Renner werden kann, dann die PDS erst recht!

Mein erster Gedanke war: Was hat Gregor mit Guildo im Sinn?
Welcher Platz auf der offenen Liste ist noch frei? Und wie paßt Guildos Botschaft zur PDS? Wir wollen doch weder Piep-Shows, noch alle lieb haben, im Gegenteil!
Natürlich, ein Scherz, aber ich komme auf Guildo aus einem anderen Grund.
Wenn wir um jede Stimme kämpfen wollen, dann müssen wir uns auch was einfallen lassen.

Unsere jungen Genossen haben vor Wochenfrist zur Guildo-Horn-Party geladen. Der Aufwand war gering - das Ergebnis ein Merkposten: Bis zu 150 Leute drängelten sich in den Abendstunden vor unserem Wahlkreis-Büro, wegen des Gaudis, aber bei der PDS.

Wir müssen unsere potentiellen Wählerinnen und Wähler da abholen, wo ihre Interessen liegen.

Papier, auch Wahlpapiere, sind geduldig. Und alle Erfahrungen belegen: Zuviel zerreißt den Sack, letztlich den Müllsack.

Und Basisverammlungen sind Basisverammlungen, wichtig, aber nicht wahlentscheidend. Wir wissen alle:
Wer im Wahlkampf unter sich bleibt, bleibt es auch in der Wahlkabine.
Wenn wir Erfolg haben wollen, dann müssen wir vor allem an jene ran, die nicht zu uns kommen - aus welchen Gründen auch immer.
Also macht eine PDS-Party zur Fußball-Weltmeisterschaft - ich werde dabei sein?
Lasst uns in der Oderberger Straße ein Internet-Café eröffnen und zu einem wichtigen Zukunftsthema eine PDS-typische Antwort geben.

Denn so richtig es ist, dass die Computer-Welt immer mehr Sphären der Gesellschaft dominiert, so richtig ist auch, daß eine weitere Zwei-Klassengesellschaft droht.
Hier jene, die sich die neue Technik leisten und mit ihr umgehen können. Dort jene, die bereits Heute vom Morgen ausgegrenzt werden.

Denn Ideen und der Mitarbeit sind keine Grenzen gesetzt, abgesehen von finanziellen und von der bekannten Weisheit: „Man, der Vorstand oder wer auch immer, müßte“, löst nichts.

Ich jedenfalls lade alle, die vor Ideen sprühen, herzlich zum 24. Mai 98, 11 Uhr, in die Oderberger-Straße zum „Ideen-Früh-Schoppen“ ein.

Lasst uns - auch mit ungewöhnlichen Maßnahmen - einen Wahlkampf hinlegen, an dem weder die Medien noch die Prenzlauer Berger vorbeikommen.
Auch und vor allem die Erstwählerinnen und Erstwähler nicht!
Denn das ist die dritte Botschaft von Sachsen-Anhalt.

Wenn wir das gemeinsam hinkriegen, dann kann am 27. September wahr werden, was Micha van der Meer prophezeit hat.
Denn die Internet-Adresse, die er für unseren Wahlkampf eingerichtet hat, trägt den optimistischen-provokanten Namen, den ich gern als Botschaft unserer Beratung hätte: „PDS holt 249!“
 

 

 

16.5.1998
www.petrapau.de

 

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