Berliner PDS bleibt „Beobachtungsobjekt“

in: Pressedienst Nr.18, Jahrgang 1997

Am 23. April 1997 referierte Berlins Innensenator Schönbohm (CDU) dem Ausschuss für Verfassungsschutz im Berliner Abgeordnetenhaus seine Erkenntnisse über die Berliner PDS. Fazit des Innensenators: „Zwar bietet auch der gesamte Berliner Landesverband der PDS eindeutige tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen... Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit wird der Landesverband aber gegenwärtig nicht als Beobachtungsobjekt eingestuft.“ Die Observierung der „Kommunistischen Plattform“, der „Arbeitsgemeinschaft Junge Genossinnen in und bei der PDS“, der Arbeitsgemeinschaft „Autonome Gruppen in und bei der PDS“, der „Kommunistischen Arbeitsgemeinschaft in und bei der PDS“, des „Forum West“ und der „Bezirksorganisation Kreuzberg der PDS“ werde fortgesetzt. Binnen Jahresfrist, so der Innensenator, wolle er erneut prüfen, „ob die PDS endlich in der Bundesrepublik angekommen ist“ oder der „gesamte Berliner Landesverband als Beobachtungsobjekt“ einzustufen ist. Unmittelbar danach erklärte die Landesvorsitzende der Berliner PDS, Petra Pau, u. a. folgendes:

Keine Belege für verfassungsfeindliche Bestrebungen

Belege dafür, dass Gliederungen der PDS verfassungsfeindliche Ziele verfolgen, konnte Innensenator Schönbohm erneut und aus erklärlichen Gründen nicht anführen. Im Gegenteil, Herr Schönbohm brüskierte die zuständigen Parlamentarier mit der abschließenden Feststellung: Er habe entschieden, „dem Ausschuss für Verfassungsschutz den mir zur Vorbereitung meiner Entscheidung vom Landesamt für Verfassungsschutz vorgelegten Bericht nicht zur Verfügung zu stellen“. Auch dies erhärtet unsere Auffassung, dass das Landesamt für Verfassungsschutz für parteipolitische Interessen der CDU gebraucht wird.

Berliner Senator observiert Bundes - PDS

Die innere Logik geheimdienstlicher Tätigkeit schließt aus, dass nur einzelne Gruppierungen, nicht aber der gesamte PDS-Landesverband, wie von Innensenator Schönbohm suggeriert, Objekt der Begierde ist. Da in Berlin zudem der Parteivorstand und die Bundesgeschäftsstelle der PDS beheimatet sind, gehe ich weiterhin davon aus, dass die gesamte PDS im Verfassungsschutzvisier ist. Zudem hat Innensenator Schönbohm erstmals zugegeben, dass die von ihm benannten PDS-Gruppierungen nicht nur offen beobachtet, sondern mit geheimdienstlichen Mitteln bearbeitet werden.

Schönbohm folgt „Rügener Erklärung“

Die Entscheidung des Innensenators kommt für mich nicht überraschend. Sie entspricht der Beschlusslage der CDU. So behauptet beispielsweise die Berliner CDU-Fraktion in ihrer „Rügener Erklärung“ vom 19. April 1997: „Nach eigenem Bekunden will die PDS die Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland überwinden - notfalls auch unter Inkaufnahme gewaltsamer Veränderungen.“ Diesem, aus der Luft gegriffenem Wunschbild seiner Partei von der PDS fühlt sich Innensenator Schönbohm offensichtlich mehr verpflichtet, als der Wahrheit, was für mich ein beredtes Zeugnis über die Amtsauffassung des Innensenators ist.

Politisches Kalkül statt Amtseid

Mit gleicher Aufmerksamkeit habe ich die Einschätzungen zur Kenntnis genommen, die Innensenator Schönbohm im Vorfeld seiner heutigen Erklärung öffentlich gemacht hat. So schrieb die Berliner Morgenpost am 20. April 1997 unter Berufung auf den CDU-Politiker: Innensenator Schönbohm habe sich - Zitat - „politisch“ entschieden. Mit anderen Worten, der unter Amtseid stehende Innensenator hat nicht nach Recht und Gesetz, sondern nach politischem Kalkül gehandelt. Geradezu zynisch ist seine Begründung, warum er (noch) nicht den gesamten Landesverband überwachen lasse. Dies könnte, so Innensenator Schönbohm wörtlich, einen „Solidarisierungseffekt mit der PDS“ bewirken, und „unter Umständen in Verbindung mit der allgemeinen Unzufriedenheit über die Arbeitslosigkeit, die Einsparungen im sozialen Bereich und dem subjektiven Gefühl der Ausgrenzung zu einer weiteren Radikalisierung und Polarisierung“ führen. Wer, frage ich, trägt denn für die wachsende Massenarbeitslosigkeit, den fortschreitenden Sozialabbau und zunehmende Ausgrenzung die Hauptverantwortung, wenn nicht die Partei des Herrn Schönbohm?

PDS verleumden - SPD entmündigen

Der Versuch, die PDS zu kriminalisieren und sie - wider besseres Wissen - permanent des Verfassungsbruchs zu bezichtigen, ist Bestandteil der Wahlkampfstrategie der CDU. Ohne die gezielt betriebene Verteufelung der PDS wäre jedwede Rote- Socken- Kampagne der CDU haltlos. Alle Erfahrungen zeigen, dass derartige „Rote- Socken- Kampagnen“ darauf zielen, insbesondere die SPD zu entmündigen, um den Machterhalt der CDU zu sichern. Warum ein Sprecher der SPD-Fraktion im Verfassungsschutzausschuss angesichts dessen die Entscheidung des Innensenators ausdrücklich begrüßte, gehört zu den ewigen Geheimnissen, durch die sich die Berliner SPD hinlänglich auszeichnet. „Rote- Socken- Kampagnen“ haben - gerade in Berlin - außerdem zur Folge, dass der deutsch-deutsche Einigungsprozess erschwert und die Stadt gespalten wird. Senator Schönbohm nimmt dies nicht nur billigend in Kauf, sondern trägt dafür eigene Verantwortung. Somit erweist sich Herr Schönbohm zunehmend als eine gefährliche Hypothek für die Stadt.

„Verfassungsschutz“ auflösen

Versuche, politische Konkurrenten mit geheimdienstlichen Mitteln zu diskreditieren und einzuschüchtern, sind weder neu noch erfolgreich. Dafür spricht das Ende der DDR, nebst zahlreicher Akten des MfS. Das belegen aber auch Westberliner Versuche, die Alternative Liste durch V-Leute des sogenannten Verfassungsschutzes zu unterwandern und zu kriminalisieren. So wurde Ende der 80er Jahre offenbar, dass selbst Mitglieder des parlamentarischen Ausschusses für Verfassungsschutz vom Verfassungsschutz observiert wurden. Auch damals diente das Landesamt für Verfassungsschutz der CDU-Regierung als ein willkommenes Werkzeug.

Ich verweise darauf, dass wir es heute de facto mit demselben Tatbestand zu tun haben, diesmal bezogen auf die PDS. Damit ist ein weiteres Mal belegt, dass Geheimdienste aller Art demokratisch nicht kontrollierbar und damit auch nicht legitimierbar sind. Die PDS bleibt bei ihrer Forderung, das Landesamt für Verfassungsschutz auf- und den CDU-Senat alsbald abzulösen.

Einfallslose Wiederholungen

Es gibt eine weitere Parallele zwischen dem Agieren der CDU in den 80er Jahren und jetzt. So mahnte der damaligen CDU-Generalsekretär Heiner Geißler den SPD-Vorsitzenden Jochen Vogel dringend, zur Alternativen Liste auf Distanz zu gehen. In diesem Brief vom Februar 1989 finden sich pikanterweise dieselben Vokabeln und Unterstellungen gegenüber der Alternativen Liste, wie sie heute auf die PDS angewandt werden. Da war ebenfalls von „größter Besorgnis“ die Rede. Die AL befürworte Gewalt, wolle die Räterepublik, ruiniere die Wirtschaft und führe in die Staatspleite, hieß es. Schließlich fehlte auch nicht die stereotype Order: „Es ist Aufgabe aller demokratischen Kräfte, links wie rechtsradikale Strömungen und Gruppierungen entschlossen zu bekämpfen...“

(Weitere Materialien zum Thema „Beobachtung oppositioneller Gruppen und Parteien durch das LAfV 1980 - 1996“ sowie „PDS und Verfassungsschutz“ können in der Geschäftsstelle der Berliner PDS nachgefragt werden)
 

 

 

1997
www.petra-pau.de

 

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