Alternativen sind machbar

Aus der Rede von Petra Pau auf dem PDS-Landesparteitag Berlin

in: Pressedienst 25, Jahrgang 1997

... Die große Berliner Koalition - die Spatzen pfeifen es von allen Dächern - ist mit ihrem Latein längst am Ende. Der Ton untereinander wird rauer und das Klima frostiger. Aber auch die Bonner Regierungsparteien geraten zunehmend in unsicheres Fahrwasser. Im Steuer- und Haushaltsstreit hat sich Theo Waigel nicht nur mit der F.D.P., sondern auch mit der Bundesbank angelegt und für Verunsicherung im Ausland gesorgt. Ein seltenes Schauspiel, das zuletzt 1990 aufgeführt wurde, als es um den Anschluss der DDR ging. Damals konnte sich das Kohl-Kabinett noch aus dem Stimmungstief erheben. Selbst 1994 schien es vielen noch das kleinere Übel zu sein. Nunmehr aber neigt sich eine 15jährige CDU/CSU-Ära ihrem Ende zu. Jedenfalls sind die Chancen auf einen - wie auch immer gearteten - Wechsel hoch wie lange nicht.
Kurzum: Ich möchte Euch ermutigen, einen Parteitag durchzuführen, dessen politisches Signal heißt: Das Land braucht Alternativen, und es gibt Alternativen. Eine unverzichtbare Alternative heißt: Partei des Demokratischen Sozialismus. (...) Ich möchte zu vier Punkten einige Anmerkungen machen.

Europa ist ein linkes Thema

1. Ein wesentliches Thema der kommenden Monate wird die Einführung des „Euro“ sein. Schon heute bestimmt der „Euro“ unzählige Debatten: im Bundestag, in den Medien und an Stammtischen. Entsprechend eifrig sind die Beschwichtigungs- und offiziellen Beteuerungsversuche, der Euro werde „hart wie die D-Mark“ sein.
Übrigens hat eine Berliner emnid-Umfrage vom April ergeben, dass die größten Bedenken gegen den „Euro“ aus der SPD kommen. Hingegen sprachen sich knappe Mehrheiten aus dem CDU-, bündnisgrünen und PDS- Umfeld seinerzeit für den Euro aus - vorausgesetzt, er ist „hart“.
Das heißt: Nicht nur die SPD, auch wir haben ein innerparteiliches Problem, stellt man unsere Beschlusslage und die erfragten Meinungen gegenüber. Die Sorgen, dass die Einführung des Euro´s zu Kaufkraftverlusten führen könnte, sollten wir nicht unterschätzen. Unser „Nein zu diesem Euro“ greift aber weiter. Unsere Hauptkritik ist politischer Natur. Sie besteht erstens darin, dass West- oder Kern-Europa über Bankkriterien vereint werden soll, ohne zugleich politische, soziale, ökologische und demokratische Standards festzuschreiben.
Sie besteht zweitens darin, dass Euro-Europa ohne direkte Mitsprache der Europäerinnen und Europäer geschaffen werden soll. Deshalb unsere Forderungen: Die Währungsunion muss durch eine verbindliche Sozialunion ergänzt werden. Und die Bevölkerung muss über die Einführung des Euro selbst entscheiden können.
Wir meinen, die sichersten Stabilitätskriterien für ein vereinigtes Europa lauten nicht 3 oder 3,x % Verschuldung. Die nachhaltigsten Stabilitätskriterien sind eine deutliche Verringerung der Massenarbeitslosigkeit und die demokratische Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger. Das ist der PDS-Punkt! (...)
Die PDS hat sich immer und grundsätzlich für ein Europa ausgesprochen, in dem nationalstaatliches Gegeneinander durch ein sozial- und ökologisch- engagiertes Miteinander ersetzt wird. Gerade dadurch unterscheiden wir uns ja auch prinzipiell von rechten Parteien. (…)
„Europa“ ist ein uraltes linkes Thema. Und der Euro ist ein politisches Thema. Es ist doch offensichtlich, wie sich gerade die offizielle Bundesrepublik um alles herumwindet, was ernsthaft nach Beschäftigungspolitik riecht. Und es ist doch exemplarisch, wie die Regierung, aber auch die SPD, mit fadenscheinigen Gründen versuchen, eine Volksabstimmung zu verhindern.
Was, bitte, ist das für ein Argument, wenn die CDU sagt, so etwas sei im Grundgesetz nicht vorgesehen. Waren denn Auslandseinsätze der Bundeswehr vorgesehen? Was, bitte, ist das für ein Argument, wenn die SPD meint, für eine Volksabstimmung sei es zu spät? Waren denn die Schlafeinsätze der SPD im Bundestag zeitgemäß? Also: Überlassen wir es nicht länger den Sparkommissaren und Prozentfeilschern, die Europa-Diskussion zu führen.

Es geht um Alternativen statt Variationen

2. Vergangenen Montag wurde im Parteivorstand eine überarbeitete Wahlstrategie der PDS verabschiedet. (...)
Der Landesvorstand hat sich mit eigenen Änderungsvorschlägen an der Diskussion beteiligt. Diese sind zu großen Teilen in die Endfassung der Wahlstrategie eingeflossen. Ich möchte hier nur zwei wesentliche Gründe nennen, warum wir auf Korrekturen gedrängt haben. Zum einen hatten wir ernsthafte Bedenken, wenn geschrieben stand: „Es geht um einen Regierungswechsel als wichtigste Voraussetzung für einen Politikwechsel.“ Wir meinen andersherum: Weil wir für einen Politikwechsel sind, sind wir selbstverständlich für einen Regierungswechsel. Nur: Ohne außerparlamentarischen Aufbruch wird ein Politikwechsel nicht zu erwarten sein... Mit einem Kanzler namens Schröder wahrscheinlich noch weniger, als mit Oscar Lafontaine. Auch deshalb hielten wir es für falsch, die Kanzlerfrage in den Vordergrund des PDS-Wahlkampfes zu stellen.
Womit ich bei einem zweiten Problem wäre. Wahlkampf lebt auch von Vereinfachungen. Nur eine Vereinfachung sollten wir nicht mit tragen: Die Vorstellung, der neoliberale Zeitgeist bewege sich entlang von Parteigrenzen. Neoliberale Vorstellungen gibt es auch innerhalb der SPD, es gibt sie bei den Grünen, auch PDS-Wähler soll es geben, die in der einen oder anderen Frage neoliberal denken. Wenn dem aber so ist, dann nützt es auch wenig, CDU/ CSU/FDP auf der einen Seite zu denken und Rosa- rot- grün auf der anderen Seite schönzuträumen. (...) Worum es im PDS-Wahlkampf gehen muss, sind Alternativen zur - statt Variationen von neoliberaler Politik, sind Inhalte - statt Konstellationen. (...)
Aber auch in Berlin sollten wir bei allem Koalitionsdonner realistisch bleiben. Die große Koalition muss weg, besser heute als übermorgen, dabei bleibt es. Allerdings sind wir gut beraten, auch hier nicht nur in Lagern zu denken, die es so nicht gibt. Vergessen wir nicht: Das Metropolenkonzept, mit dem die große Koalition hier angetreten war, ist im Kern ein neoliberales Projekt. Es war der Versuch, den „Standort Berlin“ gegen andere weltmarktfähig zu gestalten. Es ist - wirtschafts- und stadtentwicklungspolitisch - ein Konzept weitgehend ungebändigter Konkurrenz (des Eigentums).
Und es läuft zwangsläufig auf eine Neuaufteilung der Stadt hinaus - wie zu erleben ist. Dies lässt sich im Großen wie im Detail ablesen. (...)
Deshalb kann ich nur wiederholen: Es geht nicht nur um eine andere Haushaltspolitik, die mit mehr oder weniger Geld dieselben Ziele verfolgt, wie vordem. Es geht um eine andere Stadtvision. Vor diesem Hintergrund bitte ich Euch auch die Anträge zu diskutieren, die Euch zur Polizeireform oder zu „Bürgerrechten und öffentliche Sicherheit“ vorliegen. Auch dies sind originär linke Themen, die nicht länger konservativ besetzt bleiben dürfen. Mit den Positionen zum Staat, wie sie im Leitantrag „Bürgerrechte und öffentliche Sicherheit in Berlin“ enthalten sind, distanzieren wir uns aber nicht nur von der Politik-Ersatz-Polizei der CDU.
Wir grenzen uns zugleich deutlich von dem Staats- und Sicherheitsverständnis ab, wie es in der DDR vorherrschte.
Der Leitantrag und die Debatte zu ihm stellen somit auch einen weiteren Schritt zum Thema „Geschichtsaufarbeitung“ dar. Und - ihr habt es gelesen - der Antrag enthält auch Positionen zur Gewaltfrage und zum Gewaltmonopol des Staates. (...)

Das Ende der Fahnenstange ist erreicht

3. Die 6. Tagung unseres Parteitages hatte im Dezember beschlossen, ein reformpolitisches Sofortprogramm der PDS zu erarbeiten. Es bleibt unser Ziel, nach der Sommerpause dieses Programm öffentlich zur Diskussion zu stellen und damit reale Alternativen zur ruinösen Politik der großen Koalition aufzuzeigen. Dabei lassen wir uns von folgenden Prämissen leiten:
Erstens kommt keine politische Kraft umhin, das milliardenschwere Haushaltsdefizit zur Kenntnis zu nehmen und in Rechnung zu stellen. Im Gegenteil - je länger eine Politik betrieben wird, die in Größenordnungen mehr ausgibt, als überhaupt zur Verfügung steht, desto mehr tendieren die politischen Spielräume Berlins gegen Null. (...)
Deshalb brauchen wir ein „Notprogramm“, das nicht eine sozialistische Hauptstadt in einer sozialistischen Bundesrepublik im Blick hat, sondern überfällige und machbare Weichenstellungen für eine politische Wende aufzeigt. Nicht mehr, aber auch keinen Deut weniger. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich rede hier nicht über die Regierungsfähigkeit der PDS, sondern über unsere Politikfähigkeit als gesellschaftliche Opposition.
Die Autoren des reformpolitischen Sofortprogramms lassen sich von einer zweiten Prämisse leiten: Alternativen zur Politik der großen Koalition müssen darauf zielen, Berlin sozialer, demokratischer, ökologischer zu gestalten, Arbeitsplätze zu schaffen, statt Arbeitslosigkeit zu verwalten. Mit anderen Worten: Wenn wir soziale Standards setzen und sichern wollen, dann ist das eine doppelte Herausforderung. Das Haushaltsdefizit muss abgebaut und zugleich muss umverteilt werden. Deshalb haben wir uns zuerst jenen Politikfeldern zugewandt, wo Geld zu holen wäre. Ich möchte das an zwei Beispielen aus unterschiedlichen Bereichen deutlich machen, weil damit auch die Falschheit der großen Koalition deutlich wird. Wenn wir sagen: Schluss mit der Leerstandsproduktion von Wohnraum über den 2. Förderweg auf der grünen Wiese, wenn wir statt dessen fordern, Sanierung und Modernisierung von erschlossenem Wohnraum in der Innenstadt, dann ist das erheblich billiger, dann schafft das zusätzlich Arbeitsplätze und dann können am Ende Mieten stehen, die sozialer sind.
Wenn wir fordern, Ausländer und Asylsuchende nicht in Heimen, sondern in Wohnungen unterzubringen, dann ist das nachweislich erheblich billiger, dann ist das sozialer und es ist menschlicher. Mit unserem reformpolitischen Sofortprogramm wollen wir zugleich deutlich machen, wo das Ende der Fahnenstange erreicht ist: nämlich im Sozialen und bei den Bezirken. Und es gibt eine dritte Prämisse, die dem Entwurf zu Grunde liegt. Wir meinen: Es gibt keine konfliktfreien Alternativen. Jeder, der eine politische Wende will, wird sich entscheiden müssen, wessen Interessen er gegen welche Besitzstände favorisiert. Gerade darin aber liegt auch eine große Chance für die. PDS. Denn im Gegensatz zur westgeprägten CDU oder SPD haben wir keine Pfründe zu verteidigen. Ich mache aber auch darauf aufmerksam: Nicht alles, was im reformpolitischen Sofortprogramm vorgeschlagen wird, ist Allgemeingut der PDS. Wir nehmen uns also auch einen innerparteilichen Klärungsprozess vor. (...)

Wir sind gegen Wahl- Alleingänge

4. Ich offenbare kein parteiinternes Geheimnis, wenn ich an zahlreiche Konflikte erinnere, die sich in den zurückliegenden Monaten zeigten. Da war der Konflikt zwischen Teilen der Fraktion und dem Bürgermeister in Marzahn. Durchaus ernst zu nehmende Debatten gab und gibt es im Nord- Ost- Wahlkreis und seinem
PDS- Vertreter im Bundestag. In Friedrichshain gründeten ehemalige PDS-Verordnete eine neue Fraktion. Auch anderswo zeigten sich Probleme im Umgang miteinander und mit Widersprüchen, zuletzt in Mitte. Dies zu verwischen, bringt wenig. Zumal ich überzeugt bin, dass unsere inneren Konflikte eher zu- als abnehmen werden. Zumindest drei Gründe scheinen mir dafür zu sprechen: Zum einen ist die PDS eine Partei, die ein breites Spektrum an Interessen und (Lebens-)Erfahrungen umspannt. Meinen wir es ernst mit der Mitgliederwerbung, wird sich dieses Spektrum kaum verengen, im Gegenteil.
Zum zweiten werden wir uns zunehmend im Spannungsfeld zwischen Vision und Realpolitik bewähren müssen. Das ist nicht neu, die Bezirke wissen ein Lied davon zu singen. Wir sollten aber auch auf landespolitischer Ebene keine Illusionen hegen. Alternativen sind nicht am Haushaltsloch vorbeizumogeln. Sie führen entweder heraus oder wir fallen hinein. Drittens - und das hängt damit zusammen - wird die Wahlkonstellation 1998/99 komplizierter sein, als jene 1994/95.
Aber auch in den Bezirken werden wir vor neuen Fragen stehen. Ich erinnere nur an den Wegfall der 5-Prozent-Hürde. Für den Westteil der Stadt heißt das unter anderem: Wer zu den BVV-Wahlen kandidiert, muss damit rechnen, gewählt zu werden. Für die Ostbezirke heißt das unter anderem: Die mehr oder weniger gewohnten Mehrheitsverhältnisse werden so nicht wieder eintreten. Schließlich: Wenn wir uns darauf verständigen, primär einen inhaltlichen Wahlkampf zu führen und nicht die Regierungsfrage ins Zentrum zu rücken, dann heißt dies natürlich auch: Wir müssen unsere Inhalte klarer und weiterentwickeln. Vieles vom '95er Wahlprogramm hat Bestand. Manches ist aber auch überholt, anderes reicht einfach nicht mehr aus. (...)
Ich möchte aber aus gegebenen Anlass auch noch mal klarstellen: Gelegentliche Spekulationen in den Medien, wer für die PDS in welchem Berliner Wahlkreis zur nächsten Bundestagswahl antreten könnte, sind nicht auf dem Mist des Berliner Landesvorstandes gewachsen. Wir sind für einen durchweg abgestimmten Wahlkampf und gegen Alleingänge. Es gibt die Zusage des Zentralen Wahlbüros, alle nötigen Entscheidungen gemeinsam zu treffen. Ich bitte aber auch die Bezirke, herangereifte Fragen mit uns zu beraten. (...)

Weil nicht nur Professoren wählen

Abschließend: Dieser Tage gab es eine interessante Berliner Wortmeldung, ihr habt sie vielleicht gelesen: „Wer eine reformpolitische Wende wolle, könne nicht an Rot-Grün zweifeln und das Problem PDS nicht länger dramatisieren“, so der Projektleiter einer unabhängigen Analyse, Professor Fritz Vilmar. Ob eine solche Wende zustande komme, liege nach Einschätzung der FU-Forscher wesentlich an der Berliner SPD. Allerdings sprach Vilmar auch vom „besonderen Stolperstein“ PDS, auch wenn er keinerlei Grund sehe, uns, eine „demokratische Partei“, in die extremistische Ecke zu stellen.
Da in Berlin bekanntlich nicht nur Professoren wählen, möchte ich jüngere und repräsentative Umfrageergebnisse hinzufügen.
Gefragt, ob die PDS sich im Vergleich zur SED erneuert habe, meinten 12 % aller Befragten, ja, 80 % hingegen glauben das nicht. Auf die Frage, ob die PDS an einer rot-grünen Regierung beteiligt sein sollte, wollten in den neuen Bundesländern 57 % und in den alten 82 % nichts mit der PDS zu tun haben. (Quelle: Forschungsgruppe Wahlen/ZDF)
Das Urteil eines Wissenschaftlers ist das eine. Was die Berlinerinnen und Berliner von uns denken und erwarten, ist das andere. Und dabei habe ich immer Gesamtberlin im Blick. Deshalb mein Abschlussappell: Politik, noch dazu alternative, findet in der Stadt Gehör, kaum im Saal, noch seltener auf internen Versammlungen. Urlaub haben wir uns wohl alle verdient. Dann aber sollten wir uns sehr schnell daran erinnern: Berlin hat auch uns verdient.
 

 

 

1997
www.petra-pau.de

 

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