Der Berliner Bär brummt doch!

Von Petra Pau

in: Disput 6, Jahrgang 1996

Was ist los in Berlin, mit Berlin? Hauptstadt will es wieder sein oder werden. Doch der "Bär brummt" einfach nicht, jedenfalls nicht so, wie es die CDU versprach.

Statt dessen kreist der Pleitegeier über' m Brandenburger Tor, protestieren Zigtausende vorīs Rote Rathaus, belagern Studis wochenlang Plätze und Medien. Mit Brandenburg wollte sich Berlin vereinigen. Doch das Wahlvolk beider Länder winkte frustriert ab. Mit einem öffentlichen Gelöbnis und klingendem Spiel meldete sich die Bundeswehr an der Spree zurück. Doch die „Hauptstadt der Wehrdienstverweigerer“ reagierte mit Hohn und Pfiffen. Berlin sei die „Schmiede der Einheit“, hatte der Regierende Bürgermeister, Eberhard Diepgen (CDU), 1990 verkündet. Doch selbst sechs Jahre später noch kommen Wahl- und Meinungsforscher zu dem Schluss, die Mauer stehe höher denn je, zumindest in den Köpfen. Was also ist los in Berlin, mit Berlin?

Wer erahnen will, was sich in Berlin tut oder auch nicht, kommt mit simplen Erklärungsmustern nicht allzu weit. Etwa mit immer wiederkehrenden Versuchen, die zunehmenden Proteste gegen den rigiden Sparkurs, den die Bonner und Berliner Regierungskoalitionen einschlagen, gegen die lange anerzogene „Fettlebigkeit“ der West- wie Ostberliner aufzurechnen. Die Ahnung, dass weniger Milliarden an Steuergeldern als vielmehr ein ganzer Sozialstaat eingespart werden sollen, hat längst auch in Kreuzberg oder Mitte Einzug gehalten. Eine weitere, aber gern verbreitete Plattitüde ist, die anhaltenden, ja sogar zunehmenden Wahlerfolge der PDS in den hauptstädtischen Ostbezirken damit erklären zu wollen, dass dort ein Konzentrat ehemaliger SED-Eliten heimisch wäre. Zu den Oktoberwahlen 1995 wurde die PDS überdurchschnittlich von Berlinerinnen und Berlinern zwischen 18 und 35 Jahren gewählt, die der Ostalgie weitgehend unverdächtig sind. Auch Verweise auf die blassen Berliner Landespolitiker und westalgische Rückblicke auf Regierende Bürgermeister vom Schlage eines Willy Brandt oder Richard von Weizsäcker führen kaum weiter, will man erfassen, warum es an der Spree plötzlich köchelt.

Das Berlin der 90er Jahre erweist sich vielmehr als ein Schmelztiegel verschiedener Konflikte, die sich nicht mehr kleinreden, in ihrer Reichweite aber auch nicht auf Berlin beschränken lassen.

Da wäre erstens die unerledigte, ja eigentlich von den Regierenden auch nie wirklich angestrebte Einheit der Stadt. Was im größer gewordenen Deutschland vollzogen wurde, nämlich die Abwicklung weiter Teile des Ostens und die schwerverdauliche Einverleibung des verwertbaren Restes durch den Westen, all dies fand auch in Berlin seine städtische Nachahmung. Insbesondere die psychologischen Folgen dieser Politik sind so nachhaltig wie zwiespältig. Im „Osten“ setzte sich das verbreitete Gefühl fest, kolonialisiert worden zu sein, was entweder Resignation oder Renitenz auslöst. Im „Westen“ grassiert die Sorge, „verostet“ zu werden, was wiederum mit antikommunistischen Ressentiments einhergeht oder Kalte-Kriegs-Mentalitäten wiederbelebt. So ist es durchaus erklärlich, dass sich Berlinerinnen und Berliner beidseits der ehemaligen Stadt- und Staatsgrenze als Verlierer und Opfer der jeweils anderen Seite fühlen. Eine Stimmung, die zumindest misstrauisch macht, allemal gegen hochgradige Versprechungen. Politisch spiegelt sich diese durchaus verbreitete Fremdheit auch in einer Dominanz der CDU im Westteil und einer fast ebenso großen Akzeptanz der PDS im Ostteil der Stadt. Beide politischen „Pole“, wie eine Studie der Freien Universität diese für den Osten typische Konstellation umschreibt, stehen aber zugleich für zwei „Reform“-Konzepte - die CDU für die seit 1983 eingeleitete und nunmehr gesamtdeutsch forcierte konservative, die PDS für eine soziale und ökologische Wende.

Zweitens ist Berlin derzeit die einzige deutsche Metropole, die einer nachholenden kapitalistischen Entwicklung unterworfen wird, und zwar in einem rasanten Tempo. Damit verbunden ist der erklärte Anspruch des Senats, zumindest im europäischen Konzert der Haupt-Städte endlich wieder eine erste Geige spielen zu wollen. Berlin hat sich zur größten Baustelle Europas entwickelt. Ein Protz- und Prunkobjekt nach dem anderen wird in die Stadt gepflanzt. Milliarden Mark wandern als indirekte Subventionen, beispielsweise an Konzerne wie Daimler und Sony, die auf dem Potsdamer Platz residieren wollen. Oder sie werden - ein weiterer zentraler Streitpunkt - im Tiergarten getunnelt, um den künftigen Kanzlersitz verkehrsarm zu halten. So spüren immer mehr Berlinerinnen und Berliner, wie ihnen die eigene Stadt entfremdet wird, um sie neuen Hausherren heimisch zu machen.

Zum dritten findet die konservative „Standort-Deutschland-Debatte“ in Berlin ihre regionale Steigerung, mit all den Umverteilungsprozessen von unten nach oben, die damit einhergehen. Die extreme Überschuldung Berlins - das Haushaltsloch umfasst weit mehr als einen Jahresetat - wird als zusätzlicher Vorwand miss- oder gebraucht, das gesamte Stadtleben umzukrempeln. Theater und Schwimmbäder werden geschlossen oder privatisiert, die Zahl der Studienplätze soll um ein Drittel auf 85.000 geschrumpft werden, Verkehrstarife und Kitagebühren für öffentliche Leistungen werden in die Höhe geschraubt und Entlassungen großen Stils vorbereitet, während siedlungswilligen Unternehmen ein goldener Boden bereitet wird.

Zu den politischen Schieflagen, sozialen Um- und finanziellen Einbrüchen, alle übrigens ganz Berlin betreffend, kommt eine spürbare Entdemokratisierung, die nicht zuletzt mit der geplanten Besitznahme der Stadt durch den Bundestag und die Bundesregierung zusammenhängt. Die Durchgriffsrechte „Bonns“ in Berliner Bau- und Stadtentwicklungsfragen reichen sogar soweit, dass die gewählten Parlamente der Berliner Bezirke nicht einmal mehr selbständig über Straßennamen entscheiden können, sobald diese den Kanzler, wie bei „Clara Zetkin“, verärgern könnten.

Schließlich spießbürgert die Berliner Politik fürwahr zwischen Großmannsansprüchen und Kleingeisterei dahin, was den Bürgerinnen und Bürgern auf Dauer nicht verborgen bleibt. Immerhin wurde am 5. Mai, als in Berlin und Brandenburg über den Neugliederungsvertrag zur Bildung eines gemeinsamen Bundeslandes abgestimmt wurde, der großen Pro- Fusionskoalition, die in Berlin von der CDU über die SPD, von Unternehmerverbänden bis zum DGB, vom ADAC bis hin zu Bündnis 90/Die Grünen reichte, schlichtweg die Gefolgschaft versagt. Resigniert fasste der SPD-Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus, Klaus Böger, sein durchaus nicht abwegigen Fazit in die Worte: „Uns traut man offenbar überhaupt kein Zukunftsprojekt mehr zu“. Denn bei Lichte betrachtet erwiesen sich alle seit 1990 betriebenen „Jahrhundertvorhaben“ des CDU/SPD- Senats als Flop zu Lasten einer Bevölkerungsmehrheit. Gut in Erinnerung ist vielen noch die kostspielige Blamage, die sich Berlin leistete, als es sich um die Ausrichtung der Olympischen Spiele bewarb. Auch damals zog es Tausende Berlinerinnen und Berliner auf die Straße, um gegen eine Politik der „Spiele ohne Brot“ zu protestieren.

Niemand braucht sich daher wundern, wenn sich nun erneut Unmut breit macht und angesichts des spürbaren Sozial- und Demokratieabbaus die Frage lauter wird: „Wessen Stadt ist die Stadt“ eigentlich?

Petra Pau ist Landesvorsitzende der Berliner PDS.
 

 

 

1996
www.petra-pau.de

 

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