Antifaschismus muss ein Grundwert heutiger politischer Verantwortung sein
Zum 50. Jahrestag des 20. Juli 1944

in: Pressedienst Nr.29, Jahrgang 1994

In diesen Tagen gedenken wir eines der herausragenden Ereignisse inmitten des antifaschistischen Kampfes und Widerstandes - des Attentats der Gruppe um Oberst Stauffenberg auf Adolf Hitler. Die Frauen und Männer des 20. Juli 1944 haben ein deutliches Zeichen für Humanität und aktiven Antifaschismus gesetzt, dem wir uns nur würdig erweisen können, wenn alle, die in diesem Lande und in dieser Stadt an unterschiedlicher Stelle politische Verantwortung tragen, deutlich den Antifaschismus als einen elementaren Grundwert des eigenen Handelns demonstrieren.

Wenn wir dieses Tages und seiner Heldinnen und Helden gedenken, müssen wir uns daran erinnern, welch schlimmen Versuchen des Vergessens und des Umdeutens die Frauen und Männer um Stauffenberg immer wieder ausgesetzt waren. Nicht vergessen dürfen wir die zeitgeschichtlichen Äußerungen führender englischer und amerikanischer Politiker und Militärs, die die Akteure des 20. Juli 1944 als eine andere Art deutscher Nationalsozialisten und Kriegsverbrecher bezeichneten und es für gerechtfertigt hielten, dass sich die „Kaste der deutschen Politiker und Generale gegenseitig umbrachte“.

Nicht vergessen wollen wir, die wir in unserer Mehrheit aus der DDR kommen, dass der 20. Juli 1944 für lange Zeit einer Bewertung des antifaschistischen Widerstandes zum Opfer fiel, die das Verhältnis zu Kommunisten und Realsozialismus zum obersten Kriterium hatte. Es ist unzähligen Antifaschistinnen und Antifaschisten sowie einigen wenigen Historikern zu verdanken, dass sich diese Lesart in der DDR auf Dauer nicht durchsetzen konnte.

Nicht zu vergessen ist auch, dass es im Westen für lange Zeit sehr starke Vorbehalte gegen eine Ehrung generell des antifaschistischen Widerstandes und speziell auch des 20. Juli 1944 gab. Es dauerte viele Jahre, bis die Gedenkstätte des deutschen Widerstandes oder die Ausstellung „Topographie des Terrors“ errichtet wurden. Wir dürfen all die Versuche in Vergangenheit und Gegenwart nicht leugnen, auch in der Bundesrepublik eine selektive Ehrung des Antifaschismus - ebenfalls am Maß der parteipolitischen und ideologischen Gebundenheit - vorzunehmen, und wir wissen, mit welcher Zögerlichkeit die Bundeswehr sich in die Tradition antifaschistischer Soldaten, Offiziere und Generale stellt. Und unvergessen ist uns die schmähliche Debatte im Berliner Abgeordnetenhaus, in deren Gefolge der Name der von den Nazis ermordeten Widerstandskämpferin Käthe Niederkirchner aus der offiziellen Postadresse der Berliner Landesparlaments verschwand, nur weil sie als Antifaschistin Kommunistin war und so als potentielle geistige Wegbereiterin der DDR betrachtet wird.

Den Frauen und Männern des 20. Juli 1944 war aber - das wissen wir inzwischen - nichts fremder als eine selektive Aufteilung des antifaschistischen Widerstandes. Schon unmittelbar nach dem 20. Juli 1944 musste Hitler eingestehen, dass es sich nicht um „eine kleine Gruppe von Verrätern und Verschwörern“, sondern um eine breite Bewegung handelte. Ganz gewiss gab es zwischen den unterschiedlichen Kräften des antifaschistischen Widerstandes völlig gegensätzliche Zukunftskonzepte, aber weil sie eben ein anderes Deutschland und eine breite Akzeptanz für dieses wollten, gingen auch die Aktivisten des 20. Juli 1944 auf andere antifaschistische Kräfte zu bzw. waren für diese offen.

Es ist entlarvend, dass die Vokabel „Volksfront“ heute auch von führenden Berliner CDU-Politikerinnen und -Politikern als negativer Kampfbegriff gegen die rot-grüne Koalition in Magdeburg sowie gegen die PDS verwendet wird. Dieser Begriff stammt aus der Praxis des antifaschistischen Widerstandes, und er war nachweisbar als Handlungsgrundlage - nicht als gesellschaftspolitisches Konzept - für den aktuellen Kampf gegen Hitler und Konsorten auch für Graf Stauffenberg und andere nicht fremd oder obsolet.

Wir rufen deshalb auf, der antifaschistischen Akteure des 20. Juli 1944 so zu gedenken, wie sie waren, auf die parteipolitische Okkupation ihrer Leistung zu verzichten und selbstkritisch und deutlich hervorzuheben, was gerade sie für das Ansehen des deutschen Volkes bewirkten und bewirken. Wenn heute noch lebende Verfolgte des Naziregimes, Angehörige von Opfern des Faschismus und vom aufgekommenen Neofaschismus Bedrohte immer wieder ihren antifaschistischen Optimismus mit ihrer Hoffnung in das deutsche Volk begründen, dann haben die Frauen und Männer des 20. Juli 1944 - wie alle anderen, die sich gegen den deutschen Faschismus wehrten - nach wie vor daran einen hohen Anteil.

Wir rufen angesichts der realen Gefahr von rechts, die unserer Gesellschaft droht, auf, auch heute antifaschistische Gemeinsamkeit zu suchen und politisch zu befördern. Das und nur das sind wir alle den Opfern des 20. Juli 1944, allen Helden des antifaschistischen Widerstandes und der Menschheit von heute schuldig.
 

 

 

1994
www.petra-pau.de

 

Seitenanfang

 

PDS: Reden & Erklärungen

 

Lesbares

 

Startseite