Für eine dritte Erneuerung

Rede von Petra Pau auf dem Landesparteitag der LINKEN Berlin am 25. November 2017

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1. 

Ob es Neuwahlen gibt oder nicht, das hängt nicht von uns ab. Ich will auf dem Thema deshalb auch gar nicht länger herumreiten.
 
Unterm Strich zählt nur eines:
Kommen Neuwahlen, so werden wir auch diese Herausforderungen annehmen.
Schließlich wollten und wollen wir insgesamt 2-stellig werden.
 
Und zumindest das hat die Schwampelei ganz deutlich gezeigt:
DIE LINKE ist im Bundestag derzeit die einzige Partei für soziale Gerechtigkeit, mehr Demokratie, verlässlich für Bürgerrechte und Frieden für alle.
 
Gleichwohl müssen wir weiterblicken, in die 2020er Jahre voraus.
Und weil das so ist, werbe ich für eine fällige strategische und für eine neue programmatische Debatte, ja mehr noch, für eine dritte Erneuerung unserer Partei.
 
Und mit dem, was ich anrege, meine ich nicht speziell den Berliner Landesverband, sondern die Gesamtpartei.

2. 

Zur strategischen Debatte ein Beispiel:
 
Wir erleben seit Jahren einen gesellschaftlichen Rechtsruck.
Nun ist er auch im Bundestag angekommen.
 
Es gibt kein Mitte-Links-Bündnis dagegen, nicht in der Gesellschaft, nicht im Bundestag.
 
Das alles hatte sich lange abgezeichnet.
2011 hatte Prof. Heitmeyer die Ergebnisse einer Langzeitstudie über „Deutsche Zustände“ vorgestellt.
 
Ihr Fazit:
Die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nimmt zu.
Ebenso die Akzeptanz von Gewalt als Politikersatz.
 
Zu den Ursachen hieß es - wieder verkürzt:
Das Soziale, also das Zusammenleben, wird ökonomisiert, die Demokratie, also die Mitsprache, wird entleert.
Politdeutsch nennt man das neoliberal.
 
Was Heitmeyer & Co. sagten, erleben wir seit drei, vier Jahren praktisch.
Unmut, Hass und Gewalt nehmen zu.
Rechtspopulisten und Rechtsextremisten bilden unheilige Allianzen.
Sie finden inmitten der Gesellschaft Zuspruch, aktuell mehr als DIE LINKE.
 
Also haben auch wir ein Problem. Was also tun?
 
Variante 1:
DIE LINKE bleibt glasklar gegen alle, die neoliberal unterwegs sind. Auf Parteiebene sind das CDU/CSU, SPD, AfD, FDP und häufig auch Bündnis 90/Die Grünen. Kurzum: Wir gegen alle!
 
Variante 2:
Dem widerspricht allerdings eine furchtbare historische Erfahrung. Sie besagt:
Die Faschisten kamen 1933 nicht an die Macht, weil die NSDAP so stark, sondern weil die Demokraten so zerstritten waren.
 
Über dieses strategische Dilemma, zumindest über die innewohnenden Spannungen, muss endlich mal offen diskutiert werden, finde ich.
Forsche Parolen allein helfen da nicht weiter.

3. 

Zur programmatischen Debatte:
 
Es gibt grundsätzliche Fragen, die seit längerem in unsere Partei ungeklärt sind.
Ich nenne zwei und dazu eine dritte, weitergehende.
 
Die erste:
Seit zehn Monaten gibt es ein Konzept für ein Zuwanderungsgesetz der LINKEN.
Als Autoren gelten die Fraktionen in den ost-deutschen Landtagen.
 
Eine Debatte dazu in der Gesamtpartei gibt es bislang nicht.
Ich finde: Sie ist überfällig.
 
Die zweite:
Noch länger gibt es ein Konzept für ein bedingungsloses Grundeinkommen.
Es wurde von einer Bundesarbeitsgemeinschaft der LINKEN erarbeitet.
 
Eine Debatte dazu in der Gesamtpartei gibt es bislang nicht.
Ich finde: Auch sie ist überfällig.
 
Und damit bin ich bei der dritten, weitergehenden Frage:
Die Digitalisierung wird zu gesellschaftlichen Umbrüchen führen, wie zuletzt vor über 200, 300 Jahren die industrielle Revolution.
 
Allein diese These ist innerhalb der LINKEN umstritten. Aber ich stehe dazu.
 
Die Digitalisierung kommt nicht, sie ist längst da, und sie wird alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringen; nicht nur die Wirtschaft, auch das Soziale, ebenso Bürgerrechte und Demokratie, obendrein weltweit.
 
Eine Linke, die sich dar ob weg duckt, verschläft die Zukunft.
Das können wir nicht wollen.

4. 

Und damit bin ich bei meinem dritten Stichwort: Erneuerung.
 
Zur Erinnerung:
 
Die erste Erneuerung unserer Partei fand 1989/90 statt. Sie war fundamental.
Aus einer stalinistisch geprägten Kaderpartei wurde eine basis-demokratische Partei des Demokratischen Sozialismus.
 
Sie war eine ostdeutsche Partei mit West-Auslegern.
Die PDS gewann Zuspruch und hatte ihren messbaren Höhepunkt zur Bundestagswahl 1998.
 
Die zweite Erneuerung war 2005-2007. Linkspartei PDS, WASG und Parteilose schlossen sich zur LINKEN zusammen.
 
Heraus kam eine gesamtdeutsche Protestpartei, vor allem gegen „Hartz IV“ und die gesamte „Agenda 2010“.
Ihr Zuspruch wuchs, wie Horst Kahrs und andere analysierten, bis 2012.
 
Deshalb meine ich: Wir brauchen als Partei DIE LINKE eine dritte Erneuerung, hin zu einer gefragten europäischen Zukunftspartei.
 
Fakt ist: Alle für Linke relevanten Themen - soziale Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit - sind nicht mehr nationalstaatlich zu lösen.
 
Fakt ist zudem: Dieselben Themen werden mit der Digitalisierung neu aufgeworfen - mit großen Chancen, aber auch riesigen Gefahren.
 
Sie münden - positiv - in einer post-kapitalistischen Gesellschaft und - negativ - in einem Totalcrash der Demokratie.

5. 

Deshalb mein Schlussgedanke:
 
Ich halte es für eine entscheidende Aufgabe des aktuellen und des kommenden Parteivorstandes, solche Debatten endlich für die Gesamtpartei anzuregen und zu führen. Die Zeit drängt!
 
Das wäre zudem auch ein einladendes Angebot für die vielen neuen Mitglieder der LINKEN.
 
Dabei wünsche ich unserem Berliner Freund und Genossen Harald Wolf als neuen Bundesgeschäftsführer gute Nerven und uns gemeinsam viel Erfolg.
 
 

 

 

25.11.2017
www.petra-pau.de

 

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