Zweistellig für einen Politikwechsel

Rede auf dem Landesparteitag der LINKEN Sachsen-Anhalt in Halle am 20. Mai 2017

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0. 

Anrede
 
Ich freue mich, dass ich wieder einmal bei euch bin, im Land von Gustav-Adolf Schur. Erst kürzlich habe ich Täve und weitere Weltklasse-Sportler in meinem Wahlkreis - in Marzahn-Hellersdorf - begrüßt. Denn Ehre, wem Ehre gebührt, mit oder ohne „Hall of Fame“.

1. 

Nun zu meinem eigentlichen Thema, der Bundestagswahl im September: Der Wahlkampf ist eröffnet. In verschiedenen Positionen und Perspektiven habe ich seit 1990 bestimmt zwei Dutzend Wahlkämpfe geführt. So, wie manch andere hier im Saal ebenso. Fünf Mal habe ich erfolgreich für den Bundestag kandidiert. Nun tue ich es wieder. Und vor genau diesem Hintergrund sage ich:
 
Routine hin, Routine her: Die Bundestagswahl am 24. September diesen Jahres ist eine andere als ihre Vorgänger. Sie ragt heraus. Es geht um nicht weniger als um die Frage, ob die drei Säulen der Bundesrepublik Deutschland künftig noch eine Chance haben: ein demokratisch fundierter Sozialstaat mit Artikel 1 Grundgesetz als oberstes Gebot: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Wohl bemerkt: Aller Menschen, nicht nur der Schönen und Reichen und nicht nur der Deutschen und Weißen! Und diese Würde aller kennt weder ein Gastrecht noch Obergrenzen. Für uns Linke ist sie ein nicht verhandelbarer Grundsatz.

2. 

Die Würde des Menschen bedarf allerdings einer sozialen Basis für jede und jeden. 1-Euro-Jobs, Leiharbeit und "Hartz IV" gehören nicht dazu. Armutsrenten auch nicht. Ich war dabei und dagegen, als „Hartz IV“ am 19. Dezember 2003 im Bundestag beschlossen wurde. Auf Betreiben von SPD und Grüne, angefeuert durch CDU/CSU und FDP. „Hartz IV“ hat Millionen Bürgerinnen und Bürger in bittere Armut getrieben und die deutschen Sozialgerichte hoffnungslos überfordert.
Wenn der SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz nun plötzlich einräumt, „Hartz IV“ berge Fehler, dann widerspreche ich als LINKE klar: „Hartz IV“ hat keine Fehler, „Hartz IV“ war und ist der Fehler.

3. 

Die Zeit ist schnellläufig und wir wissen nicht, welche Themen im August und September, also unmittelbar vor der Wahl, akut werden.
Aber eine Frage bleibt zentral: die soziale Frage. Und die hat nun einmal etwas mit Gerechtigkeit und Umverteilung zu tun.
Prof. Butterwegge, unser Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten, hat das Problem mal auf den Punkt gebracht:
 
„Eine alleinerziehende Mutter, die Windeln kauft, zahlt dafür 19 % Mehrwertsteuer. Kauft ein Wohlhabender ein Reitpferd, dann zahlt er dafür 7 % Mehrwertsteuer. Und wenn ein ganz Reicher sich ein Aktienpaket für 30 Millionen Euro kauft, dann zahlt er 0 % Mehrwertsteuer.“
 
Aber es geht nicht nur um die Mehrwertsteuer. Wir wollen prinzipiell umsteuern. Wir wollen eine generelle Umverteilung des unseligen Reichtums Oben solidarisch nach Unten. Preiswerter ist Gerechtigkeit nicht zu haben.

4. 

Und wir setzen andere Schwerpunkte. Auch das sei am Beispiel illustriert.
 
US-Präsident Trump fordert von allen Nato-Staaten höhere Militärausgaben, also auch von Deutschland. Verteidigungsministerin von der Leyen schrie sofort „hier!“. Die SPD schwieg beredt. Ich sage, wir sagen hingegen: Nein!
Konkret ist von 2% des BIP die Rede. Nur mal zur Erinnerung: Vor 20 Jahren hatte sich die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, jährlich 0,7% BIP für internationale Entwicklungshilfe bereit zu stellen. Das wurde noch nie erreicht.
 
Nun geht es um den Militärhaushalt oder konkret um plus 28 Mrd. Euro. Richtige Haushälter, wie Roland Claus, werden es mir nachsehen,
aber ich habe mal hochgerechnet:
Für plus 28 Mrd. Euro jährlich könnte man
•  10.000 zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer einstellen,
•  plus 10.000 Polizistinnen und Polizisten,
•  plus 10.000 Pflegerinnen und Pfleger. Außerdem könnte man von dieser Summe
•  100 Theater subventionieren
•  oder noch mehr Jugendklubs.
Mehr Bildung, Sicherheit, Gesundheit und Kultur, das ist unsere Alternative zu mehr Rüstung und Militär!
 
Damit ist diese Geschichte allerdings noch nicht zu Ende erzählt. Denn bereits 2014 hatte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) international verpflichtet, den deutschen Militäretat auf 2% BIP aufzurüsten. Da gab es noch gar keinen US-Präsidenten Trump. Und sie tat es im Beisein des damaligen Außenministers Frank-Walter Steinmeier (SPD).

5. 

Neulich stieß ich bei Facebook auf die spannende Frage: „Wer war eigentlich schuld, bevor die Flüchtlinge kamen?“
An drei Beispielen habe ich das gerade gezeigt: an der Steuerpolitik; an der Sozialpolitik, an der Rüstungspolitik.
Ich will das noch deutlicher zuspitzen: Legt man die Wahlprogramme aller relevanten Parteien übereinander, so wird sehr schnell deutlich: Allein DIE LINKE. ist d i e Alternative für Deutschland, alle anderen tummeln sich im neoliberalen Block. Es reicht nur nicht, wenn wir davon überzeugt sind. Wir müssen es überzeugender erzählen, mit weniger Parolen aus der Stanze, mit mehr Geschichten aus dem Leben.

6. 

Eingangs hatte ich auf Artikel 1 Grundgesetz verwiesen, auf die Würde aller Menschen als Credo der Linken.
Real erleben wir eine andere Entwicklung. Hass und Gewalt grassieren, nicht nur am rechtsextremen Rand, sondern inmitten der Gesellschaft. Es ist eine Entwicklung mit Ansage. Denn sie hatte sich lange vor der Flüchtlingsfrage abgezeichnet. Ich weiß nicht, was ihr am 11.11.2011 getan habt. Aber ich erinnere mich gut, wo ich damals war: In der Bundespressekonferenz in Berlin. <
 
Der 11.11.2011 ist mir übrigens noch aus einem anderen Grund präsent. Am 4. November war das NSU-Nazi-Terror-Trio aufgeflogen. Eine Woche später, eben am 11. des Monats, wurden im Bundesamt für Verfassungsschuss die Schredder angeworfen, um erhellende Akten zu vernichten. Monate später versprach Bundeskanzlerin Merkel „bedingungslose Aufklärung“. Heute, am Ende des 2. NSU-UA im Bundestag muss ich sagen: Sie wird von Staats wegen weiter in den Meineid getrieben. So werden die Opfer des Nazi-Terrors und ihre Angehörigen ein weiteres Mal verhöhnt. Es ist eine Schande!

7. 

Aber zurück zur Bundespressekonferenz am 11.11.2011: Dort hatten Prof. Heitmeyer (Uni Bielefeld) und sein Wissenschaftsteam die Ergebnisse ihrer Langzeitstudie über „Deutsche Zustände“ vorgestellt. Ihre Untersuchungen liefen bundesweit über zehn Jahre, von 2002 bis 2011. Ihr Fazit: Die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nimmt zu, ebenso die Akzeptanz von Gewalt als Politikersatz.
Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist mehr als Rassismus. Sie richtet sich gegen Arbeits- und Obdachlose, gegen Lesben und Schwule, gegen Menschen mit Behinderungen, kurzum gegen alle, die auf einer vermeintlichen Skala von Menschen und Rechten weiter unten rangieren.
Heitmeyer & Co. benannten auch Ursachen dafür. Wieder Kurzfassung: Das Soziale, also das Menschliche, wird ökonomisiert. Und die Demokratie, also das Bürgerliche, wird entleert. In Politik-Sprech nennt man diese Strategie und Praxis „neoliberal“.
 
Und deshalb wiederhole ich: Natürlich geht es bei der Bundestagswahl um Prozente und Parlamentssitze. Aber als Linke wollen wir mehr: Wir wollen einen Politikwechsel: Weg vom Neoliberalen, hin zu "Sozial! Gerecht! Für alle!"

8. 

„Für alle“ ist allerdings national borniert nicht zu haben, schon gar nicht im 21. Jahrhundert, in Zeiten der Globalisierung und der Digitalisierung. Wer anderes behauptet, lügt. Und wer sagt: „USA zuerst!“ oder „England zuerst!“ oder „Türkei zuerst“ oder „Deutschland zuerst“ ist verdammt nah dran an „Deutsche über allen!“
 
Wir können stundenlang aufzählen, was uns an der Europäischen Union missfällt, eingebildet oder zu Recht. Die EU ist nicht gut. Aber ein Rückfall hinter die EU wäre ein Rückfall in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, in eine Zeit jeder gegen jeden, mit zwei unsäglichen Weltkriegen, die obendrein jeweils von Deutschland ausgingen. Das darf sich niemals wiederholen!

9. 

Natürlich werde auch ich gelegentlich von Journalisten gefragt: „Frau Pau, sind sie nach der Bundestagswahl für Rot-Rot-Grün oder nicht?“
Was für eine inhaltsleere Frage!
Ich kämpfe als linke Ur-Berlinerin für ein Deutschland in einer Europäischen Union, die beide sozialer, demokratischer und friedlicher werden müssen.
 
Wenn sich dafür Partner finden, im Bundestag und außerparlamentarisch, dann werde ich sie doch nicht ausschlagen. Ich würde ja unglaubwürdig. Aber es geht um inhaltliche Partner, nicht um Zahlenspiele. Also lasst euch nicht ablenken. Wir führen Wahlkampf für uns, für DIE LINKE., für unsere Angebote und Ziele - und nichts anderes.

10. 

Lasst mich mit einem weiteren Gedanken schließen. Auch er beschreibt ein Alleinstellungsmerkmal der LINKEN. Ministerin Andrea Nahles (SPD) hat ja jüngst stolz angekündigt, sie wolle bis 2025 die Rente-Ost an West-Niveau angleichen. Wieder ins Bild gesetzt: DDR-Bürger, die am 3. Oktober 1990 Rentner wurden, müssten demnach 100 Jahre alt werden, um erstmals für ihre Lebensleistung gesamtdeutsch anerkannt zu werden.
 
Schlimmer noch: Wer am 3. Oktober 1990 in Magdeburg oder Halle geboren wurde, später in Sachsen-Anhalt aufgewachsen, studiert und gearbeitet hat, wird noch 2057 an seinem Rentenbescheid merken, was er zeitlebens war: Ein Ossi, der für weniger Geld länger arbeiten musste.
 
Das Ost-Thema ist nicht vom Tisch. Und es trifft längst nicht nur ehemalige DDR-Bürger, sondern auch junge Deutsche mit einem falschen Lebensort. Und wenn DIE LINKE. das nicht immer wieder aufruft, dann tut es keine Partei.
 
Also auf und raus ins Leben, vor Ort und digital. Wir kämpfen um ein Ergebnis zur Bundestagswahl - klar zweistellig. Aber es geht um mehr: Wir streiten für einen Politikwechsel, für soziale Gerechtigkeit, für mehr Demokratie, für Frieden: in Deutschland, in Europa, weltweit. Miteinander - Füreinander!
 

 

 

20.5.2017
www.petra-pau.de

 

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