Mehr Demokratie - vom Programm zur Politik

Beitrag für die Sitzung des PDS-Vorstandes am 26. 04. 2004
von Petra Pau, PDS im Bundestag

1. 

Die Forderung nach "mehr Demokratie" war für die Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) Grund legend. Sie wurde im Parteinamen verankert und zu einer politischen Leitlinie entwickelt - in Abgrenzung zum gescheiterten Sozialismus-Modell, aber auch als Antwort auf immanente Systemfehler kapitalistischer Gesellschaften.
Die PDS vertritt einen weiten Demokratie-Ansatz. Er ist mit Freiheitsrechten verknüpft, er zielt auf soziale Gerechtigkeit und auf eine umfassende Mitbestimmung in allen gesellschaftlichen Belangen - vor Ort, in der Wirtschaft, weltweit. (1)

2. 

Die unmittelbare politische Mitbestimmung, die Mitsprache durch Volksentscheide, ist ein Teil dieses Komplexes. Dabei wendet sich die PDS nicht gegen parlamentarische Systeme. Es geht vielmehr darum, diese zu qualifizieren und durch Formen direkter Demokratie zu ergänzen. Dafür sprechen viele Gründe. Nicht zuletzt die Tatsachen, dass Parteien weit mehr Rechte in Anspruch nehmen, als ihnen per Grundgesetz zustehen (2), dass politische Entscheidungen zunehmend bürgerfern gefällt werden und schließlich auch, dass parlamentarische Rechte tendenziell ausgehöhlt werden. Es gehört zu den aktuellen Widersprüchen, dass allenthalben Reformen angemahnt werden. Eine wirkliche Reform für mehr Demokratie aber steht auf keiner großen Agenda.

3. 

Die Bundesrepublik Deutschland gehört zu den europäischen Ländern, in denen Formen direkter Demokratie unterentwickelt sind. Das ist kein Zufall oder Versehen. Die 1990 gebotene historische Chance, das Grundgesetz durch eine moderne Verfassung zu ersetzen, wurde bewusst ausgeschlagen. Insbesondere CDU und CSU, aber auch die SPD stoppten alle Versuche, mehr Demokratie zu wagen. Dieses Manko wirkt fort.
Es schlägt sich auch in einer zunehmenden Parteien- und Parlaments-Verdrossenheit nieder. Die gern vorgebrachte These, mehr direkte Demokratie würde das parlamentarische Rückrat der Republik brechen, verkehrt sich de facto ins Gegenteil. Zumal viele Untersuchungen belegen: 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung wollen in Sachfragen mehr und direkt mitbestimmen.

4. 

Die Forderung nach mehr Mitbestimmung findet immer dann Zuspruch und Gehör, wenn sie konkret wird. Das ist naturgemäß in den Kommunen ausgeprägter. Das wird aber ebenso deutlich, sobald die Landes- oder Bundes-Politik berührt wird. Aktuell gibt es hierfür drei exemplarische Anlässe (3): Die anstehende EU-Verfassung, die Wahl des Bundes-Präsidenten bzw. einer -Präsidentin und die Berliner Volks-Initiative zur „Banken-Krise“. Alle drei Beispiele bieten der PDS Grund und Anlass, ihr Demokratie-Profil zu schärfen und die gesellschaftliche Debatte zu beleben.

5. 

Die Möglichkeiten direkter (politischer) Mitbestimmung sind von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich entwickelt. Auf Bundesebene fehlen sie noch immer. Der Unions-Block steht bislang dagegen. SPD und Grüne erschöpfen sich in wiederkehrenden Absichten zur Besserung.
Unterhalb des „Bundes“ sieht es bunter aus. Die Initiative „Mehr Demokratie e.V.“ hat im Herbst 2003 ein „Volksentscheid-Ranking“ (4) vorgelegt. Darin werden die „direktdemokratischen Verfahren der Länder und Gemeinden“ verglichen und benotet. In dieser nationalen Rang-Liste wird allein das ‚schwarze' Bayern mit „gut“ bewertet. Sechs Bundesländer erhielten das Prädikat „mangelhaft“. Schlusslicht ist das ‚rot-rote' Berlin.

6. 

Das Fazit der Studie ist zwiespältig. Einerseits wird bescheinigt, dass Volksentscheide auf Kommunal- und Landesebene seit 1990 in allen Landesverfassungen verankert und damit prinzipiell ermöglicht wurden. Andererseits erweisen sich die konkreten Paragrafen zumeist als Verhinderungs-Bestimmungen. Die formale Absicht zerbricht an der realen Praxis - mal weniger, häufig mehr.
Dabei gibt es drei wieder kehrende Haupthindernisse: Zu hohe Beteiligungs-Quoren, die in zu engen Zeiträumen erreicht werden müssen. Zu viel Bürokratie, die Bürgerinnen und Bürger eher aus, statt einlädt. Zu viele Ausschluss-Gründe für direkte Mitbestimmung, allemal wenn Haushaltsfragen (5) betroffen sind oder berührt werden.

7. 

Die Forderung der PDS nach mehr direkter Mitbestimmung, nach Volks-Initiativen, -Begehren und -Entscheiden, bleibt aktuell, wichtig und drängend. Zumal vermeintliche Partner im Parteien-Spektrum (SPD, Bündnis 90/Die Grünen, ausgenommen FDP) ihre programmatische Zustimmung zunehmend opportunistisch handhaben (6).
Das grundsätzliche und verlässliche Ja der PDS zu mehr Demokratie reicht aber auch nicht. Es muss auf Bundesebene wahrnehmbar verstärkt werden. Und es ist auf Landes- und Kommunal-Ebene erneut darauf zu richten, rechtliche Hürden abzubauen. Das ist schwierig, zumal es dazu in aller Regel parlamentarischer Zweidrittel-Mehrheiten bedarf. Aber das ist politisch, weil es auf die Realität und auf Verbesserungen zielt.

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(1) siehe Programm der PDS, 2003, Abschn. III - 1

(2) Grundgesetz, Art. 21 (1): „Die Parteien wirken bei der Willensbildung mit“ - mehr nicht.

(3) „exemplarisch“ heißt auch, real gibt es in mehreren Ländern weitere Verfahren.

(4) Vgl.: www.mehr-demokratie.de

(5) siehe auch Wawzyniak/Lederer, Vorlage für den PDS-Vorstand, 26. 04. 2004

(6) Vergleich: aktuelle Debatte um Volksabstimmungen auf Bundesebene, inkl. EU-Verfassung.

 

 

 

26.4.2004
www.petra-pau.de

 

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