... wir opponieren wirklich.

Petra Pau auf dem Parteitag der PDS-Thüringen, Lobenstein, 20. 09. 2003

Gesine und ich, wir haben für nächsten Dienstag zu einer Pressekonferenz geladen. Wir wollen Bilanz ziehen über das, was wir in einem Jahr als „PDS im Bundestag“ versucht und vermocht haben - auch ohne Tische. Wir haben in unserer Einladung daran erinnert, dass wir als direktgewählte Abgeordnete mehr Stimmen auf uns vereinen, als Frau Merkel oder Herr Westerwelle. Wir werden auflisten, dass wir häufiger im Bundestag geredet haben, als das Duo Müntefering - Merz. Vor allem haben wir daran erinnert: Wir heißen nicht nur Opposition, wir opponieren wirklich.

Dafür bietet die Politik von Rot-Grün allerdings wahrlich allen Anlass. Sie hat nichts mehr mit dem zutun, was vor 1998 versprochen wurde, als es in der „Erfurter Erklärung“ hieß: „Bis hier hin und nicht weiter!“ Auch deshalb habe ich Bundeskanzler Schröder vorige Woche an ein fast vergessenes Kandidaten-Wort erinnert: „Sie wollten nicht alles anders, aber vieles besser machen. Besser haben Sie nichts gemacht, im Gegenteil! Vielleicht sollten Sie doch endlich anfangen, etwas anders zu machen, als es CDU, CSU und FDP wollen.“ Ihr könnt euch vorstellen: So manche Abgeordneten in den Reihen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen lächelten dabei sehr finster.

25 Mal Nein zum Krieg

Gesine und ich, wir müssen uns konzentrieren auf wenige, aber bestimmende Themen. Ich sage dies auch, weil ich immer wieder Post erhalte: „Warum habt ihr zu Thema x noch nichts gesagt und wieso kann ich von euch zum Thema y nichts lesen?“ Es geht einfach nicht. Der Tag hat 24 Stunden, auch der Bundestag. In dieser Frage gibt es wirklich keinerlei Privilegien.

Ein Thema aber gehörte klar und immer wieder zu unseren Markenzeichen: Die Friedenspolitik der PDS. Ich habe einmal nachgerechnet: Von 1998 bis 2002 hatten wir im Bundestag 17x über Kriegseinsätze debattiert und 17x hatte die PDS Nein gesagt. Im vergangenen Jahr kamen 8 Abstimmungen dazu und wieder haben wir Nein gesagt. Das heißt: Mit 25 Mal Nein binnen fünf Jahren dürfte ich Rekordhalterin in der Geschichte des Bundestages sein.

Das ist aber nicht der Punkt. Entscheidend ist: Früher waren Debatten über Auslandseinsätze der Bundeswehr die absolute Ausnahme. Heute gehören sie - inzwischen fast unbemerkt - zum parlamentarischen Alltag. Nun will Bundesminister Struck auch noch zusätzlich Reservisten an den Hindukusch oder wohin auch immer schicken. Auch dazu kann es für die PDS nur eine Antwort geben: „Nein!“

Aktionen gegen Agenda 2010

Ein weiterer Schwerpunkt waren die sogenannten Sozial-Reformen von Rot-Grün, egal, ob sie Hartz, Rürup oder Agenda 2010 heißen. Und da will ich einfach eine Bitte, ja eine Forderung an die eigene Partei erneuern. Wir konzipieren häufig noch Konzepte und wir planen oftmals noch Pläne, während das wahre Leben längst an uns vorbei rollt. Ich finde es richtig, dass wir als PDS am 20. 10. einen Aktionstag gegen die Agenda 2010 vorhaben und ich bin ebenso dafür, dass wir uns am 1. 11. an der bundesweiten Aktion gegen die Agenda 2010 in Berlin beteiligen.

Aber das Gros der Hartz-Gesetze, große Teile der sog. Gesundheits-Reform und wesentliche Blöcke der Agenda 2010 werden da längst den Bundestag passiert haben. Deshalb: Es bringt wenig, sich hinter den fahrenden Zug zu werfen. Diese simple Erkenntnis sollte auch zum "Neustart" gehören, den wir auf dem Parteitag im Berliner „Tempodrom“ beschlossen haben. Das ändert nichts an der berechtigten und grundsätzlichen Kritik, die wir zum Beispiel an den Hartz-Paketen haben.

„Hartz“ kostet Arbeitsplätze

Ich habe im Bundestag eine einfache Rechnung aufgemacht: Stellen wir uns vor, auf eine freie Stelle bewerben sich 50 Arbeitssuchende. Das ist in etwa das Verhältnis in den neuen Bundesländern, aber auch in anderen strukturschwachen Regionen, in Franken, im Saarland oder in Bremerhaven. Dank „Hartz“ wird schneller vermittelt. Also bekommt einer eine Anstellung. Und so verbleiben von 50 Arbeitssuchenden nur noch 49 oder 98 Prozent. Ein weiterer erweist sich als Sozialhilfebetrüger. Oder er verprasst seine Sozialhilfe unter tropischen Palmen. Ein Top-Thema für die BILD-Zeitung, für Stammtische und wie wir lernen durften, auch für Rot-Grün. Ziehen wir auch ihn ab, dann bleiben immer noch 48 Arbeitssuchende auf inzwischen keine freie Stelle, also 96 Prozent. Diesen 96 Prozent sollen die Folterwerkzeuge des „Sozial“-Staates gezeigt werden. Das ist der Kern der „Hartz“-Medizin. Die Nebenwirkungen übertreffen die Heilstoffe um Längen. Sie hat auf der Positiv-Liste nichts zu suchen.

Unsere Arbeitsminister in Berlin und Schwerin, also Harald Wolf und Helmut Holter, haben versucht, mit den Arbeitsministern aller neuen Bundesländer ein Bündnis in der Sache einzugehen. Und sie haben hochgerechnet:
Kommt „Hartz“ wie geplant, dann bedeutet das allein für den Osten einen Kaufkraftverlust von noch einmal 1,8 Mrd. €. Ich habe die SPD im Bundestag gefragt: „Ihr soziales Herz ist erkaltet, schade, aber wo bleibt ihr kühler Verstand?“ 1,8 Mrd. weniger Kaufkraft bedeuten noch mehr Pleiten und noch mehr Arbeitslose. Sie wollten die Arbeitslosigkeit mit „Hartz“ unter 3 Millionen drücken. Stattdessen erhöhen sie die Arbeitslosigkeit mit „Hartz“ weiter. Und wieder lächelten die SPD-Genossen sehr finster, während der CDU/CSU und der FDP das Ganze noch nicht weit genug geht.

Und nun kommt Oscar Lafontaine und grübelt öffentlich über eine Fusion der Ost-SPD mit der PDS nach. Ich habe schon öfter gesagt: Ich stehe für Fusionen nicht zur Verfügung, nicht für Zwangsvereinigungen, nicht für freundliche Übernahmen. Allerdings vermute ich: Oskar will uns auf den Arm nehmen. Wenn das so sein sollte, dann frage ich mich allerdings: Was soll ich ausgerechnet da?

Ost-Kompetenz statt Westalgie

Unser dritter Schwerpunkt sind natürlich die neuen Bundesländer - nicht nur Werner Schulz von Bündnis 90/Die Grünen zu Liebe. Der hatte in der Berliner Zeitung beklagt: „Seit die PDS nicht mehr mit einer Fraktion im Bundestag ist, sind auch wichtige Themen aus dem Bundestag verschwunden, vor allem die Ost-Themen!“ Wir versuchen das uns Mögliche, dass die Themen dennoch im Bundestag bleiben. Noch wichtiger ist, dass wir als Partei gemeinsam alles uns Mögliche für das Projekt 04-06 tun - 2004: Wiedereinzug ins EU-Parlament, gute Landtags-Ergebnisse und 2006: Rückkehr in den Bundestag als Fraktion.

Übrigens: Mit der Ost-Kompetenz klappt das noch immer und seien es die absurdesten Themen. Diese Woche hat Günter Netzer gemeint, Michael Ballak könne keine Führungsrolle im bundesdeutschen Fußball spielen, weil er aus dem Osten komme. Schon hatte ich die Kölner Rundschau am Telefon: „Frau Pau, was sagen sie dazu.“ Ich habe ihnen die Wahrheit gesagt: 1974 zur Fußball-WM spielte die National-Mannschaft der DDR gegen die Auswahl der BRD, in Hamburg. Das Spiel endete 1 : 0 für die DDR und das kam so. Kaum wurde Wessi Netzer für Overath eingewechselt, da hatte Ossi Sparwasser freie Bahn und schoss das entscheidende Führungstor. Es wäre historisch ungerechnet, Netzer deshalb einen „Schläfer“ zu nennen. Zumal er dann sofort ein Fall für Otto Schilys Rasterfahndungen wäre.

Aber über ein Jahrzehnt nach der Vereinigung sollte solcherart West-Arroganz wirklich passé sein. Und wenn ich auch kein großer Fan der aktuellen Ostalgie-Shows bin - nach 13 Jahren Westalgie-Show auf allen Kanälen - ausgenommen den MDR - darf auch das mal sein.

Gegen Rosenverholzung der Alt-BRD

Da ich im Bundestag nach wie vor im Innenausschuss arbeite, will ich auch zu einem anderen aktuellen Thema meine Meinung sagen: Die Rosenholz-Datei. Landauf-landab wird ja nun darüber diskutiert, wer alles erneut und wer alles nochmals auf eine eventuelle Zusammenarbeit mit dem MfS der DDR zu überprüfen sei. Ich kenne auch manchen zwischen Rügen und Sonneberg, der meint: Wir mussten, nun sollen auch die altern Bundesländer gegauckt werden. Ich finde das falsch. Wir waren dagegen, Ost-Biografien auf MfS-Akten zu beschränken. Dieselbe Verkürzung wird nicht gerechter, nur weil sie nun auf den Westen übertragen wird. Hinzu kommt: Die Rosenholz-Dateien sind durch die Hände mehrerer konkurrierender Geheimdienste gegangen. Wer nach dieser Odyssee in ihnen „nichts als die Wahrheit vermutet“, der muss mit dem Klammerbeutel gepudert sein.

Die Befürworter können sich auch nicht auf die hehren Absichten der Bürgerrechtsbewegung der DDR berufen. Leute, wie Ingrid Köppe oder Reinhard Schult, wollten die Praktiken und Machenschaften des MfS enttarnen, weil sie zugleich wollten, dass kein Geheimdienst mehr undemokratisch im Trüben fischen kann. Davon aber ist inzwischen keine Rede mehr. Es wird über Rosenholz gestritten und zugleich wird der Militärische Abschirmdienst, der Verfassungsschutz der Bundeswehr, an den Hindukusch geschickt. Das passt nicht zusammen.

Plötzlich meldet sich auch Altkanzler Kohl wieder zu Wort. Er fordert streng, die Vaterlandsverräter in den alten Bundesländern zu enttarnen. Das sei eine Frage der Ehre. Nun versuche ich mich in die Gedanken des einstigen MfS zu versetzen. Wo würde ich wohl nach Partner suchen? Allgemein zum Beispiel bei jenen, die damals für die Ost-West-Entspannungspolitik waren, und konkret zum Beispiel bei damaligen Juso-Vorsitzenden… Deshalb denke ich: Hier ist unglaublich viel rückwärtige Taktik im Spiel und verdammt wenig politische Moral. Zumal: Hat nicht derselbe Kohl sein Ehrenwort in der CDU-Schwarzgeld-Affäre höher gestellt, als das Grundgesetz und seinen Amtseid? Kurzum: Ich bin unbedingt dafür, dass die Akten den MfS offen bleiben und von Historikern erforscht werden. Aber die Rosenverholzung der Alt-BRD ist Schwachsinn!

Zukunftsprojekt oder Pflegefall

Wichtiger ist, wie wir für den Osten Zukunft gewinnen. Nicht als Hinterland für Sozialabbau, sondern als europäische Region im 21. Jahrhundert. Das ist zugleich eine West-Frage, eine bundespolitische. Und ihr kennt meine Meinung: Entweder die PDS entwickelt sich zu einer bundesweit akzeptierten modernen sozialistischen Bürgerrechtspartei oder sie verkümmert als Regional-Initiative Ost.

Umgekehrt sage ich immer wieder, wenn ich in Hamburg oder Hannover bin: Der Osten ist eure Zukunft und ihr könnt wählen zwischen einem Zukunftsprojekt und einem Pflegefall. Genau das ist auch die entscheidende Frage in den bevorstehenden Landtagswahlen. Und dieselbe Frage wird über unsere Chancen im EU-Wahlkampf entscheiden. Darum geht es auf eurem Parteitag. Er möge euch gelingen, für uns alle. Ich danke für eure Einladung.
 

 

 

20.9.2003
www.petra-pau.de

 

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