Ohne Selbstvertrauen lässt sich kein Vertrauen gewinnen

Petra Pau auf dem Frauenplenum der PDS am 15. 03. 2003 in Berlin

 1. 

Fünf Jahre war ich in der Kommunal-Politik, zehn Jahre in der Landes-Politik und seit 5 Jahren ringe ich in der Bundespolitik. Für die PDS und mit ihr.
Vielleicht ahnt ihr, wie oft ich gedacht habe: Was haben sich die Jungs dabei nun wieder gedacht. Manches Rätsel konnte ich bis heute nicht lösen. Ich denke nur an die Offerte im Bundestagswahlkampf an Oskar Lafontaine. Sie galt als Angebot für eine neue Links-Partei.

 2. 

Allerdings: Ich kenne auch genug Entscheidungen, wo ich mich frage: Was wollen die Mädels mir sagen? So ging es mir auch, als ich die Thesen zum Plenum las. Allemal bei dem Satz: „Sozialistische Politik blickt von unten auf die Gesellschaft.“ Seither grübele ich, wie das geht: von unten blickend auf etwas drauf gucken. Ich sehe Rot, aber leider nicht durch, und das ist mir zu wenig.
Kurzum: Wir können hier so tun, als seien Frauen die besseren Menschen. Wir können das sogar glauben und kultivieren. Wir sollten es aber lassen. Ich möchte, dass wir über eine bessere Politik diskutieren, als Angebot für die gesamte Partei, für eine bessere Gesellschaft.

 3. 

Richtig ist: Frauen gehören zu den Benachteiligten, weltweit, aber auch hierzulande. Wobei „benachteiligt“ ein müdes Wort dafür ist, was Frauen, insbesondere in der „Dritten Welt“, erleiden müssen.
Erst diese Woche gab es dazu im Bundestag eine Grundsatz-Debatte. Die PDS hatte 3 Minuten Redezeit. Das ist wenig, für viel Kritik. Umso mehr danke ich Sonja Kiesbauer und Vera Vordenbäumen für ihre Mithilfe.

 4. 

Jetzt will ich zur Illustration nur zwei Beispiele anführen:
Beispiel 1 - Entlohnung
Noch immer erhalten Frauen keinen gleichen Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit. Frauen im Westen erhalten 75% und Frauen im Osten bekommen 94% der vergleichbaren Männereinkommen.
Die Differenz nimmt ab, aber im Schneckentempo. Hochgerechnet können Ost-Frauen in 30 Jahren und West-Frauen in 160 Jahren mit gleichen Löhnen wie ihre Kollegen rechnen. Was auch heißt: In dieser Frage werden West-Frauen noch stärker diskriminiert, als Ost-Frauen.
Beispiel 2 - Entwicklungshilfe
Rot-Grün rühmt sich, dass die Ausgaben für militärische Auslandseinsätze seit 1998 verzehnfacht wurden. Der Opposition zur Rechten ist das sogar noch zuwenig. Das zehn Jahre alte Versprechen aber, 0,7% des Bruttosozialproduktes für internationale Entwicklungshilfe aufzubringen, wird auch durch Rot-Grün meilenweit verfehlt.

 5. 

Die strukturelle Benachteiligung von Frauen bleibt also eine aktuelle und eine weltweite Herausforderung, gerade für Linke.
In ihr steckt aber auch Missbrauchs-Potential. Ich erinnere nur an den Versuch der Grünen, den Afghanistan-Krieg in einen Feldzug für Frauenrechte umzudeuten. Auch der drohende Irak-Krieg wird von seinen Befürwortern und Befürworterinnen zunehmend mit Pseudo-Gründen, wie Frauen- und Bürgerrechte, verbrämt. Wir dürften uns einig sein: Es gibt keinen Krieg, der namens der Frau zu rechtfertigen wäre. Schon gar kein Angriffskrieg.

 6. 

Sind wir uns auch noch einig, wenn es um die Frage geht, wie die Welt wirklich neu zu ordnen ist? Mit der UNO, mit Europa, mit Globalisierungs-Kritikern und zugleich mit Mehrheiten?
Ich weiß, das Wort vom PDS-Formel-Kompromiss ist böse. Ein klassischer ist derweil fast in Vergessenheit geraten, der von Münster. Es ging gegen Kriege, es ging um die UNO und es ging um Konflikte. „Wir prüfen im Einzelfall“, wurde auf dem Parteitag als Kompromiss beschlossen. Aber egal wie die Prüfung auch ausgeht: Wir bleiben dagegen, denn wir sind links! Seither ist das Thema wieder aus der innerparteilichen Diskussion. Es taugt bestenfalls noch als Schreckgespenst gegen vermeintlich anders Denkende.
Wer so stehen bleibt, braucht sich nicht wundern, wenn andere ihm den Schneid abkaufen. Niemand hat uns im Wahlkampf das Friedens-Image geklaut - wie auch? Was uns auf die Füße fällt, das sind die selbstgelegten Eier. Und die platzen häufig, wenn gefragt wird: „Was wollt und was könnt ihr konkret tun, um Probleme zu lösen.“

 7. 

Auch dieses Manko hat wenig mit den „patriachalen Strukturen“ und „Machenschaften“ der PDS-Männer zu tun. Diese Formulierungen stammen übrigens aus dem Einberufungs-Beschluss des Vorstandes für unser Frauen-Plenum.
Ich stimme allen zu, die sagen: Wir waren als PDS schon mal weiter, wenn es Gleichberechtigung und Gleichstellung geht. Zumindest schien es so. Aber erstens halte ich wenig davon, dies den „Machenschaften von PDS-Männern“ anzulasten. Wenn es um Frauen-Rechte geht, dann ist das vor allem unsere Sache. Und zweitens: Wir haben als PDS politische Defizite im Grundsatz. Gerade deshalb ist ja die wiederbelebte Programm-Debatte so wichtig.

 8. 

Ich greife ein weiteres Thema auf: das Zuwanderungsgesetz. Es war diese Woche ebenfalls Streitpunkt im Bundestag. Um es salopp zusagen: Die Zeiten sind lausig. Die Bundesrepublik Deutschland ist - mit leichter Verzögerung - dem europäischen Trend gefolgt: politisch nach rechts. Von einem modernen, humanen Einwanderungsgesetz sind wir jedenfalls wieder weiter entfernt, als wir vor fünf Jahren hofften.

 9. 

Das betrifft gerade auch den humanen Bereich, den Umgang mit Flüchtlingen und Asylsuchenden. Und wieder sind Frauen besonders betroffen. Zumal manche Fluchtgründe „geschlechtsspezifisch“ sind, wie es polit-deutsch heißt.
Auch hierzu will ich zwei Fakten anführen, um dann zu zwei PDS-internen Problemen zu kommen.
Die Fakten: Wir haben immer und zu Recht das Asylbewerber-Leistungsgesetz kritisiert. Rot-Rot in Berlin ist dabei, Flüchtlinge in Wohnungen, statt in Heimen unterzubringen. Und Rot-Rot hat im Land Berlin begonnen, das unmenschliche Chipkarten-System für Asylsuchende abzuschaffen. Inzwischen ziehen die Berliner Bezirke nach, sofern sie nicht CDU dominiert sind. Die PDS Mecklenburg-Vorpommern hat in dieser Woche ein in der Bundesrepublik bisher beispielloses Integrationsprogramm mit dem Koalitionspartner vereinbart. Zur selben Zeit fordert Bayerns Innenminister Beckstein (CSU), ja keine Kriegsflüchtlinge aus dem Irak nach Deutschland zu lassen. Sie sollten, so Beckstein, in der Bomben-Region (Zitat) „menschenwürdig untergebracht“ werden.
Ich kommentiere das jetzt nicht.

10. 

Keineswegs selbstverständlich ist, wie wir solche grundlegenden Unterschiede innerparteilich handhaben. Und damit komme ich zum ersten angekündigten Problem.
Anstatt selbstbewusst und offensiv damit umzugehen, was zum Beispiel Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner unter widrigen Umständen leistet, pflegen wir unsere Wunden, unsere Zweifel, unser Misstrauen. Damit muss Schluss sein. Denn eine Partei, die kein Vertrauen zu sich selbst hat, die kann auch kein Vertrauen bei anderen gewinnen. Eine solche Partei macht sich selbst überflüssig und das will ich nicht.

11. 

Mein zweites PDS-Problem illustriere ich wiederum, weil exemplarisch, am Zuwanderungsgesetz. Vor drei Jahren hatten Katina Schubert, ich und andere ein eigenes Konzept für ein Einwanderungsgesetz vorgelegt. Es brach mit dem verbreiteten Leitbild vom „Ausländer als Gast und als LückenbüßerIn für Arbeitsmarktengpässe“ sowie vom „Ausländer als potentieller Bedrohung der Inneren Sicherheit“.. Es brach aber auch mit dem bis dato vorherrschenden Politik-Verständnis so mancher PDS-Akteure.
Das ND titelte damals: „Nun hat auch die PDS ihre Einwanderungs-Debatte!“ Und wir hatten sie in der Tat, während sich Kirchen, Sozial- und Migrationsverbände zunehmend für unsere Vorstellungen interessierten.

12. 

Meine damalige Kollegin Ulla Jelpke brachte den Zwist auf den Punkt. Zitat: „Ich kümmere mich um die Ausgegrenzten, die Asyl- und Schutzsuchenden, die Illegalisierten. Den Rest machen die Konzerne und der Staat ohnehin.“ Das sei nicht Sache der PDS, sagte sie.
Wofür sich Ulla einsetzte, war klassische Links-Unten-Politik. Wir hingegen wollten Mitte-Links-Optionen eröffnen. Ulla konzentrierte sich auf den Schutz der Schutzwürdigen. Wir wollten mit neuen Ideen auch um neue gesellschaftliche Mehrheiten werben.
Das war und das ist der Unterschied. Er wurde in „Gera“ zementiert. Ich will nicht, dass dieser Unterschied verwischt wird. Deshalb habe ich mich jüngst entschlossen mich auch im „Netzwerk Reformlinke“ der PDS zu engagieren.

13. 

Dort habe ich erläutert, warum ich den Begriff „Reform-Linke“ für programmatisch halte - übrigens übereinstimmend mit dem neuen Programm-Entwurf, jedenfalls im Grundsatz. Was ich zur Philosophie einer „Reform-Linke“ gesagt habe, lässt sich im Internet-Angebot des Netzwerkes oder auf meiner Web-Seite nachlesen.
Leider nicht im Angebot des PDS-Vorstandes. Dort finden sich alle Schriftstücke der KPF, Pamphlete aus der „jungen Welt“ und hinreichend Schwachsinn, der im sogenannten PDS-Forum namens der PDS verbreitet wird. Aber das ist ein weiterführendes Thema.

14. 

Ich möchte an zwei Binsenwahrheiten erinnern.
a) Die PDS ist nicht in der komfortablen Lage, dass sie das Zeitmaß politischer Auseinandersetzungen bestimmt. Den Takt geben andere vor. Wir müssen uns daher konzentrieren und mehr sputen, als bislang geplant. Das gilt nicht nur für die Gesundheitsreform und die Rürup-Kommission. Die SPD plant, das Thema im ersten Halbjahr 2003 durchzuziehen. Die PDS will im zweiten Halbjahr mit einer finalen Konferenz kontern. (nach der Kanzlerrede und den „Drohungen“ von gestern, sollten wir endlich unsere internen Zeitplanungen auf den Prüfstand stellen)
b) Wir können uns auch weiter streiten, ob wir hinreichende Konzepte haben oder nicht. Die Entscheidung liegt nicht zuletzt bei den Wählerinnen und Wählern. Und die wollen nicht nur Stopp-Zeichen sehen, sondern zunehmend Wegweiser.

15. 

Das waren zwei Beispiele, weshalb ich einem unserer Jungs leider Recht gebe muss. André Brie meinte in seiner sogenannten Dresdener Rede unlängst: Eine sozialistische Partei wird mehr denn je gebraucht. Ob dies allerdings die PDS sein kann, ist offen.

16. 

Damit komme ich zu meiner Frage. Dietmar Wittich hat analysiert, dass wir bei den Bundestagswahlen überdurchschnittlich bei Frauen verloren haben. Dazu kommt die These, dass Frauen vor allem über die sogenannten weichen Themen der Politik ansprechbar seien, wie Soziales, Familie, Gerechtigkeit usw..
Das mag stimmen. Aber was wäre die Konsequenz? Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Innen- und Finanzpolitik gelten als „harte“ Themen. Wir spüren es ja in Mecklenburg-Vorpommern, noch mehr in Berlin. Umfragen belegen, dass uns viele, allemal in den neuen Bundesländern, gute Noten für gute Absichten geben. Sie geben uns aber schlechte Noten, sobald sie Lösungen erwarten. Das ist ein Widerspruch, unser Widerspruch.
Auch darüber sollten wir reden.

17. 

Schluss-Sätze:
Ich meine, die PDS muss sich alsbald entscheiden. Wollen wir eine politische Partei mit bundesweitem Anspruch sein. Oder erschöpfen wir uns als diffuse Bewegung mit männlich-derben Presse-Erklärungen.

18. 

Ich will es noch zuspitzen: Die PDS bzw. PDSler haben sich an Wahlen beteiligt: in Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Dabei wurden die ohnehin schwachen Ergebnisse der Bundestagswahl fast durchweg halbiert. Überwiegend in statutenwidrigen Bündnissen mit der DKP und zuweilen - obwohl vom Vorstand anders beschlossen - mit Mitteln der Bundes-PDS.

19. 

Was also ist der Kurs, die Substanz und das Gemeinsame, das uns aktiviert? Darüber lasst uns streiten. Mein Credo ist bekannt: „Versuchen wir das fast Unmögliche!“
Ich will eine 2. Erneuerung der PDS. Ich will eine Politisierung der PDS. Und ich will dadurch helfen, das fast Unmögliche zu packen: Die Wiederwahl ins Europa-Parlament und die Rückkehr mit einer Fraktion in den Bundestag, als sozialistische Fraktion.
 

 

 

15.3.2003
www.petra-pau.de

 

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