„Rot-Grün unterwirft sich den Interessen des Kapitals“

Die stellvertretende PDS-Parteivorsitzende Petra Pau plädiert für einen radikalen Neuanfang in ihrer krisengeschüttelten Partei
Interview mit der „Welt am Sonntag“ am 11. 10. 2002, erschienen am 13. 10. 2002

WELT am SONNTAG: Frau Pau, die PDS ist mit nur noch zwei Sitzen im Bundestag vertreten und in sich zerstritten. Sind sie auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit?

Petra Pau: Wir haben im Bundestag weniger Rechte und geringere Möglichkeiten als die PDS seit 1990 je hatte. Das schlägt natürlich auch negativ für die Partei insgesamt, auch für ihre bundesweite Ausstrahlung zu Buche. Ich sehe zwei Szenarien: Die PDS verharrt, sie kommt 2004 nicht wieder ins EU-Parlament und sie verpasst bei der Bundestagswahl 2006 erneut die 5-Prozent-Hürde. Das halte ich für durchaus wahrscheinlich. Oder die PDS rafft sich beginnend mit unserem Parteitag an diesem Wochenende zu einer zweiten Erneuerung auf, politisch, programmatisch, personell. Sie versucht also das fast Unmögliche. Ich will das.

WamS: Ist denn für Ihre Partei überhaupt noch Platz im politischen Spektrum, wenn die SPD zentrale Politikfelder der PDS besetzt?

Pau: Ganz klar: Ja. In ihrer ganzen Grundausrichtung ist die SPD derzeit keine wirkliche Alternative zur CDU/CSU. Egal, ob es um die Wirtschafts-, Finanz- oder Sozialpolitik geht, auch Rot/Grün unterwirft sich den weltweiten Interessen des Kapitals. Bundesweit definieren sich 20 Prozent und mehr aller Bürgerinnen und Bürger als links. Sie leben Werte, die wir als PDS vertreten, sie hegen Hoffnungen, die wir als PDS politisch aufnehmen. Dass sich am 22. September dennoch nur vier Prozent für uns entschieden haben, dass viele nicht oder lieber SPD gewählt haben, das ist natürlich unser Problem.

WamS: Also doch ostdeutsche Regionalpartei ...

Pau: Ich höre so etwas zuweilen selbst aus der PDS, zum Beispiel aus Dresden. Der kluge Sachse würde sagen: absoluter Quark. Sozialistische Politik lässt sich nicht regionalisieren, schon gar nicht in Zeiten der Globalisierung. Viele Probleme der neuen Bundesländern sind auch in den alten angelegt - allemal die Massenarbeitslosigkeit und die Aufkündigung der Solidarsysteme. Wir brauchen also gemeinsame Lösungen. Deshalb bleibe ich dabei: Die PDS muss sich bundesweit zu einer modernen sozialistischen Bürgerrechtspartei entwickeln. Anderenfalls verliert sie sich tatsächlich als Bürgerinitiative-Ost.

WamS: Hat die PDS durch die Zusammenarbeit mit der SPD in den Ländern ihr Profil verloren?

Pau: Nein. Sie hat nicht Profil verloren, sondern bislang zu wenig entwickelt. Das ist unser eigentliches Problem. Ich will das mit zwei Überlegungen verdeutlichen: Der PDS werden hohe Image-Werte als Partei des Friedens und der sozialen Gerechtigkeit bescheinigt, auch, sobald es um mehr Gleichberechtigung zwischen neuen und alten Bundesländern geht. Das ist und bleibt wichtig. Wird allerdings nach der Kompetenz der PDS gefragt, dann traut man uns nicht allzu viel zu. Unser politischer Gebrauchswert wird offenbar für zu leicht befunden. Das kann ich für falsch und ungerecht halten. Es ist so. Hinzu kommt ein programmatisches Defizit. Wir definieren uns als sozialistische Partei, nicht kommunistisch, nicht sozialdemokratisch. Was aber macht die neue Linke aus, jenseits des Staats-Sozialismus und nicht im alten sozialdemokratischen Etatismus verhaftet? Dies zu klären und in praktische Politik zu übersetzen, das gehört zur Profil-Frage. Deshalb fordere ich ja auch: Bis Ende 2003 ist ein neues PDS-Programm zu erarbeiten, zu diskutieren und zu beschließen.

WamS: Wenn wir schon einmal bei Visionen sind: Wie wünschen Sie sich das Deutschland des Jahres 2020?

Pau: Die Menschen, die dank Wissenschaft und Fortschritt neben die Produktion treten, verfügen endlich auch über den wachsenden gesellschaftlichen Reichtum, der damit einhergeht, anstatt in wachsenden Teilen zu verarmen.

WamS: Also doch: Karl Marx soll auferstehen ...

Pau: In dieser Frage hatte er doch einfach Recht. Darüber hinaus wünsche ich mir, wenn ich an 2020 denke: Die drohende Klima-Katastrophe konnte gerade noch abgewendet werden, weil ihre längst wahrnehmbaren Vorboten doch noch ernst genommen wurden. Und schließlich: Anett Schneider, geboren 1980 in Karl-Marx-Stadt, ...

WamS: ... das heißt inzwischen wieder Chemnitz!

Pau: ...wird zur Präsidentin der Bundesrepublik Deutschland gewählt.

Das Interview führte Ralf Georg Reuth.

 

 

11.10.2002
www.petra-pau.de

 

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