Gründe für die „rote Karte“ am 22. September

1. Mai 2002 - Rede auf der PDS-Kundgebung
Berlin, Alexanderplatz

I. Tradition

PDS-Kundgebung am 1. Mai 2002 auf dem Berliner Alexanderplatz; Foto: Elke Brosow(1)
Es ist eine gute Tradition, dass wir uns alljährlich nach der DGB-Kundgebung hier, auf dem Berliner Alex, versammeln.
Es ist nicht gut und ich bin auch nicht bereit, es als Tradition zu dulden, wenn am 1. Mai, hier, in der Hauptstadt Berlin, rechte Kameraden aufmarschieren.
Berlin braucht keinen dumpfen Nationalismus, keinen Rassismus oder Anti-Semitismus.
Friedliebend, tolerant, multi-kulturell und weltoffen, nur so hat Berlin eine Zukunft.
 
(2)
Das Berliner Bündnis gegen Rassismus in Europa - darunter die PDS - hat dazu aufgerufen, gegen den Aufmarsch der NPD Gesicht und Zivilcourage zu zeigen.
Zur Zeit sind viele Berlinerinnen und Berliner in Hohenschönhausen. Sie zeigen Gesicht und Zivilcourage. Und ich ermutige Sie alle hier auf dem Alex, fahren Sie nach dieser kurzen Kundgebung hin und verstärken Sie den Protest gegen alte und neue Nazis.
Berlin ist bunt, nicht braun!

II. Effenberg

Manchmal bedarf es sogenannter Quereinsteiger, um politische Schieflagen zu erhellen.

Ein solcher Querkopf gab neulich dem "Playboy" ein Interview. Darin verhöhnte er Arbeitslose als Faulpelze und Sozialhilfeempfänger als Schmarotzer.
Der Trainer von Bayern München zeigte seinen Fussball-Millionär daraufhin die rote Karte.
Er musste zwei Spieltage pausieren.

Ich frage Sie: Warum? Was hat Effenberg anderes gesagt, als CDU/CSU-Politiker, wie Stoiber, Koch oder Beckstein?
Wer will denn die Arbeitslosenbezüge kürzen und wer unterteilt denn die Menschen in Nützliche, Unnütze und Ausnutzende, also Schmarotzer?
Die rote Karte für Effenberg ist mir Wurscht. Viel wichtiger ist die rote Karte für Stoiber & Co. Nicht nur für zwei Spiele, denn es geht nicht um Spiele, sondern am 22. September, zur Bundestagswahl.

III. Stoiber und Beckstein

Edmund Stoiber hat jüngst moniert: Rot-Grün habe eine Steuer-Reform hingelegt, bei der die großen Konzerne einen Reibach gemacht haben, während die Klein- und Mittelständigen in die Röhre guckten.

Ich stimme Herrn Stoiber selten zu. Aber wo er Recht hat, hat er Recht.
Bis auf eine große Kleinigkeit. Die Damen und Herren der CDU/CSU sind vergesslich und sie setzen auf Vergesslichkeit.

Rot-Grün hat fortgeführt, was Schwarz-Gelb vorgeführt hat.
Kanzler Schröder hatte 1998 versprochen: Wir werden nicht alles anders, aber vieles besser machen.

Kandidat Stoiber könnte nun fast wörtlich wiederholen: „Ich werden nicht alles anders, aber vieles gründlicher machen.“
Und das glaube ich gern. Allein, wenn ich höre: Stoiber hat den Bayerischen Innenminister Beckstein im Gepäck.
Einen Hardliner, der vom Kollegen Schill aus Hamburg, genannt „Richter Gnadenlos“ in höchsten Tönen gelobt wird, der keinerlei Berührungsprobleme mit Rechtspopulisten, wie Haider und Berlosconi hat, und der gern die Bundeswehr im Innern der Republik einsetzen will.
Ein solches Duo - Stoiber-Beckstein - darf keine bundespolitische Macht bekommen. Deshalb: Die rote Karte!

IV. Politikwechsel - Erfurter Erklärung

(1)
Vor vier Jahren demonstrierten in Berlin rund 100.000 Menschen aus der gesamten Bundesrepublik.
Sie wollten nach 16 Jahren Kohl-Regierung und Sozialabbau einen Politik-Wechsel.
Ein zentraler Satz hieß: „Bis hierhin und nicht weiter!“
Die Abschluss-Kundgebung fand wenige Meter von hier, dort drüben auf der verlängerten Karl-Marx-Allee statt.
Viele Hoffnungen ruhten damals auf Rot-Grün. Die Fakten, vier Jahre danach, sind ernüchternd.

Vier Millionen Arbeitslose - plus-minus - sind vier Millionen Menschen, ausgegrenzte, Schicksale.
Das ist und bleibt ein Grund-Übel und es ist nicht kleiner geworden. Der versprochene Politik-Wechsel blieb aus. Oder anders gesagt: Er steht noch an. Und dafür lasst uns weiter streiten.

(2) „Riester-Rente“
Wir sollten auch nicht länger prima Sprach-Schöpfungen glauben, die das Gegenteil von dem verheißen, was wirklich Sache ist.
Überall wird geworben: Dank Riester gäbe es eine staatlich geförderte Zusatz-Rente. Pustekuchen: Die Rieser-Rente ist keine Zusatz-, sie ist nicht einmal eine Ersatz-Rente für das, was an bislang garantierten Renten-Bezügen zugunsten der Banken und Versicherungen gestrichen wurde.
Vor allem aber bricht die allseits gefeierte Riester-Rente mit dem Solidar-Prinzip. Arbeit-Geber und Arbeit-Nehmer werden nicht mehr pari-pari zur Kasse gebeten. Die Lasten werden einseitig auf die Arbeitenden und späteren Rentenbezieher verschoben.
Nimmt man dann noch hinzu, dass die großen Gewinner immer weniger Steuern bezahlen, und dass folglich das Gros der Steuern von den einfachen Arbeitsnehmerinnen und Arbeitnehmer kommt, dann wird auch klar, wer die sogenannten staatlichen Zuschüsse zur Riester-Rente wirklich bezahlt.
Das ist weder sozial, noch solidarisch. Das ist pure Ver-Riesterung.

V. IG-Metall

Mit ganz wenigen Zahlen - ich verspreche es - will ich illustrieren, was ungesund und folglich nicht hinnehmbar ist.

Zwischen 1993 und 2000 haben die Kapital-Gesellschaften ihre Netto-Gewinne um 85 Prozent erhöht. Die abhängig Beschäftigten haben im selben Zeitraum Reallohnverluste von 6,4 Prozent erlitten.

Allein in den beiden ersten Regierungsjahren von Rot-Grün, zwischen 1998 und 2000, sind die Ausschüttungen und Gewinnentnahmen der Unternehmen um 21 Prozent gestiegen, während die Netto-Löhne und Gehälter nur um rund 1 Prozent zunahmen.

Deshalb sage ich: Unsere Solidarität gehört der streikbereiten IG-Metall, die das nicht länger hinnehmen will.

VI. Bund-Länder-Schieflage

Die Steuergeschenke, die Rot-Grün verteilt hat, haben noch einen anderen Verlierer.
Denn sie gehen hauptsächlich zu Lasten von Ländern und Gemeinden. Deren Finanzloch wurde allein im vergangenen Jahr von 29,6 Milliarden DM auf 92,3 Milliarden ausgeweitet.

Das ist kein abstraktes, sondern auch ein Berliner Problem. Berlin hat das größte Banken-Desaster in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hingelegt.
Beschreibungen, wie „abartig“ oder „unglaublich“, treffen daher unbedingt zu. So, wie die Schuldigen ermittelt und - so weit es geht - natürlich bestraft werden müssen. Darauf drängen wir, im parlamentarischen Untersuchungsausschuss, und dass erwarten wir von der Sonderermittlungs-Kommission, die durch Rot-Rot in Berlin deutlich aufgestockt wurde.

Aber, auch das muss man wissen:
Die rot-grüne Steuer-Reform bringt dem Land Berlin derzeit jährlich mehr Verluste, als die beispiellose Banken-Krise.
Auch deshalb:
Aufräumen im Land und Politikwechsel im Bund, das sind zwei Seiten derselben Medaille.
Ich will das, Sie wollen das, die PDS will das: Also lassen Sie uns gemeinsam Druck machen.

VIII. Krieg & Frieden

Ein Thema gehört unbedingt zum 1. Mai und es ist leider brisant-aktuell. Unsere Kurz-Formel dazu heißt: „Kein Krieg! Nirgendwo!“
Aber es herrscht Krieg und die offizielle Bundesrepublik Deutschland ist dabei.

Wir haben vor nunmehr fast acht Monaten, unmittelbar nach dem 11. September, gewarnt: Den Kampf gegen den Terrorismus kann man gewinnen, einen Krieg dagegen nicht.
Ich wiederhole aktuell:
Der Nah-Ostkonflikt lässt sich weder durch Terror, noch durch einen Territorial-Krieg lösen.
Und ich warne:
Massive Kriegs-Pläne, z. B. gegen den Irak, machen unsere Welt nicht sicherer, sondern zu einem unberechenbaren Pulver-Fass.
Deshalb:
Vernunft ist das einzige, was zählt.
Und deshalb:
Es gibt derzeit - leider - nur noch eine Partei im Bundestag, die friedensbewegt ist und Friedensbewegte vertritt.
Das ist schlimm!
Aber, so finde ich, ein Grund mehr für die rote Karte, die PDS-Karte am 22. September.
 

 

 

1.5.2002
www.petra-pau.de

 

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