„Den Politikwechsel erarbeiten...!“

aus dem Referat von Petra Pau, PDS-Landesvorsitzende, auf der 4. Tagung des 7. Landesparteitags der Berliner PDS am 3. März 2001

I.

Es ist unser erster Landesparteitag nach dem Bundesparteitag von „Cottbus“. Ich sage das auch, um uns eine kurze Denk-Pause zu ermöglichen. Darüber, was uns in den fünf Monaten seither bewegte, oder was wir selbst bewegten.

a) Ein zentrales Thema war die Rentenreform. Eine Reform, die allen gebetsmühlenhaft vorgetragenen Hoheliedern zum Trotz, eben nicht nach vorn weist. Und wenn gar von einem Jahrhundert-Werk die Rede ist, dann sage ich: Ja! Aber keines, fürs 21., sondern eines aus dem 19. Jahrhundert.

Das „Solidar-Prinzip“ wurde aufgekündigt, die Renten werden geschrumpft, die Armen werden geschröpft, Frauen werden benachteiligt, und die Banken frohlocken. Wir haben das mit einer außerparlamentarischen Kampagne unterstrichen und wir bleiben bei unserem klaren Nein, als Partei sozialer Gerechtigkeit.

b) Ein weiteres zentrales Thema war und bleibt die Sicherheits- und Außenpolitik. Ich traue mich gar nicht zu sagen – von Rot-Grün. Denn die von Fischer und Scharping vertretene Politik hat weder etwas mit Rot noch mit Grün zu tun.Als ich zum Jahresempfang des Bundeswehrverbandes war, also grob gesagt, der Gewerkschaft der Bundeswehr, trat auch die parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Schulte ans Pult.

„Wer heute Zeit- oder Berufssoldat wird“, sagte sie, „muss wissen, dass sein Einsatzort nicht die Bundesrepublik Deutschland ist.“ Offene Worte einer SPD-Frau. Selbst anwesende Offiziere guckten finster ins Rund und murmelten etwas von Verteidigungs-Auftrag und nicht verheizen lassen. Auch hier sagen wir Nein, als konsequente Anti-Kriegs-Partei.

(...)

c) Ein bleibendes Thema ist der grassierende Rechtsextremismus.

Auch hierzu zwei aktuelle Anmerkungen: Wenn Edmund Stoiber mordende Skinheads in einem Satz mit der PDS zusammenbringt, wie diese Woche geschehen, dann hat das nichts, aber auch gar nichts mehr mit Aschermittwoch zu tun. Diese Beleidigung unserer Partei, und dazu gehören viele, die durch die KZ-Höllen des Faschismus getrieben wurden, ist eine Ungeheuerlichkeit.

Die andere ist die damit einhergehende Verharmlosung rechtsextremistischer Gewalttaten. In den zurückliegenden zehn Jahren wurden in Deutschland 100 Menschen von Rechtsextremen in den Tot gehetzt, erschossen, erschlagen oder zertreten. Auch diese Opfer werden durch Reden a lá Stoiber verhöhnt.

Deshalb sage ich: Wer so denkt, wer so spricht, wer so höhnt, der sollte besser schweigen, allemal zu Kanzler-Karrieren.

Die PDS wird, wie auf dem Cottbusser Parteitag beschlossen, im Mai in Berlin eine Konferenz zum Rechtsextremismus durchführen. Und der PDS-Vorstand hat das Angebot der NELF-Parteien aufgenommen. Sie führen ihre alljährliche Tagung zum selben Zeitpunkt in Berlin durch. Ebenfalls zum Thema Rechtsextremismus, der bekanntlich eine internationale  Dimension hat. Außerdem haben Bundestags-Fraktion und PDS-Vorstand beschlossen, ein sechstes Forum2000plus einzurichten: „Für eine tolerante Gesellschaft – gegen Rechtsextremismus und Rassismus!“ Das Eröffnungs-Podium soll mit der internationalen PDS-Konferenz zum Rechtsextremismus korrespondieren und am Folgetag stattfinden. Ich werbe also dafür und empfehle Euch, das Wochenende 12. und 13. Mai dick im Kalender anzukreuzen.

Lasst mich, ehe ich direkt auf Berlin zu sprechen komme, ein weiteres Thema ansprechen.

Zumal es wie ein Steh-auf-Männchen immer wieder auf die Tagesordnung kommt: Die Berlin-Brandenburger Länder-Fusion. Vorigen Monat wurde eine neue Arbeitsgruppe der PDS gebildet, in der auch Berliner Genossinnen und Genossen mitarbeiten. Dabei geht es auch um die Frage möglicher Länder-Fusionen, aber keines weg nur und keineswegs so, wie es sich Brandenburgs CDU-Innenminister Schöhnbom vorstellt. Denn nach allem was ich höre und sehe, will Schönbohm das 96er Drama erneut aufführen: Forsch im Ton, aber standhaft auf jener Stelle trampelnd, wo er seine vorletzte Niederlage erstritt.

Da kann ich nur sagen:  Es gibt Täter und es gibt Wiederholungstäter.

Letztere gelten zu recht als schlimmer.

Unsere Fragen sind weitergehend: Was machen wir mit dem föderalen System, das aus gutem Grund in der Nachkriegs-BRD eingeführt wurde? Was machen wir mit einem föderalen System, das längst in arge Schieflagen geraten ist? Was machen wir mit „unserem“ föderalen System, vor dem Hintergrund europäischer Entwicklungen? Und zwar sozial, solidarisch und deshalb zukunftsfähig.

In diesem Kontext stellt sich auch die Frage nach der künftigen Länderstruktur der Bundesrepublik Deutschland. Und aus diesem Kontext heraus erübrigen sich auch alle Verkürzungen, nach dem Motto: Wann soll abgestimmt, wann soll Berlin-Brandenburg fusioniert werden. Die Berliner Parteien-Landschaft bewegt sich in dieser Frage. Und auch hier hat sich herum gesprochen, dass es ohne PDS  nicht geht. Wenn es aber ohne PDS nicht geht, dann sollten wir auch entsprechend selbstbewusst agieren. Und deshalb möchte ich gern noch mal klarstellen: Klein-Preußen ist für uns nicht der Weisheit letzter Schluss.

Aber das Thema Föderalismus ist ein aktuelles, es ist ein drängendes, und deshalb wird die PDS im Spätherbst dazu eine extra Konferenz durchführen, und zwar im Saarland.

II.

Kommen wir zur aktuellen Affäre der CDU, diesmal der Berliner.

Wobei ich mich weigere, von einer Berliner Affäre zu sprechen, denn die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner sind die Leidtragenden, sie müssen die Suppe auslöffeln, die ihnen wieder einmal eingebrockt wurde. Die 40.000 Mark Spenden, die CDU-Fraktionschef Landowsky angenommen und herrschaftlich verteilt hat, sind nur die eine Seite der Medaille. Gleichwohl handelt es sich nicht um eine Lappalie, die durch ein CDU-internes Ehrengericht abzuhaken sei.

Es ist ein weiterer CDU-Rechts-Bruch. Womit ich bei Eberhard Diepgen wäre.

Offensichtlich sitzt er zwischen allen seinen Stühlen, und so blickt er auch drein. Als Regierender sagt er, er fühle sich vom Pferd getreten. Als CDU-Vorsitzender sagt er, Landowsky hat meine Solidarität. Als Justizsenator sagt er: Nix! (...) Ganz sachlich: Eberhard Diepgen kann und darf nicht länger den solidarischen Außenseiter spielen. Jedenfalls werden wir ihm das nicht durchgehen lassen.

Die andere Seite der Medaille sind die Geschäftspraktiken der Landesbank Berlin. Sie wiegen, nach allem was bislang bekannt wurde, millionenschwer. Sie führen zu weiteren Einnahmeverlusten des Landes Berlin. Und das wird sich bis in die Bezirke, in die Kieze, ja bis in Kitas hinein auswirken. Der naheliegende Verdacht, dass bei alledem eine CDU-Hand die andere CDU-Hand wusch, ist nicht vom Tisch. Im Gegenteil, er bekommt immer neue Nahrung. Ich halte es jedenfalls für einen Skandal ersten Ranges, wenn eine landeseigene Bank Programme auflegt, nach denen wohlhabende Anleger ihre Knete ohne jegliches Risiko verdoppeln können. Und bei dem von vornherein konzipiert ist: Im Zweifelsfall zahlen die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.

Die CDU hatte hinreichend Zeit, Licht ins Dunkel zu bringen.

Beschäftigt hat sie sich bislang bestenfalls mit dem i-Punkt, aber nicht mit dem „i“ selbst. Und herausgekommen ist bisher nur eine grummelnde Solidarität mit CDU-Fraktionschef Landowsky. Landowsky galt bislang als Zentralkomitee der Berliner CDU. Das gehört übrigens zu seiner viel gelobten, aber zweifelhaften Lebensleistung.

Und damit bin ich bei dem eigentlichen Problem, das die aktuelle Affäre erhellt hat.

In der auch von mir unterzeichneten Resolution - „Der Stadt eine attraktive Alternative zum Berliner Filz anzubieten“ – steht: „Es geht darum, das System Landowsky zu beenden, jene Mentalität, die Berlin quasi als private Macht- und Reichtumsquelle betrachtet, derer man sich nach Gutdünken bedienen kann. Es geht darum, den Westberliner Klüngel durch eine gesamtstädtische Politik zu ersetzen.“ Mit anderen Worten: Es geht um ein „System“, nicht nur um „Landowsky“. Es geht um eine „gesamtstädtische Politik“, und nicht nur um zwei Spenden-Kuverts, die dumm gelaufen und nicht verbucht wurden.

Die Frage, die folgt, ist allerdings klassisch: Was tun?

Ich habe die Resolution von Bündnis 90/Die Grünen wohl zur Kenntnis genommen. Ebenso ihr Gesprächsangebot an SPD und uns, gemeinsam zu beraten, wie diese CDU aus der Regierung zu bringen sei. Ich schätze dies auch nicht gering. Zumal: So lange ist es noch nicht her, da wurde Christian Ströbele auf einer bündnis-grünen Delegiertenkonferenz examiniert, ob und mit welchem Recht er mit PDS-Mitgliedern im allgemeinen und mit mir im Besonderen geredet habe. (...) Das aktuelle Problem, und deshalb habe ich auch vor Abenteuertum gewarnt, ist etwas anderes.

Dass es arithmetisch Mehrheiten diesseits der CDU gibt, ist seit langem stadtbekannt, zumindest für alle, die zählen können: Und ebenso klar ist: Ohne oder an der PDS vorbei, wird es keinen Politikwechsel im Lande Berlin geben.  Nur, ein Politikwechsel ist kein Stühle rücken. Da muss, wie die Nordländer sagen, „Butter bei die Fische“. Und deshalb sage ich: Wenn Politiker von Bündnis 90/Die Grünen ihr Gesprächs-Angebot auch damit  begründen, dass sie ja vor zwei, drei Jahren ein lecker Wahlprogramm vorgelegt hätten, das nun im flotten Dreier umgesetzt werden könne, dann ist das zu wenig. Denn mindestens Dreierlei wird damit ausgeblendet:

a) Berlin ist dynamisch, leider auch in seinen Negativ-Entwicklungen.

Deshalb kann man nicht einfach drei Jahre alte Programme aufrufen und sagen: Das ist es. Schon gar nicht angesichts leerer Berliner Kassen.

b) Ein Politikwechsel ist keine Angelegenheit, der zwischen Parteien auszuhandeln ist. Es ist eine gesellschaftliche Herausforderung. Und dementsprechend muss eine gesellschaftliche, politische, inhaltliche  Debatte her.

c) Und schließlich muss man sich auch verantwortungsbewusst fragen: Was droht, wenn ein zu wenig vorbereitetes und wie auch immer geartetes Kooperationsmodell SPD-PDS-Bündnis/Grüne scheitert. Ich sage voraus: Auf Jahre hinaus eine CDU-Allein-Regierung. Und das wäre genau das Gegenteil von dem, was angesagt und gewollt ist.

Der PDS-Landesvorstand hat im November vorigen Jahres auf einer Klausur gemeinsam mit Gabi Zimmer und gemeinsam mit dem Fraktionsvorstand im Abgeordnetenhaus genau diese strategische Optionen erörtert. Die Substanz dieser Analyse findet sich im Papier „Vor der Kür kommt die Pflicht“ wieder, das Carola Freundl und Harald Wolf Anfang des Jahres vorlegten.

Die zentrale Aussage ist: Es gibt viel mehr zu tun, als nur zu wollen: In die Gesellschaft und in die eigene Partei hinein. Noch mal ganz klar gesagt und wiederholt: Die große Koalition hat nicht nur abgewirtschaftet, sie wirtschaftet Berlin ab, sie gehört selbstverständlich abgelöst. Aber die Alternative zu ihr muss substanziell und krisenfest sein. Und dazu gehört auch, dass die Berliner SPD springen muss, und zwar über ihren eigenen Schatten. Der demokratische Neuanfang in Berlin lässt sich nicht einfach beschließen. Er muss erarbeitet werden. Und darauf sollten wir uns heute verständigen. Übrigens auch in der Annahme, dass wir nicht alle Zeit der Welt haben. Krisen haben oft ihre Eigendynamik. Und sie richten sich selten nach PDS-gewohnten Abläufen.

III.

2001 ist das erste Jahr nach der Bezirksgebietsreform und zugleich mit Blick bis 2004  - wahrscheinlich - das letzte wahlfreie Jahr. Es ist ein Schlüsseljahr für die programmatische Debatte. Und es muss (auch durch die Berliner PDS) öffentlich belegt werden, dass die PDS auch ohne Lothar Bisky & Gregor Gysi an der Spitze eine bundesweit relevante politische Alternative ist. Vor diesem Hintergrund sehe ich für das laufende Jahr 3 Schwerpunkte:

1. Bezirke stabilisieren und aktivieren

2. Wahlen vorbereiten (2002 bis 2004)

3. Programm-Debatte führen

Das dies Konsequenzen für Arbeitsorganisation, Öffentlichkeitsarbeit, Strukturen und mit Prioritäten zu tun hat, ist naheliegend.

zu 1. Die PDS hat ihr „Optimal“-Ziel erreicht – drei Bezirksbürgermeister. Nach außen wurde die Bezirksreform mit positiven Werten für die PDS abgeschlossen. Nicht abgeschlossen sind die PDS-internen Fusionen.

Es bleiben u.a. politisch-kulturelle Differenzen, die produktiv zu wenden sind. Es stehen Personalentscheidungen unter den hauptamtlichen Mitgliedern an.) Die politische Stabilisierung – auf höherem Niveau – ist aber nicht nur für die Handlungsfähigkeit und Ausstrahlung der PDS auf Bezirksebene wesentlich. Sie ist eine Grundvoraussetzung für die bevorstehenden Wahlkämpfe. (...)

zu 2. Es geht um den gestärkten Wiedereinzug in den Bundestag (2002) und um die AGH- und BVV-Wahlen. Darüber hinaus hat die Berliner PDS Wahlkämpfe in anderen Bundesländern zu unterstützen, und sie tut das in bewährter Weise. Das Bundestags-Wahlziel lautet 6-Prozent-plus-X. Gleichwohl ist allein die 5-Prozenthürde eine ernsthafte Herausforderung Für die Berliner PDS bleibt die Aufgabe, den Wiedereinzug durch mindestens drei Direktmandate abzusichern. Ziel sind fünf Direktmandate. Dabei haben wir es mit neuen Bedingungen zu tun: Zwei seien genannt: Mit Lothar Byski., Gregor Gysi. u.a. stehen bislang profilbestimmende Persönlichkeiten nicht mehr zur Verfügung. Wobei ich mir bei Gregor zum Glück nicht sicher bin. Außerdem wurden die Wahlkreise bundespolitisch zuungunsten der PDS neu geschnitten. Wir werden noch in diesem Jahr miteinander zu beraten haben, wer sich in welchem Wahlkreis aussichtsreich um ein Direktmandat bewerben könnte. Eine Findungskommission á la 1994/98 wird es nicht wieder geben. Um so größer ist der Anspruch an Kooperationsbereitschaft und Verlässlichkeit zwischen Parteivorstand, BT-Fraktion, Landesvorstand und den Bezirken.

zu 3. Das Hauptmanko der bisherigen Programm-Debatte war, dass sie nicht wirklich geführt wurde, jedenfalls zu wenig in der Sache. Öffentlich – aber auch innerparteilich – überwogen Auseinandersetzungen über das Ob, Wie und Wann. Dieses Manko ist 2001 aufzubrechen und ich meine, wir sind endlich auf dem richtigen Weg. Der Landesvorstand hat entsprechende Beschlüsse gefasst und nächsten Sonntag wird es die nächste Beratung mit den Genossinnen und Genossen geben, die in den Bezirken die programmatische Debatte koordinieren.

Die Berliner PDS hat es übernommen, das Thema Demokratie und Bürgerrechte als bundesweites Angebot aufzubereiten, dazu Diskussions-Thesen und Anfang September eine Veranstaltung (Konferenz, Workshop o.ä.) durchzuführen. Damit entsprechen wird dem fortgeltenden Beschluss von „Münster“. Der Landesvorstand hat sich für dieses Thema entschieden, weil es PDS-profil-bestimmend ist und weil wir für die Vorbereitung Personal und Kompetenzen haben. (...)
 

 

 

3.3.2001
www.petra-pau.de

 

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