Bundestag, aktuelle Stunde zum Thema „Antisemitismus“

05. 06. 2002
Für die PDS-Fraktion sprach Petra Pau, stellv. Fraktionsvorsitzende.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich bitte Sie, ein wenig zurück zu blicken und sich mit mir zu erinnern. Im Juli 1999, also vor knapp drei Jahren, brachte der „stern“ ein Interview mit Ignatz Bubis. Damals wussten wir noch nicht, dass es mehr als ein Interview war. Es war ein Lebens-Resümee, denn wenig später verstarb der damalige Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland. Auf die Frage, „was haben Sie bewirkt?“, sagte er resigniert: „nichts, fast nichts!“

Ich räume gern ein: Damals empfand ich seine Einschätzung als zu resignierend, als zu düster, als zu hoffnungslos. Dabei kannte ich die Zahlen, denn die PDS-Fraktion erfragt sie regelmäßig und seit Jahren. So wurden allein im Zeitraum 1998 bis 2001, also binnen nur vier Jahren, 3.473 antisemitische Straftaten registriert, das heißt: Tag für Tag fast 2 ½.

Und wir alle wissen: Antisemitismus misst sich mitnichten an der amtlichen Statistik. Sie schönt, was schlimm ist. Und sie unterschlägt, was unterhalb des Strafmaßes den Nährboden für Exzesse bietet.

Günter Gaus schrieb unlängst - nicht ohne zu stocken, ob des folgenden Begriffs - wie er meinte, von einer „arglosen Grenznähe zum gewöhnlichen Antisemitismus“, die sich weit verbreite.

Nachdem Ignatz Bubitz verstorben war, mangelte es nicht an guten Worten. Und an schlechten! Ich meine nicht jene, aus der ganz rechten Ecke, sondern Nachrufe selbst aus Regierungs-Stuben, die missverstehender nicht sein konnten. So lobte der damalige Regierungssprecher: Bubis habe mit nie versiegender Kraft dazu beigetragen, dass die Schatten der Vergangenheit kleiner werden!

Gründlicher kann man ein Lebenswerk nicht ins Gegenteil verkehren. Denn Bubis mahnte gegen das Vergessen, gegen das Verdrängen, gegen das Verkleinern dessen, was verharmlosend „Schatten“ genannt wird. Er beklagte sich bitter: „Ein Großteil der Bevölkerung denkt wie Martin Walser - Ende. Schluss machen, nur noch nach vorne schauen!“

Und was ist da vorne? Höre ich von da vorne nicht bereits lautes Nachdenken, die Bundeswehr solle eingreifen, zwischen Palästina und Israel? Ganz normal?

Wenn ich Worte von Ignatz Bubis hier in Erinnerung rufe, dann auch, weil jene Jüdinnen und Juden, die in Alltags-Angst leben, deren Gebete oder Schulen mit Sperrzäunen und Maschinen-Gewehren geschützt werden müssen, kaum mehr Gehör finden. Dass auf dem Berliner Ku-Damm jüngst Juden überfallen wurden, weil sie Juden sind, war gerade noch eine kurze Meldung wert.

Auch deshalb finde ich: Es greift wieder einmal viel zu kurz, wenn der Eindruck erweckt und verstärkt wird, es ginge aktuell um eine Auseinandersetzung zwischen dem Zentralrat der Juden in Deutschland und Exponenten anderer Meinung. Es geht um ein gesellschaftliches Problem, das nicht delegierbar ist.

Vielleicht hätte wir ohnehin öfter zuhören sollen, wenn jüdischen Mitbürgerinnen und Bürger Widerspruch anmeldeten oder Vorschläge äußerten. Widerspruch beispielsweise bei der de facto Abschaffung des Grundrechtes auf Asyl. Vorgeschlagen, aber bisher nicht beschlossen wurde, den Antifaschismus als Wert ins Grundgesetz aufzunehmen. Wir haben das aufgegriffen und Sie wissen, der Antrag wird gerade parallel zu dieser aktuellen Stunde im Rechtsausschuss verhandelt.

Dennoch will ich uns auch diese Replik nicht ersparen. Ignatz Bubis sagte in dem erwähnten „stern“-Interview, er wolle nicht in Deutschland beerdigt werden. Ich finde: Ein sehr beschämendes Urteil über das Deutsch-Land, in dem er lebte und in dem wir leben. Er sagte auch warum. „Ich will nicht, dass mein Grab in die Luft gesprengt wird - wie das von Heinz Galinski.“

Auch das war kurz vor dem Tod von Ignatz Bubis. Und ich weiß, dass die Witwe von Heinz Galinski damals auf ein gesellschaftliches Signal hoffte und dass sie auch heute auf ein gesellschaftliches Zeichen wartet.

Denn es geht weniger darum, ob wir hier oder draußen dem Zentralrat der Juden etwas sagen. Es geht um uns. Deshalb finde es auch schwierig, dass heute die Jüdische Gemeinde zum Protest aufrufen musste und dieser Aufschrei nicht aus der ganzen Gesellschaft kam.

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5.6.2002
www.petra-pau.de

 

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