Rechtsextremismus und Antisemitismus; „Hartz IV“ und Datenschutz

Pressegespräch im Bundestag mit Petra Pau (MdB, Mitglied im Innenausschuss)und Katina Schubert (PDS-Vorstand, innenpolitische Sprecherin)

I. Petra Pau zu Rechtsextremismus und Antisemitismus:

1. Frage-Serie
Die PDS im Bundestag erfragt seit Anfang der 90er Jahre - und zwar Monat für Monat - wie viele rechtextremistisch motivierte Straf- und Gewalttaten die Bundesregierung erfasst hat.
Für 2004 liegen die vorläufigen Zahlen bis einschließlich Oktober vor. Demnach wurden in den ersten zehn Monaten dieses Jahres bundesweit 6474 Straftaten, 397 Gewalttaten registriert.
Anders gesagt: Im statistischen Schnitt werden stündlich eine Straftat und täglich 1½ Gewalttaten registriert.

2. Vergleich 2002 - 2004
Die rechtsextremen Straftaten im Monatsschnitt: 2002 = 386;     2003 = 580;     2004 = 650.
D. h.: Die Zahl der rechtsextremen Straftaten steigt, sie liegt 2004 rund 68 Prozent über dem Monats-Schnitt von 2002.

3. Wahlen - Alltag - Straftaten
Rechtsextreme Straf- und Gewalttaten werden in Ost und West registriert. Gemessen an der Einwohnerzahl führen allerdings Sachsen und Brandenburg die Statistik zumeist an, häufig mit deutlichem Abstand zu anderen Bundesländern.
Es gibt offenbar Zusammenhänge zwischen den jüngsten Wahlergebnissen der NPD bzw. der VDU, einer verbreiteten Rechts-„Kultur“ im Alltag und der zunehmenden Zahl rechtextremer Straf- und Gewalttaten.

4. vorläufige und reale Zahlen
Die Antworten des Bundesministerium des Inneren erhalten immer den Hinweis: Die Zahlen sind vorläufig. Diese Einschränkung ist wichtig. So liegen z. B. die Angaben in den Jahresberichten der Ämter für Verfassungsschutz stets über den vorläufigen der Innenministerien, zum Teil erheblich. D. h.: Das von mir beschriebene Problem ist weit größer, als die Zahlen des Bundesinnenministeriums belegen.
Politisch heißt das: Die rechtsextreme Gefahr darf nicht unterschätzt oder klein geredet werden. Zumal sie nicht nur vom Rand der Gesellschaft kommt, sondern aus der Mitte. Deshalb reicht es auch nicht, nach „besonderen Vorkommnissen“ demonstrativ Kampagnen gegen Rechts zu entfachen. Es geht um anhaltende und zunehmende Gefahren für Menschen, für die Demokratie, für die Zivilgesellschaft.

5. Antisemitismus - Versteckspiel
Parallel zu rechtsextremistischen Straftaten erfrage ich die Zahl antisemitischer Straftaten. Der Trend ist derselbe: Sie nehmen zu, in Deutschland und in der EU.
Umso unverständlicher ist es, dass mir das Bundesministerium seit einem Viertel-Jahr die Zahlen der einzelnen Bundesländer verwehrt. Angeblich, weil die Länder das nicht wollen. Wie und wer auch immer: Man kann Antisemitismus nicht zurückdrängen, indem man seine Auswüchse verheimlicht. Deshalb fordere ich vom Bundes-Innenministerium, dass es unverzüglich mit dem Versteck-„Spiel“ aufhört.

II. Petra Pau zu „Hartz“ und Datenschutz

1. Angriff auf Demokratie
Meine grundlegende Kritik an der so genannten Arbeitsmarktreform, insbesondere an „Hartz IV“, ist bekannt. Ich halte sie für ungerecht und unsozial. Sie ist schlecht für den Westen und Gift für den Osten.
Die „Hartz IV“-Praxis greift zudem in bislang nicht gekannter Weise den Datenschutz und damit das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Bürgerinnen und Bürger an, also in eine Grundsäule der Demokratie.

2. Vielfältige Kritik
Der Bundesdatenschutzbeauftragte, Peter Schaar, hat mehrfach Kritik geübt. Sie betrifft die Vielfalt der Daten, die mir „Hartz“ erzwungen werden, ihre Reichweite, denn es geht um Millionen, und den Umgang mit den Daten, der nahezu ungeschützt ist.
Mit den Antiterror-Gesetzen der Bundesregierung, bekannt als „Otto-Pakete“, wurde ein Rieseneinfallstor in den Datenschutz geschaffen. Mit „Hartz IV“ wird es für den ganz normalen Alltag geöffnet und Millionen müssen durchgehen.

3. „Hartz IV“ bricht Arztgeheimnis
Ich will an einem Beispiel - exemplarisch - demonstrieren, wie tief in den Datenschutz und in Persönlichkeitsrechte geschnitten wird.
Wer ALG-II-berechtigt ist und Mehrbedarf beantragt, weil er oder sie chronisch krank ist, muss bei der Agentur für Arbeit ein ärztliches Attest abgegeben. Das amtliche Formular verlangt Angaben, wie Größe und Gewicht, was eine Agentur für Arbeit bekanntlich nichts angeht.
Wer Daueraufwendungen hat, muss sich ärztlich bestätigen lassen, weshalb, wofür und in welcher Höhe. Deutlicher gesagt: Die Agentur für Arbeit will Schwarz auf Weiß wissen, was strikt unter das Arztgeheimnis fällt. Dazu gehört übrigens auch, ob jemand AIDS-krank ist oder nicht.
Letztlich entscheidet mit „Hartz IV“ die Agentur für Arbeit, ob und welche Krankheiten sie anerkennt und ob sie Behandlungen und deren Kosten für angemessen hält. Das ist ein Unding aus dem rot-grünen Tollhaus.
Auch deshalb bleibe ich bei meiner General-Kritik:
„Hartz IV“, die gesamte „Agenda 2010“, ist der Gegenentwurf zu einem modernen, sozialen Bürgerrechtsstaat.

4. Deutschland, EU, USA
Die Dimension, der Eingriff, der Verlust des Datenschutzes, sind noch größer, als bis hier beschrieben. Im schlimmsten Fall erleben wir gerade, wie er unwiederbringlich entsorgt wird. Unter der Überschrift „Kampf dem Terror“ wurden Netze zwischen Einwohnerbehörden, Sozialämtern, Finanzinstituten, Ausländerkarteien und mehr geknüpft. Unmengen Daten strömen, sie werden abgeglichen und zusammengesetzt, ohne dass die Betroffenen davon in Kenntnis gesetzt werden. Zugleich wird der Datenaustausch innerhalb der EU forciert, ohne dass er kontrolliert werden kann. Die nächste Datenflut findet zwischen der EU und den USA statt. Ein Beispiel dafür bietet der Austausch von Passagier-Daten. Und das alles im Computer und DSL-Zeitalter.

5. Naiv oder schlimmer
„Hartz IV“ ist Teil dieses Angriffes auf den Datenschutz, gewollt oder geduldet. Umso mehr ärgert mich die gespielte Naivität der Grünen. Sie wollen, sagen ihre Spitzen, Hartz IV binnen Jahresfrist auf seine Wirkungen überprüfen.
Binnen Jahresfrist wird zweierlei passiert sein: Millionen mussten ihre Ersparnisse opfern. Und noch mehr Millionen wurden ihrer Daten beraubt.
Ich habe die Bundesregierung gefragt, ob und wie sie den Datenschutz gewährleisten will. Ich verlese in Ausschnitten, aber im O-Ton die Antwort von Gerd Andres, parlamentarischer Staatssekretär:
„Die Einhaltung der Zweckbindung erhobener Daten ist ein wesentlicher Grundsatz des Datenschutzes.“ (…) „Die Einhaltung des Datenschutzes (wird) durch die jeweiligen Datenschutzbeauftragten kontrolliert.“
Ich finde diese Antwort ist mit dem Beamtenrecht und mit der Beamtenpflicht vereinbar. Sie ist verlässlich treu und sie ist konsequent daneben.
Denn die Datenschützer sind immer wieder Kronzeugen für das Gegenteil, nämlich dass der zitierte Grundsatz von der rot-grünen Regierung nicht eingehalten wird.

III. Katina Schubert zu: PDS als „extremistische Ausländerorganisation“

1. Einbürgerungs-Hemmnis
Die PDS steht auf einer Liste des Bundesamtes für Verfassungsschutz über „extremistische Organisationen“. Sie wird Ausländer/innen für die so genannte Loyalitätserklärung nach § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG Ausländer/innen vorgelegt, die sich einbürgern wollen. Die Einbürgerungsbewerber müssen darlegen, ob sie in den benannten Organisationen sind oder waren und dadurch Anlass für den Verdacht bieten, verfassungsfeindliche oder extremistische Bestrebungen zu verfolgen oder zu unterstützen.

2. Wie Al Qaida
Diese „Liste extremistischer Organisationen für Loyalitätserklärungen“ wurde vom Bundesamt für Verfassungsschutz und mit offenkundiger Billigung des Bundesinnenministeriums erstellt. Sie wird nachweislich und mindestens in Rheinland-Pfalz genutzt. Damit wird die PDS in eine Reihe mit terroristischen Organisationen wie Al Qaida oder Taliban gesetzt. Die PDS wird diskriminiert, ihre Mitglieder werden kriminalisiert, ihre Wählerinnen und Wähler werden diskreditiert, zu Verfassungsfeinden abgestempelt.

3. Schilys Absurdistan
Die Beobachtungspraxis gegenüber der PDS ist angesichts ihrer breiten demokratischen Verankerung im bundesdeutschen Gemeinwesen und ob ihres Mitwirkens in zwei Landesregierungen ohnehin mehr als fragwürdig. Die Listung der PDS als „extremistische Ausländerorganisationen“ (Ministerium des Innern, Rheinland-Pfalz) führt vollends ins geheimdienstliche Absurdistan. Ich fordere Bundesinnenminister Schily auf, diese Liste sofort zurückzuziehen.
 

Berlin, den 6. Dezember 2004

 

 

6.12.2004
www.petra-pau.de

 

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