Bloß eine klatscht Beifall

Vor dem PDS-Parteitag: Nur noch zwei Frauen vertreten die Sozialisten im Bundestag. Wie geht das? Ein Protokoll
Von Liane von Billerbeck

in: Die Zeit, 23. Oktober 2003, Nr. 44

Berlin

Der Himmel ist mit der SPD. Über 360 Spiegel in der Reichstagskuppel schickt er weiches Sonnenlicht aufs Rednerpult, als der Wirtschaftsminister erklärt, wie gut es wäre, Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenzulegen. Dreizehnmal wird er für seine Begründung der so genannten Hartz-Gesetze von Rot und Grün beklatscht, einmal sogar von der FDP. Petra Pau hat gerade mal ein Drittel der ministerialen Redezeit. Beifall bekommt aber auch sie, besonders, als sie die „lieben Genossinnen und Genossen von der SPD“ anspricht. „Sie beschließen heute nicht mehr und nicht weniger als die Absage an Bebel und Brandt.“ Das Protokoll vermerkt: „Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch, fraktionslos“.

Petra Pau und Gesine Lötzsch, das ist alles, was von der PDS im Parlament übrig geblieben ist. Die Berlinerinnen holten bei der Bundestagswahl 2002 jeweils ein Direktmandat in den Bezirken Hellersdorf-Marzahn und Hohenschönhausen-Lichtenberg. Weil es für ein drittes nicht reichte, schrumpfte die PDS von einer Fraktion mit 37 Abgeordneten und 120 Mitarbeitern zur „Zwei-Frauen-AG“. Die „Reduzierung der Fraktionen im 15.Deutschen Bundestag“ sei auch ein Stück Integration des Ostens, sagte Wolfgang Thierse, als er die neue Legislaturperiode eröffnete. Seine Genugtuung über den Absturz der PDS war kaum zu überhören. Immerhin hatte ihn vier Jahre zuvor ausgerechnet Petra Pau im Bezirk Prenzlauer Berg überraschend geschlagen. Längst vergangene Zeiten.

Was fängt man an, zu zweit allein im Parlament? Die beiden sozialistischen Abgeordneten dürfen keine Kleine Anfrage stellen, sie können weder Gesetzentwürfe noch Anträge einbringen, sie können gerade mal Änderungsanträge stellen, sie müssen sich immer kurz fassen – woher, um alles in der Welt, nehmen sie die positive Energie? „Wir haben einen Auftrag, immerhin sind wir direkt gewählt“, antwortet Petra Pau. „Wir versuchen, im Bundestag nachzuweisen, welche Risiken und Nebenwirkungen ein Gesetz im wirklichen Leben für die Leute haben wird – das gibt mir mehr als eine schöne Fachdebatte.“

Eine chinesische Besucherin wollte neulich wissen, erzählt sie lachend, ob das PDS-Duo Direktiven von der Parteiführung bekomme? Das hätte uns noch gefehlt, amüsiert sich ein Mitarbeiter, Direktiven! Bei drei Minuten Redezeit! Kurz sind die Auftritte der beiden Parlamentskolleginnen zwar, dafür aber zahlreich. Das Internet-Portal politikerscreen.de hat kürzlich nachgezählt, dass die beiden PDS-Frauen seit 2002 die meisten Reden im Plenum gehalten haben: Lötzsch 127, Pau 67. Damit haben sie sogar den notorischen Vielredner Joschka Fischer auf den Bronzeplatz verwiesen. Diese Meldung brachte ihnen immerhin ein Interview im Radio ein, in dem sie die Schröderschen Hartz-Gesetze geißeln konnten.

„Gruppensitzung“ nennen sie ihre Beratung am Dienstag trotzig. Dort koordinieren die beiden „Fraktionslosen“ ein wenig atemlos Themen und Termine. „Ich spreche zu Clement“, sagt Pau, „und du bekämpfst dann die Armut?“ Lötzsch nickt. Was ist mit der Hauptstadtkulturförderung? Dazu rede ich. Wir dürfen die Altschulden nicht vergessen, sagt Pau. Die Mecklenburger haben uns sehr darum gebeten. Die Deutsche Einheit? Du. Ich rede dann zum Heimkehrerentschädigungsgesetz. „Das betrifft bei uns im Osten eine große Klientel“, erklärt Pau. „In der Bundesrepublik bekamen Heimkehrer aus Kriegsgefangenenlagern und Zivilverschleppte Entschädigungen, in der DDR nicht. Reden durfte man damals über sein Schicksal auch nicht.“

Gesine Lötzsch hat derweil Anfragen durchgesehen, die an diesem Tag bei der Bundesregierung eingereicht wurden. „Nur 18 von 603 Abgeordneten wollen heute etwas wissen.“ Das grenze ja an Arbeitsverweigerung, meint sie scherzend. Wieder ernst, räumt sie ein, dass es für viele Abgeordnete sehr schwer sei, ihre Kontrollfunktion tatsächlich wahrzunehmen. Der Druck seitens der Ministerien sei groß, und wer wolle schon als Bremser dastehen? 2000 Seiten Gesetzesentwürfe liegen dem Bundestag allein im Zeitraum September bis Dezember vor.

Wie bewältigt man ein solches Pensum zu zweit? „Wir müssen den Ausschnitt suchen, der für unsere Wähler wichtig ist. Außerdem haben wir unsere Basis zum Glück vor der Haustür.“

Dumm nur, dass mancher in der Partei draußen noch immer nicht begriffen hat, dass dort in Berlin kein großer Fraktionsapparat mehr agiert. Die Arbeit der verbliebenen beiden Frauen und ihrer Mitarbeiter gleicht einem Kampf gegen Windmühlenflügel. Wenn aus der gerade eingesetzten Föderalismuskommission die Länderparlamente ausgegrenzt werden, trifft das die PDS hart. Immerhin 144 Landtagsabgeordnete hat die Partei im Osten. Werden die Landtage nicht beteiligt, verliert auch die PDS an Einfluss.

Seit eine Bundestagsangestellte sich einmal erkundigte, ob der Herr Thierse ihnen verboten habe, das Kürzel PDS zu nennen, taucht es in jeder Rede der beiden zwei-, dreimal auf. Petra Pau variiert die Namensnennung, Gesine Lötzsch hat sich für eine Art Running Gag entscheiden. Als sie ihre vierte oder fünfte Rede in dieser Woche wieder gut gelaunt mit dem Satz „Ich bin Abgeordnete der PDS“ beginnt, erntet sie laut Protokoll „Lachen im ganzen Hause“. Es ist keine Häme in der Heiterkeit, der Ton hat sich geändert. Die PDS im Bundestag, das sind für die Abgeordneten eben nur noch diese zwei Personen, die versuchen, mit Witz und Pragmatismus ihre Möglichkeiten, so gut es geht, zu nutzen.

Petra Pau sitzt schon die zweite Wahlperiode im Innenausschuss. Gesine Lötzsch, früher im Berliner Abgeordnetenhaus, arbeitet jetzt im Haushaltsausschuss mit. Dass die Fraktionslosen wenigstens das dürfen, verdanken sie einem Mann, dessen Name manchem Parlamentarier noch heute Magendrücken verursacht. Thomas Wüppesahl, vor 15 Jahren bei den Grünen ausgetreten und dann aus der Fraktion ausgeschlossen, hatte sich als Enfant terrible im Parlament profiliert und vor dem Bundesverfassungsgericht für seine Rechte als Fraktionsloser geklagt.

Einiges hat er erreicht. Die Sitzordnung konnte auch er nicht verändern. Und so sitzen Gesine Lötzsch und Petra Pau ganz hinten links in der Nähe der Tür, wohin die Lichtspiele des Architekten des neuen Reichstags Sir Norman Foster nicht reichen. Der Ältestenrat, dem sie nicht angehören, hat es so entschieden. Auch Wüppesahl saß damals hinten. Es gibt dort zwar Sessel, aber weder Tisch noch Telefon. Die Akten stapeln sich auf dem Boden. Vermutlich wird sich daran trotz vieler Anträge nichts ändern – auch wenn das Kopfschütteln bei Kollegen und Befremden bei Besuchern hervorruft. Wenn es gar nicht anders geht, schicken die Büros Faxe, die ein Saaldiener hineinträgt. Besucher, Termine, Änderungen werden lautlos per SMS angekündigt.

„Wie schade, dass Sie keinen Kollegen haben, der klatschen könnte“, hat ein CDU-Abgeordneter Wüppesahl gegenüber vor Jahren mal bedauernd bemerkt. Mindestens in dieser Hinsicht geht es Gesine Lötzsch und Petra Pau besser.
 

 

 

5.10.2003
www.petra-pau.de

 

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