ND

Aus Neues Deutschland, 21. 03. 2003

Nomen est Omen

Von Martin Hatzius

Warum der Rohrbruchpark in Berlin-Hellersdorf ab heute Jelena-Šantic-Friedenspark heißt - die Geschichte einer Umbenennung

Zwischen den Plattenbaugebieten der Berliner Großsiedlungen Hellersdorf und Marzahn fließt die Wuhle. Entlang des Flüsschens, einer eiszeitlichen Schmelzwasserrinne, hat sich ein schmaler Streifen urwüchsiger Natur gegen die Betonisierung der wachsenden Stadt behauptet. Der Landschaftspark Wuhletal ist den Anwohnern zur grünen Oase für lange Spaziergänge, unerwartete Naturbeobachtungen und gesellige Freizeitgestaltung geworden. Als Teil des Erholungsgebiets erstreckt sich parallel zur viel befahrenen Hellersdorfer Straße und der U-Bahntrasse, die den Randbezirk mit der Innenstadt verbindet, der Rohrbruchpark. Auf dem weithin sichtbaren Hang, der die Straße von den dahinterliegenden Wiesen trennt, gerät ein großflächiges, vom Wetter und der Zeit gezeichnetes Symbol aus Holzbohlen in den Blick: das Peace-Zeichen. Während der Nato-Angriffe auf Jugoslawien war es im Mai 1999 von Kriegsgegnern dort angelegt worden.

Mit dabei war damals die serbische Friedensaktivistin Jelena Šantic. Im Frühjahr 1999 reiste sie nach Berlin, um in Gesprächen mit Zeitungen und Zeitschriften, Politikern und Bürgern die verheerenden Folgen des Krieges für den mühsamen Aufbau der Demokratie und einer friedlichen Zivilgesellschaft in ihrer Heimat zu schildern. Als Künstlerin war die 1944 geborene Choreografin und Primaballerina seit langem weltweit bekannt. Doch auch außerhalb der internationalen Theatersäle machte sich Jelena Šantic einen Namen. Seit dem Beginn der kriegerischen Auseinandersetzungen in Jugoslawien setzte sie sich in ihrer Heimat und auf internationaler Ebene für gewaltfreie Konfliktlösungen ein. Sie gehörte zu den Pionieren des im Juli 1991 gegründeten „Zentrums für Antikriegsaktionen“, engagierte sich in den Folgejahren in vielen Friedensinitiativen und beteiligte sich an zahlreichen Protesten gegen den Krieg. Gemeinsam mit anderen Oppositionellen umstellte sie 1991 Milosevics Villa mit Kerzen, um ihre Trauer um die Opfer des Krieges zu bekunden - um alle Opfer.

ND-Foto: Burkhard LangeDie Serbin Jelena Šantic suchte seit dem Beginn des kriegerischen Zerfalls Jugoslawiens nach friedlichen Konfliktlösungen, stellte sich öffentlich gegen das Milosevic-Regime und bezog 1999 gleichzeitig Position gegen die Nato-Angriffe auf ihr Land. Die von Šantic mitbegründete Flüchtlingsinitiative „Grupa 484“ wurde zum Anlaufpunkt für Tausende Vertriebene und gab ihnen - ungeachtet ihrer Herkunft - psychologischen und materiellen Halt. Zur heutigen Umbenennung eines Hellersdorfer Erholungsparks in Jelena-Šantic-Friedenspark sind ihre Tochter Irinica und ihre Schwester Irina Subotic nach Berlin gekommen.
 

Šantic weigerte sich, Menschen nach ihrer Nationalität oder Glaubenszugehörigkeit zu beurteilen und stellte Gleichberechtigung und Menschlichkeit ins Zentrum ihres Wirkens. Als 1995 Hunderttausende aus der „ethnisch gesäuberten“ Krajina als Flüchtlinge nach Serbien kamen, wirkte sie maßgeblich an der Gründung der »Grupa 484« mit, einem Flüchtlingsprojekt, das nach den ersten 484 in seinem Rahmen betreuten Familien benannt und von Šantic geleitet wurde. Bis heute hat die »Grupa 484« Tausenden aus ihrer Heimat vertriebenen Menschen mit humanitärer Unterstützung, Rechtsbeistand und psychosozialen Workshops dabei geholfen, nicht an der schmerzhaften Entwurzlung aus ihrer sozialen Umgebung, am Verlust geliebter Menschen und jeglicher Habe zu verzweifeln.

Wie wichtig dieses Engagement für die größtenteils unter ärmsten Bedingungen lebenden und in ihrer neuen Umgebung wenig willkommenen Menschen ist, veranschaulicht die Anzahl der Flüchtlinge in Serbien: Fast jeder zehnte der acht Millionen Einwohner ist aus seiner Heimat geflüchtet - diejenigen mitgezählt, die innerhalb des serbischen Territoriums fliehen mussten und deshalb ohne offiziellen Flüchtlingsstatus gänzlich zwischen den Fronten leben. Gerade während des Kosovo-Kriegs stand die „Grupa 484“ vor einer kaum zu bewältigenden Aufgabe. Weitere Zehntausende - vor allem Angehörige der serbischen Minderheit im Kosovo und viele Roma - kamen damals in das von Flüchtlingen schon überfüllte und unter den Bombenangriffen leidende Belgrad.

Als Jelena Šantic 1999 gemeinsam mit Hellersdorfs Bezirksbürgermeister Uwe Klett (PDS) die ersten Blumen am Peace-Zeichen pflanzte, hatten sich rund 200 Kriegsgegner im Rohrbruchpark versammelt. Sie sahen die Serbin gerührt. Die Sympathiebekundungen der Deutschen, deren Regierung den Krieg und seine Folgen mit zu verantworten hatte, so sagte sie später, haben ihr Auftrieb gegeben, die durch die Angriffe erschwerte Flüchtlingsarbeit fortzusetzen. Allen Hindernissen zum Trotz, die Repressalien des Milosevic-Regimes, Berufsverbot und eine Haftstrafe in Kauf nehmend, engagierte sich Jelena Šantic bis zuletzt für ein menschenwürdiges Leben der Opfer der Gewalt, für das friedliche Miteinander der unterschiedlichen Volksgruppen und für das Wachsen stabiler demokratischer Strukturen in Südosteuropa. Am 18. März 2000 starb sie an den Folgen einer schweren Krebserkrankung.

Genau drei Jahre nach Šantics Tod hat sich am vergangenen Dienstag ein knappes Dutzend Menschen am Friedenssymbol im Rohrbruchpark versammelt. Mit Harken und Spaten legen Mitglieder einer Hellersdorfer Friedensgruppe gemeinsam mit Angehörigen Jelena Šantics und Unterstützern der „Grupa 484“ die zum Teil von Erde und Gras verdeckten Holzbohlen frei. Mit weißer Farbe bringen sie das Peace-Zeichen wieder zum Leuchten. Erste Vorbereitungen für einen Tag, auf den sie lange hingearbeitet haben: Am heutigen Sonnabend wird der Park auf einer öffentlichen Festveranstaltung in Jelena-Šantic-Friedenspark umbenannt.

Keiner hatte damit gerechnet, dass dieses Ereignis durch das tödliche Attentat auf den serbischen Ministerpräsidenten Zoran Djindjic, das die noch immer labile Situation auf dem Balkan zurück ins öffentliche Bewusstsein gerufen hat, traurige Aktualität erlangen sollte. Auch dass der seit langem drohende Irak-Krieg just in diesen Tagen losbricht, war bei der Planung der Umbenennung nicht abzusehen - ein weiterer Krieg, der wohl Tausende unschuldige Opfer fordern wird und Massen von Menschen zur Flucht zwingt. Umso wichtiger finden es die Initiatoren, gerade jetzt ein Zeichen für den Frieden zu setzten und im Rahmen ihrer Möglichkeiten an das menschliche Leid zu erinnern, das jeder Akt militärischer Gewalt auslöst.

Etwa 50 Hellersdorfer hatten sich 1999 zu einer lokalen „Friedenskoordination“ zusammengeschlossen, um sich, unabhängig von politischen oder religiösen Konfessionen, gegen den Nato-Krieg einzusetzen. Dessen offizielle Rechtfertigung - den von serbischen Truppen unterdrückten Kosovo-Albanern zu helfen - wollten sie nicht als Legitimation für einen zerstörerischen Angriffskrieg akzeptieren, der in erster Linie die Zivilbevölkerung traf. Auch die einseitige Schuldzuweisung an die serbische Seite war für sie nicht mit der Realität der blutigen Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien zu vereinbaren. Übereinstimmend in der Verurteilung der von Milosevic zu verantwortenden Verbrechen, lehnten sie die gewaltsame Bestrafung des gesamten Volkes energisch ab.

Nach dem Ende des Krieges bildete sich aus Mitgliedern der Hellersdorfer „Friedenskoordination“ um den niederländischen Liedermacher Hans Spoelstra die „Gruppe 485“, eine Initiative zur finanziellen Unterstützung der Arbeit von Jelena Šantics „Grupa 484“. Auf von ihnen organisierten Kultur- und Informationsveranstaltungen sammeln die Berliner Geld für die serbischen Flüchtlingshelfer, mit denen sie in enger Verbindung stehen. Hans Spoelstra greift auf diesen Veranstaltungen oft selbst zur Gitarre. Er hat auch eine CD aufgenommen, deren Verkaufserlös er den Belgradern vollständig zur Verfügung stellt. In Zusammenarbeit mit dem Jugendsozialprojekt „Outreach“ sind Mitglieder der »Gruppe 485« schon mehrmals nach Ex-Jugoslawien gefahren, um sich vor Ort über die Situation der Menschen zu informieren, Geld- und Sachspenden persönlich zu überbringen. Auf einer dieser Reisen bauten sie in einem Flüchtlingslager, in dem es bis dahin keine Entfaltungsmöglichkeiten für die Kinder gegeben hatte,einen kleinen Spielplatz auf. Wie unbändig die Kinder sich über die neue Schaukel freuten, hatte sich keiner der Deutschen vorstellen können. Und von der Gastfreundschaft der Familien, die - zum Teil vertrieben aus großen Einfamilienhäusern - in ihrer Heimat nun im Lager auf engstem Raum zusammenlebten, waren sie schlicht überwältigt.

„Wir wollen den Menschen in Jugoslawien zeigen, dass aus Nato-Deutschland nicht nur Bomben kommen können, sondern auch Hilfe“, sagt Reinhard Kruska, ein Student, der sich bis zu diesem Krieg aus politischen Dingen weitgehend herausgehalten hatte. „Für mich war es unfassbar, dass Deutschland sich - unter einer rot-grünen Regierung - an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg beteiligt.“ Nach Šantics Tod entstand in der „Gruppe 485“ die Idee, dem Park mit dem Friedenszeichen ihren Namen zu geben. Einem symbolischen Umbenennungsakt im Mai 2000 folgten Diskussionen mit den zuständigen Behörden und ein von der PDS unterstützter Antrag im Bezirksparlament, dem die Abgeordneten im Herbst letzten Jahres mehrheitlich zustimmten. »Sie können sich nicht vorstellen, wie viel uns dieses Ereignis bedeutet«, sagt Šantics Schwester Irina Subotic, die am Montag zusammen mit Jelenas Tochter Irinica und Vesna Golic, ihrer Nachfolgerin als Leiterin der „Grupa 484“, in Berlin eingetroffen ist, um an der heutigen Festveranstaltung teilzunehmen. „Zum einen sind es natürlich persönliche Gründe, die mich stolz machen, dass ein Park den Namen meiner Schwester tragen wird. Zum anderen spielt es für uns alle eine große Rolle, dass dies gerade in Berlin geschieht.“ Die Kunsthistorikerin erzählt, wie froh sie darüber ist, dass Deutschland sich in der Irak-Frage zum Frieden bekannt hat, statt sich wie 1999 in Jugoslawien am Krieg zu beteiligen. In der Haltung Frankreichs und Deutschlands begründen sich für Irina Subotic Hoffnungen auf die friedliche Zukunft eines geeinten Europas, das sich nicht von den Machtinteressen der USA vereinnahmen lässt.

Hoffnungen, deren Erfüllung sie als Voraussetzung für die zivilgesellschaftliche und demokratische Entwicklung ihres Landes für unerlässlich hält. Ohne die Unterstützung des Westens sehe es für Serbien finster aus. Zoran Djindjic, mit dem sie persönlich bekannt war, sei mit seinem Kurs der Öffnung auf dem richtigen Weg gewesen, auch wenn die Schritte, mit denen es vorangeht, vielen ihrer Landsleute zu klein sind, sagt Irina Subotic. Seine Nachfolger sollten diesen Weg fortführen. Wenn die Gewalt auf dem Balkan erneut Oberhand gewinne, so Jelena Šantics Schwester, stehe für das gesamte Europa viel auf dem Spiel.

Vesna Golic, die 1995 selbst als Serbin aus Kroatien fliehen musste und nun in der „Grupa 484“ Jelena Šantics Arbeit fortsetzt, weiß, wie wichtig die Zukunft der Flüchtlinge für die Entwicklung der Region ist. Wäre sie in der Zeit, als sie in Belgrad auf der Straße gelebt hat, nicht auf Jelena Šantic und die »Grupa 484« gestoßen, so sagt sie heute, hätte sie keine andere Möglichkeit gesehen, als sich auf kriminellen Wegen am Leben zu halten. Der Schrecken ist Vesna ins Gesicht geschrieben, als sie ihren Berliner Freunden die Geschichte eines Minderjährigen aus ihrer Heimat erzählt, der seine Familie verloren hat und auf der Flucht von serbischen Milizen aufgegriffen und zum Soldaten gemacht wurde. Während eines Kampfes rettete er einem Kameraden das Leben - einem Schwerverbrecher, wie sich später herausstellte, der ihn nach Kriegsende in mafiose Strukturen einband. Eine zivile Berufsausbildung oder einen Job zu finden, war für diesen Jungen unmöglich. Stattdessen war er schon mit 17 Jahren zum Mörder geworden und bangte nun selbst um sein Leben. Eines von vielen Schicksalen. „Unsere wichtigste Aufgabe ist es“, so Vesna Golic, „den Menschen Toleranz nahe zu bringen“. Gerade junge Leute versuche man in der „Grupa 484“ für Werte wie das Recht und die Akzeptanz kultureller Verschiedenheit zu öffnen. Neben der psychologischen Betreuung der Flüchtlinge und Vertriebenen werden Beratungen und Kurse angeboten, die die Teilnehmer über ihre Rechte informieren und in wirtschaftlichen Fragen schulen. Sie sollen in die Lage versetzt werden, ihr Schicksal wieder erfolgreich selbst in die Hand zu nehmen. Durch praktischen Unterricht in Musik, Malerei und Sprache lernen die Flüchtlinge außerdem Möglichkeiten kennen, ihre Probleme künstlerisch zu bewältigen. „Wir wollen die Menschen nach all ihren traumatischen Erfahrungen dazu befähigen, wieder friedlich mit anderen zusammenzuleben“, sagt Vesna Golic, „und ihnen - wenn möglich - die Rückkehr in ihre Heimat erleichtern.“

Jelena Šantics Engagement für die Menschlichkeit lebt nach ihrem Tod in der Arbeit von Initiativen wie der „Grupa 484“ fort. Engagement, das Leben rettet. Wenn am Sonnabend ab 15 Uhr der Rohrbruchpark in Hellersdorf seinen neuen Namen erhält, werden neben ihren Unterstützern, Mitstreitern und Verwandten auch Bezirksbürgermeister Uwe Klett, der Botschafter von Serbien und Montenegro Milovan Bozinovic, die PDS-Bundestagsabgeordnete Petra Pau, der ehemalige Dekan der Humboldt-Universität Heinrich Fink, Vertreter des Bezirksparlaments aus verschiedenen Parteien und Mitglieder von Friedensgruppen erwartet. Die von einem musikalisch-lyrischen Kulturprogramm umrahmte Umbenennungsfeier weiht den Park an der Wuhle in einer kriegerischen Zeit dem Frieden. Mit Jelena Šantic werden auch all jene Menschen geehrt, die dafür einstehen, dass er in der Welt eine Chance bekommt.
 

 

 

22.3.2003
www.petra-pau.de

 

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