Wir sind nicht die Kassandras im Reichstag

Die beiden verbliebenen PDS-Abgeordneten streiten um Gesellschaftsalternativen und einen E-Mail-Anschluss

Neues Deutschland, 1. November 2002

Petra Pau und Gesine Lötzsch sind die zur Bundestagswahl am 22.September mit einem Direktmandat in den Bundestag gewählten PDS-Politikerinnen. Sie sorgen mit lautem Ruf nach gerechter Behandlung für Aufmerksamkeit und damit, dass sie nun häufiger am Rednerpult stehen als die meisten ihrer Kollegen. Mit ihnen sprach Uwe Kalbe.

ND: Haben Sie sich schon an Ihre Bundestagsplätze im Rücken der SPD gewöhnt?

PAU: Wir haben nicht vor, uns an unsere Plätze zu gewöhnen, wir machen hier unsere Arbeit. In dieser Woche hieß das, sich mit der Regierungserklärung der Koalitionsvereinbarung auseinander zu setzen. Allerdings sind wir derzeit auch damit beschäftigt, unsere Rechte einzuklagen. Damit wir Arbeitsbedingungen bekommen, die dem Willen von zwei Millionen Wählerinnen und Wählern der PDS angemessen sind, die uns hierher gebracht haben.

Zum Beispiel einen Tisch vor ihren Abgeordnetenstühlen?

LÖTZSCH: Ja, auch das. Aber selbst mit Tisch: Wir haben nicht die Absicht, uns an die Plätze ganz hinten zu gewöhnen. Wir haben uns deshalb an den Parlamentspräsidenten gewandt. Da auch viele Kollegen Verständnis signalisiert haben, gehen wir davon aus, dass der Zustand verändert wird. Das würde auch dem Willen der vielen Menschen entsprechen, die sich in Briefen an uns gewandt haben.

Wie haben Sie ihr Selbstverständnis im Bundestag definiert? Zwei Kassandras, die zwar Recht haben, aber von niemandem gehört werden?

LÖTZSCH: Das stimmt ja nun gar nicht, dass wir nicht gehört werden. Einige Male haben sich sogar einzelne SPD-Abgeordnete gewagt, uns Beifall zu spenden. Außerdem sitzen wir nicht allein deshalb im Plenarsaal, um den Kolleginnen und Kollegen Abgeordneten die Meinung zu sagen. Wir vertreten zwei Millionen Wählerinnen und Wähler, sie verfolgen zum Beispiel am Fernsehschirm sehr genau, was wir zu sagen haben. Dort finden unsere Positionen große Zustimmung, wie wir wissen.

Haben Sie nach der ersten Sitzungswoche eine Vorstellung, was Sie in den nächsten vier Jahren erwartet?

PAU: Eine Ahnung vor allem, was die Bürger erwartet. Und das schon in den nächsten acht Wochen. Nach meinem Eindruck ist noch nicht sehr weit aus dem Hohen Haus gedrungen, welch rasante Veränderungen durch Rot-Grün derzeit vorbereitet werden, die schon zum 1. Januar Gesetzeskraft erlangen sollen. Sehr gelassen wurde bereits ausgesprochen, dass Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose den Gürtel enger zu schnallen haben. Schon in der nächsten Woche sollen die Gesetzespakete auf den Tisch kommen, die man offensichtlich im Schweinsgalopp durch die Ausschüsse jagen will, die noch nicht einmal gebildet sind. Dafür ist das Ziel, zu dem die Hartz-Kommission einmal gegründet wurde, nämlich die Bundesanstalt für Arbeit umzustrukturieren, auf das nächste Jahr verschoben worden.

Aber Sie haben die Vorschläge der Hartz-Kommission in der Generaldebatte Gift für Ostdeutschland genannt.

LÖTZSCH: Damit hatte Petra Pau auch Recht. Die Vorschläge der Hartz-Kommission haben ja einen Geburtsfehler. Sie zielen nicht darauf, neue Arbeitsplätze zu schaffen, sondern darauf, Arbeitslose stärker unter Druck zu setzen, die Löhne weiter zu senken. Wenn das Arbeit schaffen würde, hätten wir im Osten ja in den letzten zwölf Jahren Wachstum von Arbeitsplätzen gehabt. Das dürfte die Realität also bereits widerlegt haben. Es gibt auch keinerlei spezifische Überlegungen im Hartz-Papier, was den Osten betrifft. Das Problem der Massenabwanderung von Menschen etwa wird überhaupt nicht reflektiert. Petra Pau hat deshalb - auch zu Recht - auf die Vorschläge verwiesen, die aus dem Osten selbst, aus den Arbeitsministerien von Helmut Holter in Schwerin und Harald Wolf in Berlin kommen.

Die Opposition zur Rechten und die Koalition verhalten sich wie Hund und Katze. Was bleibt in dem Getöse an Spielräumen für Ihre linke Opposition?

PAU: Bei allem Lärm unterscheiden sich beide inhaltlich kaum. Das zeigt sich nicht nur an den Vorstellungen zur Deregulierung des Arbeitsmarkts. Auch über die zunehmende Militarisierung der Außenpolitik herrscht Konsens. Die konservative Opposition hat ja nicht kritisiert, dass Rot-Grün in den vergangenen Jahren Krieg geführt hat, sondern wie dieser Krieg geführt wurde. Heute kritisiert sie, dass Rot-Grün nicht mit wehenden Fahnen gleich in den nächsten Konflikt militärisch eingreifen will. Logistische Unterstützung für die Vorbereitung eines Angriffs auf den Irak ist gar kein Streitpunkt. Da ist linke Opposition dringend gefragt. Deshalb sitzen Gesine Lötzsch und ich natürlich nicht nur als direkt gewählte Abgeordnete unseres Wahlkreises hier, sondern als PDS im Bundestag, die Widerspruch aus sozialistischer Sicht einbringt, auch mit ganz konkreten Vorschlägen und Konzepten.

Die einzig wahre Opposition auf den Schultern zweier Damen - fürchten Sie nicht Überlastung nach kurzer Zeit?

LÖTZSCH: Die Gefahr besteht wohl. Es wird auch davon abhängen, dass unsere Parteigremien uns auch real unterstützen. Da hat auch die Partei einiges mehr zu leisten als gewohnt.

Klingt hier ein Defizit an?

PAU: Ja, natürlich. In den nächsten Tagen und Wochen muss es nicht nur konkrete Verabredungen, sondern auch funktionierende Zusammenarbeit geben. Gesine Lötzsch und ich müssen uns darauf konzentrieren können, hier auf der parlamentarischen Bühne einerseits, aber auch bei denen zu wirken, die uns außerhalb des Parlaments einladen, um etwas über PDS-Positionen zu erfahren. Das Fundament hierfür braucht Zuarbeit, das geht nicht von der Hand in den Mund oder durch Zeitung lesen. Wenn es nicht gelang, mit einer Bundestagsfraktion die Öffentlichkeit zur Wahl zu überzeugen, ist das natürlich nun erst recht schwierig. Die Fraktion war ein Kompetenzzentrum mit starker Verankerung zumindest in sechs Bundesländern und mit fachpolitischen Verbindungen in deren Landtage. Dies zu ersetzen, qualifizierte Konzepte zu allen Politikfeldern einzubringen, ist immens schwierig.

Wie viele Mitarbeiter haben Sie?

LÖTZSCH: Wir sind im Augenblick dabei, unseren Mitarbeiterstab neu aufzubauen. Der finanzielle Rahmen erlaubt jeder von uns hier im Haus anderthalb Mitarbeiter und je einen weiteren im Wahlkreis. Zwei Abgeordnete, fünf Mitarbeiter im Vergleich zu 37 Abgeordneten und ungefähr 200 Mitarbeitern in der letzten Legislaturperiode. Diesen Unterschied muss man erst einmal akzeptieren, auch wir in unserer eigenen Arbeit. Wir werden ganz andere Methoden der Arbeit entwickeln müssen.

Immerhin kämpfen Sie derzeit um den Status einer Bundestagsgruppe.

PAU: Das hätte eine Ausweitung unserer parlamentarischen Rechte zur Folge, noch mehr Arbeit zwar, aber effektivere. Im Moment haben wir das Recht auf vier schriftliche Fragen an die Bundesregierung pro Monat, jede von uns kann bei der Regierungsbefragung in den Plenarwochen zwei Fragen und zwei Zusatzfragen stellen, wir haben beratende Stimme in einem Fachausschuss und können begrenzt zu einzelnen Tagesordnungspunkten reden. Wir haben kein eigenes Antragsrecht, kein Recht auf kleine Anfragen oder Gesetzesinitiativen. Der Gruppenstatus würde das gründlich ändern. Wir könnten kleine und große Anfragen stellen, eigene Anträge einbringen. Aber auch unsere materielle Ausstattung könnte besser werden. Jetzt müssen wir an interessierte Bürger appellieren, ihrer Bitte um Informationsmaterial auch das Porto beizufügen. Ansonsten überfordert uns das riesige Informationsbedürfnis schon finanziell. Wir versuchen, Anfragen auf elektronischem Wege zu beantworten (petra.pau@bundestag.de oder gesine.lötzsch@bundestag.de). Und die Bundestags-Homepage soll erhalten bleiben. Daran wird in der Bundesgeschäftsstelle gearbeitet (www.pds-im-bundestag.de).

Der berühmte Abgeordnete Thomas Wüppesahl, einst aus der Grünen-Fraktion im Unfrieden geschieden, hat um seine Rechte als Fraktionsloser gestritten. Ihm hat das Bundesverfassungsgericht bestätigt, dass er das Recht auf einen Platz in einem Ausschuss gehabt hätte. Das wurde Ihnen bisher verwehrt?

LÖTZSCH: Wir werden beide mit beratender Stimme zumindest in einen Ausschuss gehen.

Das ist inzwischen geklärt?

LÖTZSCH: Das ist besprochen. Herr Wüppesahl wird uns gern als Vergleich vorgehalten, doch bei ihm handelte es sich um einen auf einer Landesliste gewählten Abgeordneten, der aus seiner Fraktion ausgeschieden war. Wir sind zwei Abgeordnete, wir sind direkt gewählt, unser Status muss nicht wie bei ihm nachverhandelt werden. Das begründet aus unserer Sicht eine andere Rechtsposition, die wir, wenn nötig, auch gerichtlich vertreten werden.

Derzeit tobt noch der Kampf um Ihre Redeminuten - unter Berufung auf Wüppesahl. Wie sind denn die Chancen, die 20 Minuten aufzustocken, die Ihnen in dieser Woche zugestanden wurden?

PAU: Der Streit um die Redeminuten zeigt den logischen Bruch in der Argumentation der Bundestagsverwaltung und einiger Kolleginnen und Kollegen. Einerseits versucht man uns wie Wüppesahl als Einzelabgeordnete zu behandeln. Zugleich zieht man unsere Redezeit zusammen, die in dieser Woche - wenn wir das Recht von Wüppesahl in Anspruch nehmen würden - nicht 20 Minuten, sondern 48 Minuten Redezeit hätte betragen müssen. Das heißt, man behandelt uns wie eine Gruppe, als Abgeordnete mit gleichgerichteten Zielen nämlich, aber gibt uns nicht die materiellen Möglichkeiten einer Gruppe.

Sie hatten sich in Ihrer ersten Rede über Ihre Büros als Besenkammern beklagt. Haben Sie sich eingerichtet?

LÖTZSCH: Nein, uns wurden die Räume zwar grundgereinigt übergeben, aber bis zur Stunde ist mein Computer nicht voll nutzbar, der E-Mail-Account ist immer noch nicht geschaltet. Wenn es soweit ist, werden wahrscheinlich Hunderte E-Mails über mich hereinreinbrechen. Vielleicht ist mancher schon enttäuscht, weil er vergeblich auf eine Antwort gewartet hat. Das Hauptproblem ist nicht, dass wir in ziemlich entfernten Büros Unter den Linden sitzen wie andere Abgeordnete auch - abgesehen davon, dass unsere die dunkelsten Räume sind. Das Problem ist, dass wir damit am schwersten klarkommen, weil wir zugleich unsere eigene Geschäftsstelle sind, dass wir alles, was zu regulieren ist, selbst regulieren müssen. Wenn Schriftstücke bei der Parlamentsverwaltung abgegeben werden sollen, laufen wir selbst los ins Hauptgebäude. Wir sind nicht dafür gewählt, große Teile unseres Tages mit Botengängen zu verbringen. Um nicht missverstanden zu werden, es geht nicht ums Wohlfühlen zweier zickiger Abgeordneter, wir werden hart arbeiten. Aber unsere Ausgrenzung ist politisch motiviert. Dagegen wehren wir uns.
 

 

 

1.11.2002
www.petra-pau.de

 

Seitenanfang

 

Termine

 

Lesbares

 

Startseite