Kampf gegen Antisemitismus: Möglichkeiten des Rechtstaats ausschöpfen statt Strafrecht verschärfen

Bundestag, 17. November 2023, Debatte „Bekämpfung von Antisemitismus, Terror, Hass und Hetze“ zu zwei von der CDU/CSU-Fraktion vorgelegten Gesetzentwürfen.
Rede von Petra Pau

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Ja, seit dem 7. Oktober erleben wir eine neue Eskalationsstufe antisemitischer Gewalt und Einschüchterung. Es ist unerträglich: Wohnungen von Jüdinnen und Juden werden markiert, jüdische Schulkinder, Sportlerinnen und Sportler bleiben zu Hause, aus Solidarität gehisste Israelfahnen werden geschändet, und auf Demonstrationen im öffentlichen Raum und im Netz machen sich Menschen zu Komplizen der Terroristen.

Der Beauftragte gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben, Felix Klein, berichtete am Mittwoch im Innenausschuss, dass seit dem 7. Oktober 2 900 Straftaten mit antisemitischem Hintergrund registriert wurden. Deshalb wiederhole ich meinen Vorschlag von vor 14 Tagen: Streichen wir endlich die Floskel „Antisemitismus hat keinen Platz in unserem Land und auf unseren Straßen“ aus unserem Wortschatz, und stellen wir uns den Realitäten!

Vor dem 7. Oktober und nach dem 7. Oktober hatten und haben wir es mit grassierendem, menschenbedrohendem Antisemitismus zu tun. Die Union bezieht sich in einem ihrer Gesetzentwürfe auch auf unsere regelmäßigen Anfragen zu antisemitisch motivierten Straf- und Gewalttaten. Und genau diese Statistiken von vor dem 7. Oktober sprechen da eine eigene Sprache. Das heißt, wir müssen uns diesem Thema in allen gesellschaftlichen Bereichen, nicht nur mit Blick auf das Strafrecht oder, wie Sie auch vorschlagen, das Demonstrationsrecht usw. stellen, sondern wir müssen da ansetzen, wo Antisemitismus überhaupt erst zur Einstellung für Menschen wird.

Nun hat die Union zwei Gesetzentwürfe vorgelegt. Und die Frage ist: Sind die dort vorgeschlagenen Regeln geeignet, dieses Problem zu lösen? Ich sage: Wir sollten nicht pauschal dem Reflex folgen, legislativen Handlungsbedarf zu behaupten, ohne vorher mal die geltende Rechtslage auf etwaige Regelungs- und Strafbarkeitslücken zu analysieren. Ich bin da ganz bei Frau Professor Hoven, die Ermittlungsakten zu antisemitischer Volksverhetzung studiert hat. Sie plädiert für eine Reform des Volksverhetzungsparagrafen 130 Absatz 1 und 2 StGB, um normative Unklarheiten des bisherigen Straftatbestandes zu beseitigen. Hier geht es um den bislang erforderlichen Inlandsbezug und auch die Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören. Da diese Unklarheiten insbesondere Fallkonstellationen antisemitischer Hetze, aber auch viele Fälle von Hetze gegen Migrantinnen und Migranten betreffen, gehört eine gesetzgeberische Anpassung des Straftatbestandes der Volksverhetzung auf die parlamentarische Tagesordnung.

Ich will jetzt nicht vortragen, was wir kürzlich schon rund um den 130er-Paragrafen gemacht haben. Wir werden das in den Beratungen sicherlich alles wägen. Ich will hier aber kurz noch die Frage in den Raum stellen: Wozu dient das eigentlich alles? Bei aktuellen öffentlichen verhetzenden Äußerungen auf und außerhalb von Demonstrationen und insbesondere in den sozialen Medien, die sich gegen Israel richten, aber Jüdinnen und Juden, wo auch immer sie leben, genauso bedrohen, geht es darum, Konstellationen und Verhaltensweisen, die in erster Linie strafbar sein müssen, zu definieren, um die Persönlichkeitsrechte, die Gesundheit und das Leben der Betroffenen im Vorfeld ihrer unmittelbaren Verletzung zu schützen. Das ist das Ziel und sollte auch das Ziel jeder Gesetzgebung sein.

Meine Redezeit ist abgelaufen. Trotzdem: Danke, dass Sie heute Nacht mit Blick auf die Bundeszentrale für politische Bildung und das Programm der „Respekt Coaches“ an den Schulen einen Fehler korrigiert haben! Ich denke, darum sollten wir uns kümmern, bevor wir uns an das Strafrecht machen.
 
 

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17.11.2023
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