Aber es ist gefährlich

Sechs Jahrzehnte forschen über Shoah und Antisemitismus - Yehuda Bauer im Gespräch
Veranstaltung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin
Grußwort von Petra Pau, MdB
Berlin, 29. Mai 2019

[pdf]

Sehr geehrter Yehuda Bauer,
sehr geehrte Damen und Herren,

fachpolitisch sind meine Pro-Themen Bürgerrechte und Demokratie und meine Kontra-Themen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus.

Antisemitismus ist uralt und scheint unausrottbar zu sein.
Aber Hass auf Jüdinnen und Juden, nur weil sie Jüdinnen und Juden sind, ist menschenverachtend und widerspricht obendrein Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Wohin Antisemitismus führen kann, hat gerade die deutsche Geschichte mit dem Holocaust bzw. der Shoa gezeigt: zum Völkermord.
Umso mehr gilt: wehret den Anfängen.

Nun wurden Sie, Herr Bauer, mit Blick auf aktuelle Rechtsentwicklungen nach Ihrer Sicht gefragt.
„Es ist nicht wie 1933“, haben Sie gesagt, „aber es ist gefährlich!“

Mit meinem Buch „Gottlose Type - meine unfrisierten Erinnerungen“ bin ich landauf, landab zu Lesungen unterwegs. Neuerdings auch mit dieser Geschichte, sie ist überschrieben mit „Erich Kästner“:

„Am 10. Mai 1933 ließen die Nazis in 22 deutschen Hochschulstädten Bücher ihnen nicht genehmer Autoren verbrennen. Zu ihnen gehörten unter anderen Karl Marx, Siegmund Freud, Kurt Tucholsky, Carl von Ossietzky, auch Heinrich Heine. Der hatte schon zu seinen Lebzeiten gewarnt: „Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.“ Und so kam es ja auch.

Alljährlich erinnern wir auf dem Berliner Bebelplatz, wie der damalige Schloss-platz seit langem heißt, mit einem „Lesen gegen das Vergessen“ an diese Schande. 2018 las ich Passagen von Erich Kästner. Auch seine Bücher landeten 1933 in den Hass-Flammen. Später, 1956, hatte er rückblickend gemahnt:

„Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf ...“

Wie kam Kästner ausgerechnet auf 1928? Ich weiß es nicht.
Aber ich biete Ihnen einige Zitate an und dann fragen Sie sich selbst.
•  AfD-Gauland, (2017):
„Wir werden Frau Merkel oder wen auch immer jagen!
Und wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen!“
•  AfD-Höcke, (2015):
„Ich will, dass Deutschland nicht nur eine tausendjährige Vergangenheit hat.
Ich will, dass Deutschland auch eine tausendjährige Zukunft hat.“
•  AfD-Gauland, (2018 im Bundestag):
„Wenn man Krieg haben will in diesem Bundestag,

dann kann man auch Krieg haben."
•  AfD-Höcke, (2017)
„Wir brauchen nichts anderes als eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad.“:
•  AfD-Gauland, (2017)
„Wir haben das Recht stolz zu sein,
auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen.“
•  AfD-Höcke, (2017)
„Das große Problem ist, dass Hitler als absolut böse dargestellt wird.“

Schließlich noch dieses Zitat:
„Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen. Wir werden Reichstagsabgeordnete, um die Weimarer Gesinnung mit ihrer eigenen Unterstützung lahm zu legen.
Uns ist jedes gesetzliche Mittel recht, den Zustand von heute zu revolutionieren. [...] Wir kommen nicht als Freunde, auch nicht als Neutrale. Wir kommen als Feinde! Wie der Wolf in die Schafherde einbricht, so kommen wir.“

Nein, das waren weder Gauland noch Höcke, wie man an den Bezügen auf den „Reichstag“ und die „Weimarer Gesinnung“ erkennen kann.
Das war Joseph Göbbels, NSDAP, 1928.           (Ende der Geschichte)

Am zurückliegenden Wochenende kreuzten sich zwei Meldungen.
Juden sollten in Deutschland nicht jederzeit und nicht überall Kippa tragen, hat demnach der Antisemitismus-Beauftragte Felix Klein geraten.
Daraufhin soll Bundesinnenminister Seehofer widersprochen haben:
„Der Staat hat zu gewährleisten, dass die freie Religionsausübung möglich ist.“
Wem sagt er das, habe ich mich daraufhin gefragt. Und vor allem: Damit hat er Felix Klein mitnichten widersprochen. Das weiß jede und jeder, der die Zahlen kennt. Antisemitische Straf- und Gewalttaten nehmen seit Jahren gefährlich zu - nicht nur von Islamisten und nicht nur vom rechten Rand, sondern inmitten der Gesellschaft. Und wo Jude aktuell häufig ein Schimpfwort ist - auf Sportplätzen, in Kneipen, selbst auf Schulhöfen - da ist etwas oberfaul.

Umso mehr empfehle ich allen den Bericht der „Unabhängigen Expertenkommission Antisemitismus“ aus dem Jahre 2017.
beschreibt sachkundig den Ernst der Lage in Deutschland.
Und er enthält 47 drängende Empfehlungen, was zu tun ist.

Ihnen, Herr Bauer, danke ich für Ihre unermüdliche Arbeit und für Ihr Kommen - Danke!
 
 

 

 

29.5.2019
Impressum
Datenschutzerklärung

 

Übersicht
Bundestag

 

 

Lesbares

 

Seitenanfang

 

Startseite