Im Wort Gedenken steckt Denken

Gedenkstunde am Platz des 18. März
Rede von Petra Pau
Berlin, 18. März 2019

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Nein, wir haben nicht verloren, wir haben nur nicht gewonnen.
Ich spreche über den neuen Feiertag in Berlin.

Seit er spruchreif wurde, blieb ich beim 18 März. Meine Partei war ursprünglich für den 8. Mai - dem Jahrestag der Befreiung vom Faschismus - und votierte schließlich auch für den 8. März, dem internationalen Frauentag.

Ich hätte den 18. März als Feiertag dennoch spannender gefunden. Denn so wäre womöglich alljährlich für viele die Frage aufgekommen: Was war am 18. März?

Und so wären wir sowohl in der 1848er Geschichte gelandet und ebenso in der Gegenwart. Und beide mahnen politisch: Bürgerrechte und Demokratie sind nie vom Himmel gefallen. Sie müssen immer erkämpft werden.

Und umgekehrt: Wenn Bürgerrechte und Demokratie nicht verteidigt werden, dann werden sie entsorgt. Laut amnesty international geschieht das seit Jahren EU-weit, auch hierzulande. Das ist die aktuelle Herausforderung.

Nun wird der 18. März oft auch mit der Wende in der DDR und den ersten freien, geheimen und gleichen Wahlen zur Volkskammer 1990 verbunden.
Zu Recht und zugleich zu Unrecht - finde ich.

Denn mit diesen Wahlen fand eine wirklich bürgerbewegte Zeit ihr Ende.
Ich habe sie im Rückblick einmal so beschrieben:

„Es war eine Zeit, in der politische Belange öffentlich ausgehandelt wurden, in der Bewegung in scheinbar unverrückbare Machtverhältnisse kam, in der viele Journalisten ihre gewonnene Freiheit in den Dienst der Aufklärung stellten, in der die Opposition regierte und die Regierung opponierte, in der die Bürgerschaft sehr engagiert war, in der das Politische Hoch-Zeit feierte. Der „Runde Tisch“ ist dafür Synonym.“

Nach diesem 18. März 1990 zog im Osten westlicher Stillstand ein.
Ruhe, nicht Aufbruch.

Selbst der Verfassungsentwurf des Runden Tisches wurde fortan ignoriert.
Dabei standen darin spannende Sachen.

Zum Beispiel in Artikel 8: „Jeder hat das Recht an seinen persönlichen Daten und auf Einsicht in ihn betreffende Akten und Dateien. Ohne freiwillige und ausdrückliche Zustimmung des Berechtigten dürfen persönliche Daten nicht erhoben, gespeichert, verwendet, verarbeitet oder weitergegeben werden.“

Vergleichen Sie das einmal mit den aktuellen Plänen von Innenminister Seehofer.

Oder Artikel 43 „Die Staatsflagge (...) trägt die Farben schwarz-rot-gold. Das Wappen des Staates ist die Darstellung des Mottos „Schwerter zu Pflugscharen“.“

2% BIP für Rüstung und Militär passt da schlecht ins Bild.

Auch Volksbegehren und Volksentscheide waren im Verfassungsentwurf verankert. Wir kämpfen heute noch darum auf Bundesebene, bislang erfolglos.

Datenschutz, Abrüstung, soziale Gerechtigkeit, mehr Demokratie - diese Verfassung war als Mitgift des Runden Tisches der DDR für ein neues Deutschland gedacht. Ein bürgerrechtliches Drängen, das Erinnerung verdient. Bei den üblichen und offiziellen Rückblicken auf den Beginn der deutschen Einheit wird dies allerdings tunlichst ausgeblendet. Warum wohl?

Der Ruf „Wir sind das Volk“ bedeutete zu DDR-Endzeiten 1989/90 übrigens für offene Grenzen - für Demokratie - für freie Presse.
Also das Gegenteil von Pegida & Co. heute.
Denn die demonstrieren nationalistisch gegen offene Grenzen - gegen Demokratie - gegen freie Presse.
Dazwischen liegen fast 30 Jahre und Welten.

Andere dürften beim Datum 18. März andere Erinnerungen pflegen. Das ist so.
Aber wie auch immer: Im Anspruch Gedenken steckt das Wort Denken.

Und so danke ich Volker Schröder und seiner „Initiative 18. März“ für die jährliche Anregung. Ich werde gerne weiter dabei sein und für sie werben.

Wer übrigens die Autobiografie von Volker noch nicht kennt:
Sein Buch trägt den Titel „Dass ein gutes Deutschland blühe“ und sei hiermit empfohlen.
 
 

 

 

18.3.2019
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