Chancen groß - Gefahren riesig

Deutsch-Israelisches Parlamentariertreffen
im Fachforum: „Digitalisierung und ihre Auswirkungen auf die Demokratie“
Moderation und Einleitung Petra Pau
Berlin, 7. Juni 2018

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Ich bin gebeten worden, das Fachgespräch über Digitalisierung und Demokratie als Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages zu moderieren.
Das tue ich gerne, überparteilich und neutral.

Ich wurde zudem gebeten, mit eigenen Gedanken in das Thema einzuführen.
Sie werden verstehen, dass ich dabei die Linke in mir nicht abschalten kann.
Gleichwohl werde ich mich kurz fassen und auf drei Gedanken beschränken.

1. 

Die Hoffnung: mehr Demokratie
 
Seit fast 20 Jahren bin ich nun im Bundestag und überhaupt als Innenpolitikerin unterwegs.
Meine Pro-Themen sind Bürgerrechte und Demokratie, meine Kontra-Themen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus.
 
Als ich den Bundestag einzog, waren wir alle schon im Netz.
Aber verglichen mit heute war das eher spartanisch.
Google ging übrigens am Abend meiner Erstwahl, am 27.09.1998 online.
Facebook und andere Anwendungen folgten viel später.
Und mobile Zugänge via Smartphones waren überhaupt noch nicht in Sicht.
 
Ich erinnere daran, weil das im Umkehrschluss heißt:
Niemand von uns kann wissen, wie die digitale Welt in 20 Jahren, sagen wir um 2040, aussehen wird. Wir können es bestenfalls ahnen.
 
Was wir wissen ist: Die Digitalisierung verläuft rasant und allumfassend.
Alle gesellschaftlichen Bereiche, nicht nur die Wirtschaft, werden erfasst.
Umso wichtiger ist es, vorausschauend politische Leitplanken zu setzen, im Pro und im Kontra.
 
Was die Demokratie betrifft, überwog bei mir anfangs großer Optimismus.
Mehr Transparenz, mehr Kommunikation, weltweit und nahezu in Echtzeit, all das und mehr sprachen für mehr Demokratie durch Digitalisierung.
 
Vorausgesetzt: Alle Bürgerinnen und Bürger haben ausnahmslos verlässlichen Zugang zum Netz, auch in ländlichen Räumen.
Davon sind wir in Deutschland auch heute noch weit entfernt.
 
Aber es gibt Entwicklungen, die mich mit zunehmender Sorge erfüllen, gerade mit Blick auf die Demokratie. Auf zwei gehe ich im Folgenden ein.

2. 

Die erste Sorge betrifft den Datenschutz.
 
Es gibt die naheliegende Floskel: „Daten sind das Öl des 21. Jahrhunderts.“ Sie werden geschöpft, verarbeitet, vermarktet.
 
Vor rund 35 Jahren, da war an das, was wir heute Digitalisierung nennen, noch gar nicht zu denken, fällte das deutsche Bundesverfassungsgericht ein weitreichendes Urteil. Im Volksmund heißt es „Volkszählungsurteil“.
 
Mit ihm wurde der Datenschutz zu einem Grundrecht erhoben.
Das Urteil wurde seither mehrfach bekräftig und gilt weiterhin.
Die innere Logik sei verkürzt so beschrieben:
 
Wer nicht mehr weiß oder nicht mehr wissen kann, wer was über ihn weiß, ist nicht mehr souverän. Eine Demokratie ohne Souveräne aber ist undenkbar.
 
Es ging bei diesem Urteil also nicht nur um den Einzelnen, seine Bürgerrechte und Daten, sondern gleichwohl um die Gesellschaft.
 
Es liegt auf der Hand, dass wir uns von diesem Grundsatz brisant entfernen und mithin von Grundlagen jedweder Demokratie. Immer mehr Daten werden erfasst, verarbeitet, verknüpft, manipuliert und verhökert.
 
Die Europäische Union hat sich dagegen auf eine Datenschutz-Grundverordnung geeinigt. Diese DSGVO trat kürzlich, am 25. Mai 2018, in Kraft. Sie ist umstritten.
 
Umstritten vor allem, weil sie Bürgerinnen und Bürger, Vereine, kleine und mittelständige Betriebe belastet, ohne Gewähr, dass damit die Großen, wie Google oder Facebook, tatsächlich rechtsstaatlich geerdet werden können.

3. 

Damit zu meinem zweiten Punkt linker Sorge: die Monopole.
 
„Silicon Valley“ ist Synonym für Innovation, aber zugleich für weltbeherrschende Datenmonopole. Monopole sind nie Ausfluss von Demokratie. Und im Bündnis mit Daten potenziert sich die Gefahr.
 
Auch, wenn Facebook-Gründer Marc Zuckerberg jüngst vor dem US-Kongress und dem EU-Parlament ob eines erneuten Datenskandals aussagen musste, so ändert das nichts an Machtverhältnissen.
 
Die großen Fünf der Digitalisierung lassen sich nicht in die Karten gucken. Allemal die Algorithmen ihrer Daten-Verarbeitung hüten sie als Monopol-Geheimnis. Das hat nichts mit Datenschutz zu tun, sondern widerspricht demokratischen Grundsätzen nötiger Transparenz.
 
Als Linke füge ich noch einen Gedanken von Prof. Wolfgang F. Haugh an. Er ist ein international anerkannter Marx-Kenner. Vor kurzem, am 5. Mai, wurde vielerorts der 200. Geburtstag von Karl Marx begangen. Zu Recht!
 
Prof. Haugh meinte zur Jahrtausendwende sinngemäß: Linkssein bedeutet, dem Kapital Macht zu nehmen, ohne sie dem Staat zu geben.
Das ist ein Plädoyer für Vergesellschaftung. Was das mit Blick auf die Macht von Google & Co. praktisch bedeuten könnte - ich weiß es nicht.

Ich belasse es bei dieser kurzen, offenen und widersprüchlichen Einführung.

Im August vorigen Jahres hatte ich zu der Frage, ob die Digitalisierung die Demokratie auffrischen könne, auf der Online-Plattform der Tageszeitung „Neues Deutschland“ einen weiterführenden Beitrag. Mein Fazit war und ist:
Chancen groß - Gefahren riesig!

Ich freue mich auf Ihre Reaktionen.
 
 

 

 

7.6.2018
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