7. Konferenz der European Gay Police Association

EGPA-Konferenz, Berlin, URANIA, 19. Juni 2014,
Grußwort von Petra Pau

Sehr geehrte Damen und Herren,

1. 

Ich begrüße Sie alle herzlich in meiner Heimatstadt Berlin. Am vergangenen Wochenende fand nicht weit von der Urania, Ihrem Tagungsort, das traditionelle schwul-lesbische Stadtfest statt. Es war inzwischen das 22. und erneut ein Großereignis mit rund 300.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern.
 
Der Verband lesbischer und schwuler Polizeibediensteter Deutschlands war dabei. Das gehört dazu. Alle im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien präsentierten ihre politischen Angebote: die Union, die SPD, DIE LINKE und Bündnis 90/Die Grünen. Auch das ist Standard.
Für Aufregung sorgte etwas anderes.
 
Auch die „Alternative für Deutschland“ war auf dem Fest. Sie ist eine relativ junge Partei. Die AfD gilt vielen als rechtspopulistisch. Sie ist kritisch bis ablehnend gegenüber der Europäischen Union. „Mut für Deutschland“ ist ihr nationaler Slogan. Mitglieder der AfD fielen bereits durch homophobe Äußerungen auf. Ihre Präsenz auf dem schwul-lesbischen Stadtfest wurde folglich als aggressive Provokation empfunden.
 
Ich würde über diese Partei hier kein Wort verlieren, spiegelte sie nicht einen Trend. Die „Alternative für Deutschland“ wurde am 25. Mai 2014 in das „Europäische Parlament“ gewählt. So, wie in vielen Ländern der EU rechtspopulistische oder gar rechtsextreme Parteien einen wachsenden Zuspruch erhielten. Das macht es für die Themen ihres internationalen Kongresses nicht leichter.
 
Umso mehr wünsche ich Ihnen erfolgreiche Beratungen.

2. 

Mein zweiter Gedanke: Polizistinnen und Polizisten sind häufig jene, die Fehler der Politik ausbaden müssen. Deshalb möchte ich Sie auf eine wissenschaftliche Langzeitstudie aufmerksam machen. Sie lief über zehn Jahre und beleuchtete „Deutsche Zustände“. Ihr Befund ließe sich in zahlreichen anderen Staaten ebenso belegen, in Europa und darüber hinaus: Die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nimmt zu.
 
Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist mehr als Rassismus. Sie richtet sich auch gegen Arbeits- und Obdachlose, gegen Menschen mit Behinderungen, gegen Schwule und Lesben, gegen Flüchtlinge und Asylsuchende, gegen Sinti und Roma, kurzum gegen alle, die in einer vermeintlichen Sozial-Hierarchie noch unter einem selbst rangieren und zudem als anormal und gefährlich gebrandmarkt werden.
 
Die Langzeitstudie besagt auch: Die allgemeine Akzeptanz, politische Defizite mit individueller Gewalt gegen andere zu lösen oder lösen zu lassen, nimmt zu. Das ist eine gefährliche Entwicklung. Als tiefere Ursache dafür weist das Wissenschaftler-Team übrigens aus: Das Soziale wird zunehmend ökonomisiert und die Demokratie wird entleert. Das ist eine Generalkritik an der aktuellen Politik. International.
 
Vielleicht will sich einer ihrer Folgekongresse auch damit zu befassen. Ich empfehle es ihnen sehr.

3. 

Ein dritter Gedanke: Vor wenigen Wochen hatte der Deutsche Bundestag ein historisches Datum gewürdigt. Vor 60 Jahren trat das Grundgesetz - die vorläufige Verfassung der Bundesrepublik Deutschland - in Kraft. Es korrespondiert in zentralen Aussagen mit der Allgemeinen Menschenrechtskonvention und mit der EU-Grundrechte-Charta. Kurzum: Als Innenpolitikerin bin ich eine Verfassungsschützerin.
 
Auch, weil das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland so klar und gleichwohl ambivalent beginnt. In Artikel 1 heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Ich ergänze: aller Menschen, nicht nur der Schönen und Reichen, nicht nur der Deutschen, nicht nur der Heterosexuellen, sondern aller Menschen, unabhängig ihrer Herkunft, ihrer nationalen, sexuellen, religiösen oder politischen Orientierung.
 
Doch dann folgt Satz 2: Die Würde des Menschen (erneut Zitat) „zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt.“ Wäre Satz 1 - „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ - so selbstverständlich, bräuchte es Satz 2 - sie „zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ nicht. Zwischen Verfassungs-Theorie und -Praxis klafft also ein Widerspruch.
 
Ich gehe davon aus: lesbische, schwule oder transsexuelle Polizistinnen und Polizisten nehmen diesen Widerspruch nicht nur theoretisch wahr. Sie erleben ihn. Sonst wären ja auch ihre nationalen Selbstorganisationen und diese internationale Kongressfolge sinnlos. Positiv gewendet: Sie alle können miteinander eine engagierte Bürgerrechtsorganisation innerhalb der Polizeien aller Länder sein.
 
Das, finde ich, lohnt jedes Engagement!
 
Um den Verfassungsdiskurs abzurunden. Sei auch das noch erwähnt. Artikel 2 des deutschen Grundgesetzes garantiert jedem „das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit“. Und in Artikel 3 wird unterstrichen: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“
 
Theoretisch, denn noch 1957 urteilte das Bundesverfassungsgericht in der Bundesrepublik Deutschland (alt): Beides gelte für Homosexuelle nicht, da deren Agieren sittenwidrig und nach dem berüchtigten Paragrafen 175 unter Strafe stehe.
 
Dass diese diskriminierende Rechtssprechung vor 20 Jahren revidiert wurde, sei positiv angemerkt und zeigt, es lohnt sich zu kämpfen. Auch in den 77 Ländern weltweit, in denen Homosexuelle noch immer geächtet, verfolgt und bestraft werden.
 
 
Abschließend:
 
Ich freue mich, dass ihr Kongress in Berlin stattfindet.
Noch besser fände ich es, wenn auch der Berliner Senat und die hier ansässigen Bundesministerien diese Freude erkennbar teilen und die Regenbogen-Fahne hissen würden.
 

 

 

19.6.2014
www.petra-pau.de

 

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