Aktuelle Notiz: Gehen Medaillen über alles?

von Petra Pau
6. August 2012

1. 

Am 4. November 2011 wurde bekannt: Ein Nazi-Trio namens „NSU“ war jahrelang mordend und raubend durch die Bundesrepublik Deutschland gezogen. Sie richteten acht Bürger türkischer Herkunft und einen mit griechischen Wurzeln regelrecht hin. Zudem erschossen sie kaltblütig eine Polizistin. Ihr Motiv: rechtsextrem, germanisch-rassistisch.

2. 

Ein Opfer wurde in Rostock umgebracht, Mehmet Turgut. Er wurde von der NSU-Bande am 25. 02. 2004 liquidiert. Inwiefern sie im Vorfeld Helfer vor Ort hatte, gehört zu den offenen Fragen. Dass es in der Hansestadt eine militante Neo-Nazi-Szene gibt, ist indes kein Geheimnis. Dazu gehört die Kameradschaft „Nationale Sozialisten Rostock“.

3. 

Einer ihrer Aktivisten heißt Michael Fischer, ehemals Leistungssportler, Ruderer. Seit 2007 gilt er als bekennender Nazi. 2011 kandidierte er als NPD-Direktkandidat in Rostock. Legal und deswegen nicht zentral. Bemerkenswerter ist eine andere Geschichte. Sie datiert auf dem 25. 02. 2012. In Rostock wurde an die Ermordung von Mehmet Turgut erinnert.

4. 

Nazis störten gewalttätig das Gedenken und legten sich zudem mit der Polizei an. Die Provokation ist dokumentiert. Aktiv dabei war Michael Fischer. Die Botschaft war klar ausländerfeindlich und nur schwerlich als Sympathie-Aktion für die NSU-Nazi-Mord-Bande zu verkennen. Es war ein menschenfeindlicher Skandal, der spät „berühmt“ wurde.

5. 

Michael Fischer war ehemals ein geförderter Ruder-Kamerad der aktuellen Olympionikin Nadja Drygalla. Sie gilt seit längerem als seine Lebenspartnerin. Nadja Drygalla verließ am 2. August 2012 das Olympische Dorf in London. Vorausgegangen war ein Gespräch mit dem Chef der Deutschen Olympia-Mission, Michael Vesper.

6. 

„Von nun an wird es oberfaul“, erklärte ich am Tag darauf. Denn die Verbindung Drygalla-Fischer war mitnichten neu. Nur jetzt, vor olympischer Weltpresse, wurde sie offenbar heikel, vordem nicht. Denn trotz alledem wurde die Ruderin „sportlich zur Olympia-Reife gefördert und in das deutsche Vorzeige-Team berufen“.

7. 

Seitdem liefern sich Kommentatoren in den Medien zwei Debatten-Stränge: Wie konnte das passieren? Handelt es sich um Sippenhaft? Das Zweite wäre Unrecht, Punkt um! Das Erste bleibt offen, warum? Stattdessen werden Irrlichter gestreut. Fischer sei längst ein bekehrter Aussteiger, wird plötzlich nachgeschoben, höchst zweifelhaft.

8. 

IOC-Vize-Präsident Thomas Bach kritisiert die Kritiker, wieso sie nicht vordem Alarm geschlagen hätten. Der Bund wollte nie gehört haben, was im Land Mecklenburg-Vorpommern unüberhörbar war. Der Sport schimpft auf die Politik und umgekehrt. Und die Bundeswehr wollte eine Sportförderung übernehmen, die von der Polizei abgebrochen wurde.

9. 

Jeder sucht plötzlich sein Heil in der Flucht. So, als hätte es das NSU-Desaster nie gegeben. Das Grundgesetz wird bemüht, Artikel 5 oder Artikel 8. Sie gelten! Aber wie wäre es auch mal wieder mit Artikel 1: Die Würde des Menschen ist unantastbar, aller. Der aktuelle Konflikt schwelte lange. Doch offenbar wollte ihn niemand wahrhaben.

10. 

Meine Kontroverse heißt nicht Pau kontra Drygalla. Manche Medien hätten das gern. Ich nicht. Sie hat sich in der laufenden Debatte klar von rechtsextremen Haltungen distanziert. Das zählt. Mein Angelpunkt sind auch nicht die Schande-mails, in denen mich nun Demokratie-Wächter als totalitäre Faschistin beschimpfen.

11. 

Mich nervt die immer noch zur Schau gestellte Naivität von Spitzenfunktionären, wonach Rechtsextremismus im Sport „selbstverständlich“ keinen Platz habe. Wie realitätsfremd darf man eigentlich sein. Oder gehen Medaillen über alles? Gerade der Sport ist ein gefragter Tummel- und Werbeplatz für rechtsextreme Kameraden.

12. 

FFF, Fußball, Feuerwehr, Freizeit sind seit langem Begierden faschistischer Cliquen. Das ist kein Novum, das ist Strategie, nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern. Übrigens: Die kurzzeitige NSU-Spur ins Rechtsextreme galt politisch auch deshalb als lästig, weil 2006 die Fußball-WM in Deutschland froh lockte. Braune Schatten waren dabei unerwünscht.
 

 

 

6.8.2012
www.petra-pau.de

 

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