Die Geschichte der Vorratsspeicherung in - vorläufig - 7 Kapiteln

Bundestag, 26. März 2010,Plenar-Debatte zur „Vorratsdatenspeicherung“
Rede von Petra Pau

1. 

Das Bundesverfassungsgericht hat die praktizierte Vorratsspeicherung aller Telekommunikationsdaten für verfassungswidrig erklärt. Das war gut für den Datenschutz und wichtig für den Rechtsstaat. Ich habe das namens der Fraktion DIE LINKE ausdrücklich begrüßt.

2. 

Aber das ist nicht das Ende der Geschichte. Die Begehrlichkeiten nach immer mehr persönlichen Daten sind ungebrochen. Das zeigen erste Stellungnahmen von Bundesinnenminister Thomas de Maizière und von Innenpolitikern der CDU/CSU-Fraktion.

3. 

Deshalb will Bündnis 90/Die Grünen mit dem aktuellen Antrag verhindern, dass die gerade gestoppte Vorratsdatenspeicherung durch die EU-Hintertür wieder eingeführt und sogar noch ausgeweitet wird. Die Gefahr ist real, deshalb unterstützt DIE LINKE den grünen Antrag.

4. 

Zu alledem muss man die Vorgeschichte kennen. Vor sechs Jahren debattierte der Bundestag erstmals über die Vorratsspeicherung aller Telekommunikations-Verbindungsdaten. Der Bundestag lehnte seinerzeit, also 2004, dieses Ansinnen mit klarer Mehrheit ab.

5. 

Dann begann Kapitel 2 der Geschichte. Die damalige Bundesregierung stampfte in Brüssel so lange mit den Füßen, bis die EU-Kommission die Vorratsspeicherung verfügte, und zwar verbindlich für alle EU-Mitgliedstaaten. Das war 2006, dank CDU/CSU und SPD.

6. 

Kapitel 3 ist eben so schnell erzählt. Die damalige Regierungs-Koalition, wieder die CDU/CSU und die SPD, beschloss 2007 im Bundestag die noch kurz zuvor einhellig abgelehnte Vorratsdatenspeicherung. Man berief sich dabei auf die Europäische Union, quasi auf höheren Notstand.

7. 

Kapitel 4 und 5 waren von der CDU/CSU und von der SPD so nicht erwartet worden. Erst formierte sich unter dem Kürzel „Vorratsdatenspeicherung“ eine bundesweite Bürgerrechtsbewegung. Sie drohte obendrein mit Massen-Klagen beim Bundesverfassungsgericht.
 
Dann entschied das Bundesverfassungsgericht nach einer Klage gegen den EU-Vertrag von „Lissabon“, dass EU-Recht mitnichten deutsches Recht breche, jedenfalls nicht, wenn dies gegen das Grundgesetz verstoße. Das war 2008. Erfolgreich geklagt hatte übrigens DIE LINKE.

8. 

Kapitel 6 fand am 02. 03. 2010 ein vorläufiges Ende. In seinem Urteil erklärte das Bundesverfassungsgericht die praktizierte Vorratspeicherung aller Telekommunikationsdaten für verfassungswidrig und das entsprechende Gesetz für Null und nichtig.
 
Doch umgehend folgte Kapitel 7. Während die einen das Urteil des Verfassungsgerichtes als Erfolg für den Rechtsstaat priesen, bliesen die anderen sofort zur nächsten Attacke. Und wieder droht der Trick aus Kapitel 2, nämlich der Umweg über die EU-Instanzen.

9. 

Ich will daher anmerken: Wer unentwegt nach Wegen sucht, verbriefte Bürgerrechte auszuhebeln, der missachtet Bürgerinnen und Bürger, der gefährdet die Demokratie und der lanciert die Europäische Union in eine zwielichtige, bürgerferne Ecke. Das will DIE LINKE nicht.

10. 

Nun fordert der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen (Zitat): „Die Bundesregierung möge auf europäischer Ebene Vorhaben, die Vorrats-Datenspeicherungen vorsehen, energisch (...) entgegentreten.“ Ich hätte in diesem Antrag gern ein Wörtchen mehr, nämlich „alle“ Vorhaben.

11. 

Denn es geht nicht nur um die Telekommunikationsdaten. Zur Erinnerung: Wer als Fluggast in die USA fliegt, muss seit Jahren den US-Geheimdiensten über 30 persönliche Daten prophylaktisch und auf Vorrat preisgeben. Auch das hält DIE LINKE für verfassungswidrig.

12. 

Nun locken die USA mit einem Deal. Die EU könnten ja genauso viele Daten von Fluggästen aus den USA erhalten. Was scheinbar gerecht klingt, läuft real auf eine Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung hinaus. Dieser Trend muss dringend gestoppt und umgekehrt werden.

13. 

Deshalb wiederhole ich abschließend noch einmal die weitergehende Forderung der Fraktion DIE LINKE: Wir wollen ein Moratorium für alle elektronischen Großprojekte, die datenschutz-relevant und geeignet sind, verbriefte Bürgerrechte zu unterlaufen.
 
Dazu gehört ELENA, ein System, mit dem massenhaft Daten über alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Vorrat erfasst werden. Dazu gehören auch die elektronische Gesundheitskarte, der elektronische Personalausweis und weitere Vorhaben.
 
Ich sage dies auch vor dem Hintergrund einer Erfahrung, die immer mehr Bürgerinnen und Bürger machen: Persönliche Daten, einmal Preis gegeben, sind unwiderruflich und unkontrollierbar weg. Deshalb muss der Datensammelwut endlich ein Riegel vorgeschoben werden.
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

[als Video bei YouTube]

 

 

26.3.2010
www.petra-pau.de

 

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