Aktuelle Notiz: Der Ost-West-Limes

von Petra Pau
Berlin, 14. Dezember 2007

1. 

Die gesetzlichen Renten in den neuen Bundesländern fallen noch immer niedriger aus, als die in den alten Bundesländern. Das ist 17 Jahre nach der staatlichen Einheit nicht mehr zu vermitteln. Deshalb hat DIE LINKE heute im Bundestag beantragt, die Eckpunkte zur Berechnung der Renten bis 2012 im Osten an das West-Niveau anzugleichen.

2. 

Eine Debatte darüber war nicht erwünscht. Gregor Gysi sprach dennoch für DIE LINKE. CDU/CSU, Bündnis 90 DIE Grünen und ein Staatssekretär schlossen sich in einer kurzen Kontroverse an. Sie signalisierten Ablehnung. Die Union sprach von „linkem Populismus“. Die Grünen wollte keine große Lösung. Der Staatssekretär verwies auf eine drohenden Bruch im Renten-System.

3. 

Der Bruch bestünde darin, dass die Renten-Entwicklung im Osten, folgte man dem Vorschlag der LINKEN, von der allgemeinen Gehalts- und Lohn-Entwicklung abgekoppelt würde. Da die Löhne und Gehälter im Osten aber niedriger sind, als die im Westen üblichen, dürfe man für die davon abgeleiteten Renten keine Ausnahme machen. Sagte sinngemäß der Staatssekretär.

4. 

Also bleibt alles beim Alten? Das wird man sehen, denn der Antrag der Linksfraktion auf Angleichung der Renten-Ansprüche-Ost ans West-Niveau wird nunmehr in den parlamentarischen Fachausschüssen verhandelt. Umso wichtiger ist es, sich den aktuellen Zustand noch einmal in Erinnerung zu rufen. Und der ist mehrfach schizophren und verstärkt sich dadurch.

5. 

Wer heute in Frankfurt/Oder eine Arbeitsstelle ergattert, wir noch in 50 Jahren spüren, was er war und ist: ein Ossi. Er bekommt weniger Lohn, als sein Kollege in Frankfurt am Main, trotz längerer Arbeitszeit. Folglich fällt ein halbes Jahrhundert später auch seine Rente niedriger aus, obwohl er dann die gleiche Arbeit verrichtet hat, wie sein Kollege in Frankfurt am Main.

6. 

Das führt zu der Frage, ob die Ost-West-Lohn-Differenz überhaupt noch gerechtfertigt ist. Vielleicht war sie es einmal, auf Grund unterschiedlicher Produktivität. Aber dieser Verweis sticht immer weniger. Stattdessen wird immer deutlicher, dass wir es mit einem politischen Problem zu tun haben. Die 1990 verschwundene Grenz-Mauer lebt in den Köpfen der Politiker fort.

7. 

Jüngst hat sich die große Koalition auf einen Mindestlohn für Briefzusteller geeinigt. 8 Euro im Osten, 9,80 im Westen. Sind die Ost-Briefträger langsamer, die Ost-Briefe leichter, die Ost-Preise niedriger, als in den alten Bundesländern? Nein: Die Ost-West-Differenz ist ein künstliches, politisches Gebilde. An dem übrigens nicht nur die Regierung schuld ist, sondern auch die Gewerkschaften.

8. 

Dasselbe erleben wir bei Beamtinnen und Beamten. Es kam zum Vorschein, als Hartz-IV-Empfänger-Ost weniger Geld zugestanden wurde, als Hartz-IV-Empfängern-West. Auch Soldaten im Auslandseinsatz haben den Ost-West-Stempel im Tornister. Ein zerschossenes Ost-Bein ist nämlich noch immer weniger wert, als ein zerfetztes West-Bein. Das ist die Realität 2007.

9. 

Vor diesem Hintergrund hat DIE LINKE die Rentenangleichung erneut auf die Tagesordnung des Bundestages gesetzt. Sie widerspricht „dem System“, meinte technokratisch der Staatssekretär. Das sei „typisch populistisch“ befand die Unions-Sprecherin. Man sei nicht bereit, Stasi-Leuten höhere Renten zu zahlen, empörte sich die Rednerin der Grünen. Als ob es darum ginge.

10. 

Ich habe jüngst auf einem Gewerkschaftstag des Deutschen Beamten-Bundes gefragt: „Was sollen Sonntagsreden über den Fall der Mauer, wenn im Alltag der Ost-West-Limes noch immer in den Tarifverträgen steht?“ Das ist eine politische Frage, keine Systemfrage. Und wenn es doch eine Systemfrage sein sollte, dann ist es erst recht eine politische Frage.
 

 

 

14.12.2007
www.petra-pau.de

 

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