Recht für die Bürger: transparent, nachvollziehbar, handhabbar

Expertenanhörung der Fraktion DIE LINKE.: „Linke Vorstellungen zum Petitionsgesetz“
Bundestag, 5. November 2007,
Beitrag von Petra Pau

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1. 

Vor kurzem war ich in Hannover. Das zuständige Kuratorium hatte mich gebeten, auf den 10. Hannah-Arendt-Tagen zu sprechen. Die Publizistin und Gelehrte wurde 1906 im heutigen Hannover geboren. Die Tagung hatte ein Thema: „Die Krise der politischen Repräsentation!“ Ich habe diesen Befund in meiner Rede bestätigt. Die Krise wird genährt, subjektiv und objektiv. Ich habe versucht, dafür fünf Ursachen zu beschreiben. Die Rede ist nachlesbar.
 
Auf dieser Tagung in Hannover waren wir uns mehrheitlich einig: Wir haben es mit einer Krise der Demokratie zu tun. Demokratie-Verdruss macht sich breit. Demokratie-Verdruss aber ist keine Grippe, die nach einer Woche wieder verschwindet. Demokratie-Verdruss wirkt - um im Bild zu bleiben - eher wie Aids. Er schwächt das gesellschaftliche Immunsystem. Und genau das ist ein Einfallstor für Rechtsextreme mit ihren menschenfeindlichen Parolen.
 
Meine These war und ist: Gegen Demokratie-Verdruss hilft nur mehr Demokratie. Die Bürgerinnen und Bürger müssen als Souverän wieder ernster genommen werden und sie müssen sich ernst genommen fühlen. Mehr Demokratie kann heißen: Volksabstimmungen auch auf Bundesebene. Mehr Demokratie kann heißen: Wahlrecht auch für hier lebende Nicht-EU-Bürger. Mehr Demokratie kann heißen: Bürgerhaushalte in den Kommunen.
 
Mehr Demokratie kann auch heißen: Ein Petitionsrecht, das weiter geht, das verbindlicher und transparenter ist, als das bestehende. Darum geht es uns heute. Die Fraktion DIE LINKE hat in diesem Sinne einen Gesetzentwurf für den Bundestag vorbereitet. Und nun suchen wir Rat, ihren Rat, sehr geehrte Expertinnen und Experten. Wir haben Vorstellungen, was wir mit dem Gesetz erreichen wollen. Und wir haben Zweifel, ob das alles im Einzelnen auch immer klug und rechtens ist.

2. 

Bei dem aktuellen Gesetzentwurf haben wir Anleihen bei Vorarbeiten genommen, die noch aus der 14. Legislatur des Bundestages stammen. Seither hat es Änderungen in der Petitions-Praxis gegeben. Das viel zitierte E-Gouvernement hat inzwischen Einzug gehalten. Aber es gab keine Änderungen im Petitions-Recht. Die aber halten wir für nötig. Und wir wollen jetzt die Debatte dazu. Auch oder gerade, weil der Änderungs-Wille zum Besseren in der großen Koalition eher klein ist.
 
Das macht es nicht leichter. Zumal wir für eine Änderung des Grundgesetzes plädieren. Dazu braucht man bekanntlich eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag. Artikel 45c GG beschreibt den Petitionsausschuss und stellt fest: „Die Befugnisse des Ausschusses... regelt ein Gesetz.“
 
DIE LINKE meint: Es geht nicht nur um Befugnisse des Ausschusses. Zu stärken sind vor allem die Rechte der Petentinnen und Petenten gegenüber dem Ausschuss und damit dem Bundestag.
 
Zugleich muss die Stellung des Petitionsausschusses im Beziehungsgefüge Bundesregierung und Parlament überprüft werden. Er ist Teil der Legislative und Ansprechpartner für Bürgerinnen und Bürger. Die wiederum können Anliegen haben, die keinen Aufschub dulden und gerade deshalb Aufschub erheischen. Angenommen, ein Bürger soll abgeschoben werden. Er wehrt sich und ruft den Petitionsausschuss an. Wäre es nicht sinnvoll, wenn der Petitionsausschuss bis zur endgültigen Klärung die Exekutive anweisen kann, die Abschiebung auszusetzen?
 
Bevor ich zu weiteren Einzelfragen komme, will ich noch für eine Tugend werben, die bei Linken zuweilen nicht über Gebühr ausgeprägt ist. Wir wollen ein Recht setzen, das für die Bürgerinnen und Bürger transparent, nachvollziehbar und somit handhabbar ist. Das heißt: Wir streben bei aller Juristerei eine Sprache an, die im wahren Leben auch verstanden wird. Nun habe ich grob erklärt, was wir warum wollen. Und nun komme ich zum Detail, wo bekanntlich der Teufel steckt.

3. 

Stichwort: Sonderstellung Petitionsausschuss:
Ich hatte so eben ein Beispiel genannt, bei dem es sinnvoll erscheint, dass der Petitionsausschuss in laufende Amtshandlungen der Regierung eingreifen kann. Nicht permanent, aber in wohl definierten Fällen, bei denen das Regierungshandeln die Petition hinfällig machen würde, und zwar zu Ungunsten der Petentin oder des Petenten. Damit berühren wir aber das Prinzip der Gewaltenteilung. Und nun sind wir unschlüssig: Mit gutem Recht oder mit schlechten Folgen. Wir bitten Sie also um Rat.
 
Stichwort: Quorum für öffentliche Beratung:
Hat eine Petition 50.000 Unterstützer, dann mündet sie in einer öffentlichen Beratung. Die Unterschriften müssen binnen drei Wochen gesammelt werden. Das gelang bisher nur ein Mal, beim Thema Pendler-Pauschale. Wir wollen das Quorum auf 20.000 Unterschriften senken. Und wir wollen, dass bei der öffentlichen Behandlung ein Vertreter der Regierung und ein Repräsentant der Petition geladen werden, wobei der Petitions-Vertreter mit einem Frage- und Rederecht gestärkt wird.
 
Stichwort: Rolle des Plenums:
Es gibt Überlegungen, wonach Petitionen durch den Ausschuss abschließend beschieden werden könnten, ohne Votum im Plenum des Bundestages. Das Pro-Argument: Dadurch könnte das Petitions-Verfahren schneller abgeschlossen werden. Wir halten das dennoch für falsch. Denn der Adressat jeder Petition sind der Bundestag und seine Abgeordneten. Für wichtiger halten wir, dass das Petitions-Verfahren und sein Stand für die Antragsteller jederzeit transparent sind.
 
Stichwort: Regierungs-Zustimmung:
Durch den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages wissen wir, es gibt offenbar bewährte Petitions-Verfahren, zum Beispiel in Baden-Württemberg. Nach der Geschäftsordnung des Landestages teilt der Petitions-Ausschuss der Landesregierung mit, wie er eine Petition bewertet. Empfiehlt der Ausschuss „zur Berücksichtigung“ oder „zur Erwägung“, dann ist die Regierung am Zuge. Legt die Regierung keinen Widerspruch ein, dann gilt das Votum aus dem Petitions-Ausschuss. Auch dazu wünsche ich mir Experten-Rat.
 
Stichwort: Mehrfach-Petitionen:
Jeder Petent und jede Petentin hat ein Anliegen, das für sie wichtig ist. Sie sind entsprechend ernst zu nehmen. Zugleich signalisieren Mehrfach- oder Sammel-Petitionen: Es geht um ein übergreifendes Problem. Das muss im Ausschuss, das muss im Bundestag und das muss der Bundesregierung klar sein. Und das muss ihnen klar gemacht werden. Wir suchen also nach einer Regelung, bei der Mehrfach-Petitionen mit dem politischen Gewicht versehen werden, das sie in sich tragen.
 
Stichwort: Gegen Sprach-Wirr-Warr:
Wir unterscheiden in unserem Gesetzentwurf übrigens nicht mehr zwischen Mehrfach-, Massen- und Sammel-Petitionen. Wir sprechen nur noch von Mehrfach-Petitionen, also von Petitionen, die von vielen unterstützt werden. Wir differenzieren auch nicht mehr zwischen Bitten und Beschwerden. Wir gehen davon aus, dass alle Bürgerinnen und Bürger, die ein Anliegen unterstützen, damit ihr Anliegen vertreten. Zugleich wollen wir damit das rechtliche Sprach-Wirr-Warr entwirren.
 
Stichwort: Öffentliche Daseinsvorsorge:
Wir erleben eine Entwicklung, die von der Linken politisch kritisiert wird. Immer mehr Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge werden privatisiert. Aktuell haben wir die Diskussion um die Bahn. Ich könnte genauso die Stichworte Wasserbetriebe, Krankenhäuser, Energieversorgung nennen. Das führt zu der Frage: Wie verhindern wir im Petitionsrecht „kontrollfreie Räume“, in denen sich die Politik für nicht mehr zuständig erklärt, obwohl sie zuständig ist und bleibt.
 
Stichwort: Akteneinsicht für Petenten:
Wir wollen das Petitionsverfahren transparenter gestalten. Und wir wollen die Rechte der Petentinnen und Petenten stärken. Deshalb schlagen wir vor, dass die Petentinnen und Petenten nach Abschluss ihres Antrags-Verfahrens Akteneinsicht bekommen. Denkbar ist natürlich auch, dass diese bereits während des Verfahrens Akteneinsicht erhalten. Das Pro-Argument: Sie könnten so mehr Einfluss auf die abschließende Entscheidung nehmen. Aber es gibt auch gute Gründe dagegen.
 
Stichwort: Beweis-Erhebungsrecht:
Sollte der Petitions-Ausschuss berechtigt werden, Beweise erheben zu dürfen? Er käme damit in die Nähe eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses und er bekäme damit juristische Rechte und zugleich juristische Fesseln. Ich bin daher eher skeptisch. Nicht zuletzt, weil sich der Petitions-Ausschuss damit überheben würde. Er wäre nicht mehr parlamentarischer Mittler. Er würde sich als Richter versuchen. Aber auch dazu ist die Sicht guter Berater gefragt.
 
Stichwort: Selbst-Befassungsrecht:
Ebenso umstritten ist, ob der Petitions-Ausschuss ein Selbst-Befassungsrecht erhalten soll. Also, ob er von sich aus aktiv werden sollte, wenn er Hinweise hat, dass Unrecht geschehen sein könnte. Ich meine: Nein. Ich finde: Das wäre auch keine Stärkung der Petentinnen und Petenten. Ich will deren Rechte stärken und nicht durch Gremien ersetzen. Aber eine Anhörung ist auch dazu da, dazu zu lernen. Deshalb stelle ich auch das Selbst-Befassungsrecht zur Diskussion.
 

 

 

5.11.2007
www.petra-pau.de

 

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