Aktuelle Notiz: Vergleichbar?

von Petra Pau
Berlin, 29. Mai 2007

1. 

Wie macht man ein Übel sinnlich erfahrbar? Indem man ein Beispiel wählt, das Ekel erzeugt und abschreckt. So geschehen, als nach dem Ende der DDR ruchbar wurde, dass deren Ministerium für Staatssicherheit Tausende Geruchsproben von missliebigen Bürgerinnen und Bürgern in Konservengläsern aufbewahrt hatte. Deshalb werden sie seither prominent als Markenzeichen der untergegangenen DDR im „Haus der Geschichte“ in Bonn präsentiert.
Nun wurde bekannt: Die Polizei hat in mehreren Bundesländern Geruchsproben von vermeintlichen System-Kritikern genommen, prophylaktisch vor dem G8-Gipfel. Vize-Präsident Thierse (SPD) sprach von Stasi-Methoden. FDP-Fraktionschef Westerwelle sprach von einem Skandal. Warum? Weil Thierse einem Rechtsstaat Stasi-Methoden unterstellt habe. Bundesjustiz-Ministerin Zypries (SPD) wiederum befand, die Geruchsproben seien unappetitlich, aber rechtmäßig.

2. 

1981 besuchte der damalige Bundeskanzler der BRD den damaligen Staatsratsvorsitzenden der DDR. Man traf sich in der Schorfheide und krönte den Besuch mit einer Visite in der Barlach-Stadt Güstrow. Die wurde hermetisch abgeriegelt. Kein Normalsterblicher durfte hinein und kein Einwohner aus dem Haus. Jegliche Regung war unerwünscht, Protest wurde ausgeschlossen, mit Sicherheit. Die West-Medien empörten sich über den künstlichen Hochsicherheitstrakt. Zu Recht!
2007 ist das Ostsee-Bad Heiligendamm Austragungs-Ort des G8-Gipfels. Staatsmänner aus den selbsternannt wichtigsten Ländern der Welt kommen zu Hauff. Die Stadt wurde weiträumig umzäunt. Zehntausende Polizisten bewachen den Austragungs-Ort zu Land und von der See aus. Normalsterbliche sind unerwünscht, allemal Bürgerinnen und Bürger, die ihre Kritik vernehmbar demonstrieren wollen. Auch Heiligendamm gleicht einem Hochsicherheitstrakt.

3. 

Die DDR rang um internationale Reputation. Ein fruchtbares Feld dafür war der Leistungssport. Er wurde zum Werbeträger. Bis nachweisbar wurde, dass im großen Stil Doping im Spiel war. Nach der Wende wurden Trainer deshalb reihenweise entlassen, einige wurden vor Gericht gestellt, ebenso Funktionäre des DDR-Sportverbandes. Nicht, weil Sportler egoistisch aus dem Ruder gelaufen waren, sondern weil Doping ein organisiertes System von Staats wegen war.
Seit Wochen läuft eine Offenbarungs-Orgie durch die Talk-Shows. Ein Rad-Profi nach dem anderen offenbart, dass er ganz früher einmal gedopt habe, um mit der Weltspitze mithalten zu können. Enttäuschung und Empörung werden als mediales Rührstück verkauft. Und wieder geht es nicht um Sportler, die egoistisch aus dem Ruder gelaufen sind, sondern erneut um ein organisiertes System - diesmal ein kapitales der Profiteure, die sich Rennställe leisten - mit Staates Segen.

PS 1: Vergleichbar oder nicht? Ich überlasse die Antwort der jeweiligen Leserin bzw. dem jeweiligen Leser. Relativiert sich damit DDR-Unrecht? Nein! Relativiert sich damit die „moralische Instanz BRD“? Ja! Hat sie es schon gemerkt? Vielleicht! Wird sie es zugeben? Nein!

PS 2: Bei anderen gelesen: „Die Geschichte ist die Lüge, auf die man sich geeinigt hat.“ Oder: „Die Geschichtsschreibung ist der zweite Triumph der Sieger über die Besiegten.“ Oder: „Die Geschichte lehrt die Menschen, dass die Geschichte die Menschen nichts lehrt.“
 

 

 

29.5.2007
www.petra-pau.de

 

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