Mit Engagement, Ideen und langen Atem

Rede von Petra Pau auf der Protestkundgebung „Mit Geist gegen Ungeist“ - Keine Nazis in der Prignitz am 20. Januar 2007 in Kleinow

1. 

Ende November war ich in Halbe. Alte und neue Kameraden wollten dort die Wehrmacht ehren und ein Helden-Gedenken veranstalten. Dagegen wehrten sich ca. 10.000 Brandenburger und Berliner mit einem „Tag der Demokratie“ - mit Erfolg.
Anfang Dezember wollten die NPD und Kameradschaften in Berlin demonstrativ von Ost nach West marschieren. Das Bündnis „Bunt statt Braun“ besetze mit Unterstützung aus der Bundes- und Landespolitik die angemeldete Magistrale.
Ende Dezember kam aus Delmenhorst die gute Meldung. Der Verkauf und die Umwidmung eines Hotels in ein rechextremistisches Schulungszentrum wurden verhindert. Das war ein Erfolg für die ganze Stadt, die monatelang gekämpft hat.
Vorigen Sonnabend war ich in Magdeburg. Auch dort wollten Rechtsextremisten einen Friedhof schänden und das Nazi-Reich verherrlichen. Hunderte haben den Friedhof mit einer Menschenkette abgeschirmt und das Helden-Gedenken verhindert.
Alle vier Beispiele zeigen:
Es gab couragierte Leute, die es nicht unwidersprochen hinnehmen, wenn alte und neue Kameraden ihr Unwesen stiften. Sie sagen: Stopp!
Alle vier Beispiele zeigen:
Die Leute haben als Bürgerinnen und Bürger, als couragierte Zivilgesellschaft selbst gehandelt. Sie haben gezeigt: Das ist unser Land, unsere Stadt, unser Dorf.
Und alle vier Beispiele zeigen:
Sie waren erfolgreich, weil sie mit Engagement vorgingen, mit Einfalls-Reichtum und mit Ausdauer. Und genau dazu möchte ich Sie ermutigen. Deshalb bin ich hier.

2. 

Sie kennen vielleicht die Schlagzeilen, wonach rechtsextremistische Straftaten und rechtsextremistische Gewalttaten zugenommen haben. So eine Schlagzeile kommt und so eine Schlagzeile geht. Deshalb will ich das Problem ein wenig illustrieren.
Voriges Jahr hatten wir in Berlin Wahlkampf. Im Frühjahr wurde ein Abgeordneter der Linkspartei auf offener Straße niedergeschlagen. Im August wurde ein Wahlkampfstand der SPD niedergetrampelt. Im selben Monat wurde ein Wahlhelfer der SPD von der Leiter gerissen und mit Stiefeln krankenhausreif getreten. Kurz nach der Wahl wurde ein Abgeordneter der Linkspartei brutal verprügelt.
Das ist nur die Spitze des viel zitierten Eisberges, ein Blick auf Berlin, das trotz alledem und zu Recht als weltoffene und tolerante Stadt gilt. Ähnliche Vorfälle gibt es in allen Regionen der Bundesrepublik, in Ost und West, in Nord und Süd.
Und deshalb hilft dagegen auch kein Aufstand der Anständigen mehr, dem alsbald die Zuständigen abhanden kommen. Wir brauchen einen Marathon der Demokraten und bitte: Machen Sie mit.

3. 

Ich frage seit vielen Jahren die Bundesregierung: Wie viele rechtsextremistische Straftaten und wie viele rechtsextremistische Gewalttaten registriert wurden. Der aktuelle Befund lautet: Im statistischen Schnitt wurden 2006 bundesweit jede Stunde 1 ½ rechtsextremistische Straftaten registriert und Tag für Tag 2 ½ rechtsextremistische Gewalttaten.
Diese offiziellen Zahlen sind vorläufig. Und sie stapeln tief. Entsprechend höher ist auch die Zahl der Opfer von rechtsextremistischer Gewalt, Bedrohung und Einschüchterung. Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus sind hierzulande längst wieder eine Gefahr für Leib und Leben. Das ist der Befund.
Und deshalb ist es so wichtig, dass Sie sich heute hier versammelt haben, um ein klares Zeichen zu setzen. Und das klare Zeichen kann nur heißen:
Wir haben alle unsere Sorgen und Probleme. Wir haben alle unsere Differenzen und Konflikte. Aber in einer Frage stehen wir zusammen: Wir wollen keine Nazis, keine Schläger, keine Verführer, also auch keine rechtsextremistische Zentrale oder Schule.

4. 

Dieser Zusammenhalt in dieser zentralen Frage gehört zum Erfolgsrezept von Delmenhorst. In diesem Punkt war sich der Gewerkschafter mit dem CDU-Stadtrat einig, die Linke mit dem Unternehmer und der Pfarrer mit dem gottlosen Lehrer.
Ich sprach von der Zunahme rechtsextremistischer Straftaten und Gewalttaten. Sie sind fassbar, wenn man sie denn fassen will. Aber sie sind nur ein Teil des Problems. In Sachsen haben wir eine Entwicklung, die auch in Brandenburg und in Mecklenburg-Vorpommern erkennbar ist: Rechtsextremisten, ob NPD oder parteilos, übernehmen und versuchen den ganz normalen Alltag zu bestimmen.
Sie organisieren Volksfeste, sie beherrschen die Freiwillige Feuerwehr, sie ordnen den Disco-Betrieb, sie unterwandern soziale Einrichtungen. Sie füllen Lücken, die der Sozialabbau und schwindsüchtige Stadtkassen reißen. Sie spielen Retter in der Not.
Das ist die wirklich gefährliche Variante, gefährlicher als ein Helden-Gedenken oder ein Aufmarsch. Sie nisten sich ein und suchen vor Ort Helfer, Verbündete, Kader - je jünger, je besser, je nachhaltiger - alles strategisch bedacht und systematisch gemacht.
Und für diese Strategie suchen sie Schulungs-Zentren, in Niedersachsen, in Brandenburg, im Saarland, bundesweit. Und deshalb hat ihr Protest in Kleinow eine Bedeutung, die weit über ihren Ort und weit über die Prignitz hinaus reicht.

5. 

Ich will Ihnen Mut machen und bitte Sie, meine Tipps genau so zu sehen. „Ausdauer“ und „Ideen-Reichtum“ waren zwei Stichworte, die ich eingangs nannte. Und sie brauchen Verbündete, in der Prignitz, im Land Brandenburg und darüber hinaus.
Die Medien werden sie nur auf ihrer Seite haben, wenn sie ihnen ständig etwas Neues und Interessantes anbieten. Ansonsten wird Kleinow ausgeblendet. Wenn sie aber ausgeblendet sind, dann stehen sie mit ihrem Problem allein auf verlorenem Posten.
Und sie müssen nerven und werben, bis man auch höheren Ortes versteht: Es geht nicht nur um Kleinow. Nehmen sie dafür alle mit ins Boot, die Räte, die Abgeordneten, usw., und nicht nur die, von denen sie ohnehin Zustimmung erwarten.
Und wenn es darum geht, dem Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus zu wehren, dann sollte es unter Demokraten ohnehin keine Parteigrenzen geben. Dann muss jede und jeder in die Pflicht genommen werden und sich verpflichtet fühlen.

6. 

Die NPD hat jüngst ihren Bundesparteitag in Berlin-Reinickendorf zelebriert. „In der Reichshauptstadt“, tönte ihr Vorsitzender. Ich habe auf der Protest-Kundgebung erwidert: Mein Bedarf an Reichshauptstadt ist ein für alle Mal gedeckt.
Und ich wiederhole hier: Ich habe auch keinen Bedarf an rechtsextremistischen Schein-Lösungen für Probleme der Gegenwart. Es ist ein Unterschied, ob ich eine demokratische und soziale EU fordere oder eine Nation in den Grenzen von 1937.
Es ist auch ein Unterschied, ob ich einen Mindestlohn für alle und eine soziale Grundsicherung fordere oder Arbeit nur für Deutsche. Es ist ein Unterschied, ob ich Krieg grundsätzlich ablehne oder nur, wenn es um amerikanisches Öl geht.
Und es ist ein fundamentaler Unterschied, ob ich die Würde des Menschen achte oder nur die Würde der Deutschen. Ich könnte die Liste der Unvereinbarkeiten zwischen meinen Auffassungen und rechtsextremistischen Heils-Bringer verlängern.
Heute will ich eines. Ich bin nach Kleinow gekommen, um Ihnen Mut zu machen, als Vize-Präsidentin des Bundestages. Sie haben angefangen, sich gegen eine feindliche Übernahme zu wehren. Ihr Engagement ist wichtig, unglaublich wichtig!
 

 

 

20.1.2007
www.petra-pau.de

 

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