Unabhängige Beobachtungsstelle statt V-Leute

Bundestag, 23. November 2006, Haushaltsdebatte zur Innenpolitik
Rede von Petra Pau

Ich beginne mit dem Rechtsextremismus. Er nimmt zu und zwar nicht nur in seiner organisierten Form, etwa der NPD. Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus gibt es alltäglich inmitten der Gesellschaft, und zwar in Ost und West.

Gemessen daran setzt sich der Bundestag sehr stiefmütterlich mit dieser Entwicklung auseinander. Und geradezu absurd war der Versuch, den Initiativen, die sich gegen Rechtsextremismus und für Demokratie und Toleranz engagieren, auch noch die Mittel zu kürzen.

Das konnte zum Glück verhindert werden. Nun wurden für 2007 sogar fünf Millionen Euro mehr eingeplant, als 2006. Das hat DIE LINKE immer gefordert, aber das wäre ohne das Engagement der SPD nicht möglich gewesen. Deshalb will ich das auch ausdrücklich würdigen.

Aber das ist keine Entwarnung. Noch immer gibt es bewährte und unverzichtbare Initiativen der Zivilgesellschaft, die nicht gesichert sind und um ihre Zukunft bangen. Es ist unsere Zukunft und unsere Demokratie. Und deshalb müssen wir diese Debatte auch fortführen.

Stark angestiegen ist die Zahl rechtsextremistischer Straf- und Gewalttaten. Verglichen mit 2004 gibt es inzwischen 50 Prozent mehr erfasste Fälle. Anders gesagt. Im Bundesschnitt werden stündlich 2 ½ Straf- und jeden Tag 2 ½ Gewalttaten registriert.

Die realen Zahlen sind weit höher und dementsprechend sind auch die Opfer rechtsextremistischer Gewalt zahlreicher. Rechtsextremismus ist auch hier längst wieder eine Gefahr für Leib und Leben. Darüber kann auch eine bunte Fußball-WM nicht hinwegtäuschen.

Deshalb in aller Ernsthaftigkeit Herr Bundesinnenminister Schäuble: Der Rechtsextremismus ist unser gemeinsames Problem, er bedroht unsere Demokratie und Leib und Leben von Menschen in unserem Land.

Dieses Problem schaffen sie nicht durch abstruse Gleichsetzungen oder die Behauptung, der Anstieg der Zahl von Straftaten resultiere aus einer Verabredung verfeindeter Gruppen zu solchen aus der Welt. Und auch deshalb wollen wir eine unabhängige Beobachtungsstelle für Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus nach EU-Vorbild.

Wir hatten dafür sogar konkrete Finanzierungsvorschläge unterbreitet. Aber SPD und CDU haben das abgelehnt. Sie haben stattdessen das Geld den deutschen Geheimdiensten zugeschlagen. DIE LINKE hält das für falsch und obendrein für sehr kurzsichtig.

Das meine ich auch mit Blick auf eine aktuelle Debatte. Die SPD will das Verbotsverfahren gegen die NPD neu auflegen und dafür eigens die rechtlichen Hürden senken. Vor einer solchen „Lex NPD“ kann ich nur warnen. Man vergreift sich nicht ungestraft an rechtlichen Fundamenten.

DIE LINKE wird etwas anderes beantragen. Nämlich, dass die V-Leute der Polizei und des Verfassungsschutzes zurückgezogen werden. Denn das erste NPD-Verbotsverfahren ist nicht am Bundesverfassungsgericht gescheitert, sondern an der V-Leute-Praxis der Innenminister.

Um nachzuweisen, dass die NPD eine verfassungsfeindliche Partei ist, braucht man keine V-Leute. Sie stören mehr, als sie je nützen könnten. Auch deshalb sage ich: Das Geld wäre bei einer zivilen, unabhängigen Beobachtungsstelle allemal besser aufgehoben, als bei Geheimdiensten.

Nun zur Föderalismus-Reform. Die große Koalition feiert sie als Reform des Jahrhunderts. Die partei-politische Blockade zwischen Bundesrat und Bundestag sei aufgelöst. Und die Bürgerinnen und Bürger könnten wieder durchblicken, wer was verantwortet. So weit, so vielleicht gut.

Tatsächlich ist etwas anderes passiert. Das Solidar-Prinzip wurde aufgekündigt. Und das Bundesverfassungsgericht hat das in seinem Urteil zur Berliner Notlage noch bekräftigt. Es besagt: Was interessiert mich fremdes Elend - jeder ist sich selbst der Nächste. Und das ist schlimm.

Und die gefeierte Föderalismus ist ein Rückfall in die Klein-Staaterei: Im Bildungswesen, im Strafvollzug, im Beamtenrecht. Ich prophezeie ihnen: Die nötige und erhoffte politische Transparenz wird nicht fruchten. Aber die Armen in armen Bundesländern werden noch ärmer werden.

Und nicht nur die Armen. Selbst die Beamten und Beamtinnen werden zum Spielball landespolitischer Kassenlagen und parteipolitischer Gelüste. Ich habe mir nicht vorgestellt, dass ich jemals zur Anwältin für Beamte werde. Aber die unsoziale große Koalition zwingt mich dazu.

Dazu gehört übrigens auch, dass Ost-Beamte nach wie vor für weniger Geld länger arbeiten müssen, als West-Beamte. Zur Erinnerung: Wir sind im Jahr 16 nach der deutschen Vereinigung. Und noch immer gibt es keinen politischen Fahrplan für die Ost-West-Angleichung.

Selbst ein zerschossenes Ost-Bein in Afghanistan ist noch immer schlechter versichert, als ein zerschossenes West-Bein. Den Betroffenen dürfte es egal sein, dass die Kanzlerin aus dem Osten kommt und eine Frau ist. Die politische Richtung der großen Koalition ist schlicht falsch!
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

 

 

23.11.2006
www.petra-pau.de

 

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