Unser Bedarf an „Reichshauptstadt“ ist für immer gedeckt

Rede von Petra Pau auf der Kundgebung gegen den NPD-Parteitag in Berlin
11. November 2006

1. 

Die NPD will ihren Bundesparteitag in der „Reichshauptstadt“ Berlin durchführen. So sagte es ihr Sprecher. Und die NPD will damit die Mitte der Gesellschaft vereinnahmen. So verkündet es ihre Web-Seite.
Ich bin hierher gekommen, liebe Berlinerinnen und Berliner, um mit ihnen zwei fundamentale Denkfehler klipp und klar zu stellen.
 
Wir stellen klar:
Der Berliner Bedarf an „Reichshauptstadt“ ist für immer gedeckt. Unser Berlin ist nicht braun, sondern weltoffen, bunt und tolerant.
Und wir stellen klar:
Die NPD ist keine Mitte, sondern rechtsextrem. Unsere Berliner Mitte ist nicht totalitär, sondern libertär, demokratisch und friedliebend.

2. 

Ich sage aber auch: Die neofaschistischen Einschläge kommen näher. Der Vormarsch der NPD ist alarmierend. Erst Sachsen, dann Mecklenburg-Vorpommern und längst auch Berlin. München, Delmenhorst und Stade sind weitere Reizwörter für neofaschistische Umtriebe. Wir müssen sie miteinander ernster nehmen, als bislang genommen. Ein Aufstand der Anständigen, reicht nicht mehr. Wir brauchen einen Marathon der Demokraten, wenn wir den Kampf gewinnen wollen.
 
Und wir brauchen endlich eine partei- und ressortübergreifende Strategie, die sich auf Kompetenz stützt und die Zivilgesellschaft stärkt. Genau das mahne ich vor allem mit Blick auf die Bundespolitik an. Denn so lange sich der Kampf gegen Neofaschismus, Rassismus und Antisemitismus hauptsächlich im Ressort Innenpolitik abspielt, so lange werden wir den Rechtsextremismus nicht erfolgreich zurückdrängen.

3. 

Und bei alledem reden wir ja nicht nur über ein paar unliebsame Versammlungen oder Aufmärsche. Wir sprechen über den Alltag. Jeden Monat befragen wir die Regierung nach rechtsextremistischen Straftaten.
Die aktuellen Zahlen für September 2006 besagen: Im Schnitt werden bundesweit jede Stunde 1 ½ Straftaten und Tag für Tag 2 ½ rechtsextremistische Gewalttaten registriert.
Wir wissen alle: Die realen Zahlen sind viel höher und damit auch die Zahl der Opfer. Rechtsextremismus ist hierzulande längst wieder eine Gefahr für Leib und Leben. Und auch dagegen demonstrieren wir hier.

4. 

Nun bin ich keine Juristin und auch kein Fan davon, alle politischen Probleme juristisch zu lösen. Aber ich finde schon. Auch im Paragrafen-Dschungel und in der Auslegung des Rechts läuft manches schief.
Für mich ist es jedenfalls ein Unding, dass Rechtsextreme ungestraft „Ruhm und Ehre der Waffen-SS“ skandieren dürfen und dass zugleich Antifaschisten für durchgestrichene Hakenkreuze belangt werden.
Es ist für mich auch nach wie vor ein Widerspruch, wenn der Vorsitzende des BDA-VVN mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt wird und sein Bund der Antifaschisten zugleich vom Verfassungsschutz verfolgt wird.

5. 

All das setzt Signale, die ein gefährliches Eigenleben entfalten können, wenn sie von den Richtigen missverstanden werden und von den Falschen verstärkt werden. Der Kampf um die Mitte hat daher viele Facetten.
Dazu gehört auch - und das geht an die eigene Adresse - dass sich Politiker, gleich welcher Partei - sehr sorgsam überlegen müssen, was sie wie sagen. Viele Stichworte für Rechtsextreme kommen aus dieser Mitte.
Und egal, wer Migranten als Fremdarbeiter bezeichnet, es ist falsch. Und egal, wer die Linkspartei mit der NPD gleichsetzt, es ist falsch. Und egal, wer Muslime einem Generalverdacht aussetzt, es ist gefährlich.

6. 

Noch ein letzter Gedanke: Wir hatten im Frühjahr eine Debatte über "no-go-areas". Wir hatten im Herbst eine Debatte über „Unterschichten“. Und es waren vorwiegend formale Debatten über die Begriffe.
Wir können ja gerne über Wörter streiten, aber wir müssen vor allem zum Wesentlichen vordringen: zum gesellschaftlichen Befund, zu seinen Ursachen, zu möglichen Folgen und zu vernünftigen Lösungen.
 
Immer mehr Bürgerinnen und Bürger fühlen sich ohnmächtig und sozial abgehängt. Sie sind Demokratie verdrossen und werden offenbar genau deshalb anfällig für rechtsextremistische Parolen. Denn dieses Alltagsgefühl prägt. Und deshalb ich bleibe dabei: Gegen Demokratie-Verdruss helfen weder „Sabine Christiansen“, noch jubelnde Aktien-Kurse, sondern nur mehr Demokratie, mehr direkte Demokratie.
 
Mein Fazit: Rassismus, Faschismus und Antisemitismus haben mit unserem Berlin nichts gemein. Wir sagen Halt! Das ist wichtig. Und wir müssen zugleich alles unternehmen, um Rassismus, Faschismus und Antisemitismus den Nährboden zu entziehen. Das ist noch wichtiger.
 

 

 

11.11.2006
www.petra-pau.de

 

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