Bedrohliche Staats-Philosophie: 60 Millionen Datensätze

Bundestag, 20. Oktober 2006, „Anti-Terror-Gesetz“
Rede von Petra Pau

Nach den terroristischen Anschlägen in den USA am 11. 09. 2001 wurden auch in der Bundesrepublik Deutschland zahlreiche so genannte Anti-Terror-Gesetze in Kraft gesetzt. Salopp wurden sie in Anlehnung an den damaligen Bundesinnenminister Otto Schily „Otto-Pakete“ genannt.

Heute nähern wir uns „Schäuble I“. Wieder geht es um mehr Befugnisse für Geheimdienste und um weitere Eingriffe in Grund- und Bürgerrechte. Wir haben damals die „Otto-Pakete“ abgelehnt. Die Fraktion DIE LINKE wird auch das vorliegende Ergänzungsgesetz ablehnen.

Im Kern geht es um Zweierlei: Die so genannten Sicherheitsgesetze, die damals befristet wurden, sollen verlängert werden und sie sollen verschärft werden. Also komme ich zur Verlängerung. Auch die FDP und die Grünen melden hierzu ja Zweifel an. Zu Recht, finde ich!

Denn niemand verlängert ein Gesetz oder einen Vertrag, wenn er nicht überzeugt ist, dass diese gut und richtig sind. Deshalb wurde 2001 und 2002 ja auch versprochen: Die „Otto-Pakete“ werden binnen drei, vier Jahren genau darauf untersucht. Evaluiert, wie es fachdeutsch heißt.

Genau diese Evaluierung hat bis heute nicht stattgefunden. Es gab eine regierungs-interne Überprüfung mit dem zu erwartenden Ergebnis. Ein Selbstlob. Aber eine wirkliche Überprüfung der „Otto-Pakete“, ihrer Wirkungen und ihrer Folgen hat es bis heute nicht gegeben.

Mit zwei Ausnahmen. Das Bundesverfassungsgericht hat zwei wesentliche Elemente der Anti-Terrorpakete als verfassungswidrig kassiert: Den großen Lauschangriff und das Luftfahrtsicherheitsgesetz. Das aber war keine Empfehlung, das war eine Ohrfeige für Rot-Grün.

Schon deshalb wird DIE LINKE nichts verlängern, was auch wir für falsch halten, weil es tief in verbriefte Bürgerrechte eingreift und rechtsstaatliche Prinzipien angreift. Immer mehr Bürgerinnen und Bürger werden unter Generalverdacht gestellt und entsprechend behandelt.

Das ist das Wesen der alten und neuen Anti-Terror-Gesetze. Bürgerinnen und Bürger werden nicht als Souverän, sondern als Gefahr betrachtet. Diese Staats-Philosophie kenne ich. Alle hier im Parlament lehnen sie verbal ab. Und zugleich feiert sie Urständ. Ich lehne das grundsätzlich ab.

Damit wäre ich bei den Ergänzungen zum Anti-Terrorgesetz, die von der Bundesregierung bereits beschlossen wurden und nun von den Unions-Parteien und der SPD dem Bundestag vorgeschlagen werden. Zieht man die zahlreichen Einzelvorschläge zusammen, bleiben drei große Linien.

Linie 1: Die Geheimdienste werden enthemmt und aufgerüstet. Linie 2: Der Datenschutz wird zum Abschuss frei gegeben. Linie 3: Der Abbau von Bürgerrechten wird grenzüberschreitend forciert. Das sind tiefe Einschnitte, freundlich verpackt, aber mit Demokratie unvereinbar.

Ein konkretes Beispiel: Zuweilen wird der Eindruck genährt, unsere Sicherheits-Behörden seien gelähmt, weil sie über zu wenige Daten verfügen. Ich wollte es genauer wissen. Und die Bundesregierung hat mir geantwortet, spezifisch und konkret, alles unvollständig, aber immerhin.

Demnach gibt es bei den verschiedenen Sicherheitsbehörden über 160 spezifische Dateien, die der Kriminalität bzw. dem Terrorismus gewidmet sind. In diesen Dateien wiederum gibt es über 60 Millionen Daten-Sätze über Personen und Personen-Gruppen, die verdächtigt werden.

Und nun frage ich sie: 60 Millionen Daten-Sätze in einem 80 Millionen-Land, zumeist geheim gehalten und zugleich legal erhoben? Das ist eine Überwachungs-Qualität, der niemand ernsthaft zustimmen kann, der das Grundgesetz sowie Bürger- und Freiheitsrechte ernst nimmt.

Nun wollen sie zudem noch eine Zentraldatei, die gemeinsam von der Polizei und von den Geheimdiensten gespeist und genutzt wird. DIE LINKE wird dies aus zwei Gründen ablehnen. Denn erstens wird damit das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten unterlaufen.

Und zweitens ist es egal, wie sie diese Zentraldatei ausgestalten, als Volltext-Datei, als Index-Datei oder als Mischform: Die Geheimdienste werden immer die Deutungshoheit über die Polizei erhalten. Und das halte ich schlicht für grundgesetz-widrig.

DIE LINKE jedenfalls wird keine Gesetze verlängern, die Bürgerrechte derart in Frage stellen. Und die LINKE wird keine Gesetze ergänzen, die so den Rechtsstaat in Frage stellen. Wir werden nicht die Arbeit jener übernehmen, vor denen uns diese Gesetze angeblich schützen sollen.

Abschließend: Sicherheit ist ein hohes Gut. Jede und jeder hat Anspruch darauf und natürlich muss der Staat dem entsprechen. Aber sobald sich die Sicherheit des Staates über die Rechte der Bürgerinnen und Bürger erhebt, ist Widerspruch angesagt. Genau deshalb widerspreche ich!
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

 

 

20.10.2006
www.petra-pau.de

 

Übersicht
Bundestag

 

Reden im
Bundestag

 

Lesbares

 

Seitenanfang

 

Startseite