Brauchen wir eine Leitkultur?

Podium „Brauchen wir eine Leitkultur?“ von „Denkräume e.V.“, Kulturzentrum PFL, Oldenburg, 3. Februar 2006
Beitrag von Petra Pau

Der leidige Streit um die Leitkultur hat seit Jahren immer wieder einmal Konjunktur. Ich sage gleich vorweg: Ich bin gegen eine Leitkultur. Und mir konnte auch noch niemand schlüssig sagen, was er mit einer deutschen Leitkultur meint.

Meine Erfahrung sagt:
Entweder erschöpft sich die vermeintliche deutsche Leitkultur auf die Anerkennung des Grundgesetzes. Das wäre richtig, aber banal. Oder sie überhöht das Deutsche. Das wäre falsch und fatal.
Trotzdem kehrt die Diskussion in Wellen immer wieder.

1998 philosophierte bereits Jörg Schönbohm (CDU) über eine deutsche Leitkultur. Er war damals Berlins Innensenator und eröffnete damit eine umfangreiche Kontroverse, (nachlesbar im Feuilleton der Berliner Zeitung und im ausliegenden Reader).

Später erfolgte durch Friedrich Merz ein erster Aufguss des Schönbohm-Satzes. Und derzeit erleben wir den zweiten. Sie werden allerdings nicht schmackhafter.

Es stecken nämlich - ausgesprochen oder verschwiegen - immer zwei Begriffspaare drin: Das Eigene und das Fremde. Bei allen anderen Nebenwirkungen ergibt sich dadurch immer ein Nebenschauplatz, der zum Center-Cord erklärt wird:

Die Gesellschaft, die Society, wird nicht mehr nach sozialen Kriterien analysiert und gebildet, sondern entlang kultureller oder religiöser. Und das auch noch hierarchisiert, wobei das Eigene immer Näher und besser ist, als das Fremde.

(Über die politischen Folgen dieser Debatten oder gar Absichten will ich jetzt gar nicht reden.)

Immer, wenn ich konkret frage, „was meinen Sie denn mit deutscher Leitkultur“, dann wird früher oder später auf Werte der Zivilisation verwiesen, auf demokratische Normen, auf Bürger- und Menschenrechte.

Daher stammt ja offensichtlich auch die Idee, dass Migrantinnen und Migranten einen Eid auf das Grundgesetz schwören sollen. Wenn's hilft, bitte schön! Aber dann wünschte ich mir auch, dass so mancher Urbayer oder Rheinländer selbiges tut.

Ich merke an: Unter Linken ist die ganze Werte-Debatte ohnehin umstritten und ich nehme an, ich bin hier als Linke gefragt. Umstritten ist die Debatte deshalb, weil sie etwas mit Erziehung zu tun hat. Und da wiederum steckt das Wörtchen ziehen oder strecken oder formen drin.

Persönlich habe ich mit Werten weniger Bauchschmerzen. Vielleicht, weil ich studierte Lehrerin bin. Ich habe sogar meinen ganzen Wahlkampf mit Werten bestritten, nämlich mit Solidarität, Frieden und Gerechtigkeit.

Aber genau diese Werte höre ich nicht, wenn nach einer deutschen Leit-Kultur gerufen wird. Das macht mich zusätzlich skeptisch.

Deshalb will ich kurz umreißen, was ich unter Integration verstehe und was nicht. Positiv kann ich mich sogar auf ein staatliches Dokument beziehen, nämlich auf das Integrations-Konzept des Berliner Senats. Es liegt im Entwurf vor und wird derzeit im Parlament behandelt.

Es trägt die Überschrift: „Vielfalt fördern, Zusammenhalt stärken!“
In dem Konzept heißt es u. a.:
„Die Gestaltung von Zuwanderung und Integration ist eines der großen Zukunftsthemen der Stadt. Es besteht ein breiter Konsens, dass die Stadt eine offensive Zuwanderungspolitik braucht, um den Austausch mit der Welt zu aktivieren, um Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft der Stadt, um die Erfahrungen anderer zu bereichern und um Menschen und Standort interkulturell kompetent zu machen. Die innere und äußere Stärke der Stadt wird wesentlich davon abhängen, wieweit es gelingt, Berlin als Einwanderungsstadt weiter zu entwickeln.“

Das ist ein Leitbild welches auch dem von der Linkspartei verfolgten Integrationsbegriff folgt. Ich zitiere aus den Eckpunkten der früheren PDS- Fraktion im Bundestag, welches auch Grundlage des Wahlprogramms des Jahres 2005 der LINKEN war:

„Wer einwandert, muss sich integrieren können.

Gesellschaftliche Integration heißt nicht Assimilation, Angleichung, Einverleibung.

Integration ist ein zweiseitiger Prozess. Er fordert Einwandernde und die aufnehmende Gesellschaft gleichermaßen. Wir brauchen eine aktive Integrationspolitik, keine Assimilation. Auch deshalb lehnen wir die aufgewärmte Diskussion um eine vermeintliche "deutsche Leitkultur" ab. Sie belastet das friedliche Zusammenleben verschiedener Kulturen, sie impliziert, die "deutsche" Kultur sei eine überlegene und obendrein durch Migration bedroht. Gemeinsamer Maßstab für das gesellschaftliche Miteinander ist das Grundgesetz.“

Als 1998 Jörg Schönbohm die Debatte um eine Leitkultur eröffnete sprach Christop Hein, der preisgekrönte Schriftsteller, in Berlin auf einer Kundgebung gegen Ausländerhass und Rassismus. Und er schloss seinen Beitrag treffend:
„Wir sind nicht ausländerfeindlich.“ Nur die zunehmende Armut kotzt uns an, egal in welcher Hautfarbe sie „uns den Krieg erklärt“.

Ich füge hinzu: Die damit zusammenhängende soziale Frage braucht weder integriert, noch assimiliert, also eingedeutscht zu werden. Sie ist all hier und zunehmend erlebbar.

Meine These ist daher:
Wer über Integration redet, muss generell über die soziale Frage reden und nicht separat nach Nationen, Kulturen oder Religionen.

Zumal: Lange bevor wir uns national verbinden oder auch nicht, bevor wir kulturell geprägt werden oder uns religiös zuordnen, schon davor sind wir alle eines: Menschen. Und als solche sind wir nicht nur vor Gott gleich, sondern auch vorm Grundgesetz.

Die Integrationsdebatten drehen sich zunehmend um die Begriffspaare „Muslime kontra Christen“, „Türken kontra Deutsche“. Ich halte auch das für eine gefährliche Verkürzung und illustriere das an zwei Beispielen.

a) Ich komme aus Berlin und dort gibt es tatsächliche eine große Zahl Einwohner mit türkischem oder kurdischen Hintergrund. Es gibt Großstädte, in denen prozentual noch mehr leben. Aber wer nach Kreuzberg, Neukölln oder Schöneberg kommt, sieht, wovon ich spreche.
Die ganze Vielfalt ist aber - salopp gesagt - noch viel bunter: In Berliner wohnen Menschen aus 158 Nationen. Berlin ist multikulturell, nicht nur zum alljährlichen Karneval der Kulturen, sondern auch im normalen Alltag.
Damit sage ich nicht, der multikulturelle Alltag sei problemlos. Ich sage nur: Es gibt ihn, er ist keine Wortschöpfung oder Gut- Menschen-Illusion.

b) Damit komme ich zum 2. Beispiel: Nachdem die Mauer gefallen war und Berlin vereinigt wurde, wurden die sozialen Hierarchien kräftig durcheinander geschüttelt.
Viele Ost-Berliner drängten auf den West-Berliner Arbeitsmarkt. Sie wurden gern genommen, als preiswerter Ersatz für türkische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die dadurch aus der Arbeitsgesellschaft verbannt wurden.
Das schuf neue bzw. zusätzliche soziale Konflikte. Und das dürfte ein Grund (von mehreren) dafür sein, dass wir heute Parallel-Gesellschaften beklagen. Nur: Über diese soziale Ausgrenzung wird fast nie geschrieben oder gesprochen. Und wenn doch, dann als Ausweisungsgrund.

(Kurze Anmerkung:
Auch hier sind die Unterschiede zwischen Deutschen und so genannten Nichtdeutschen gar nicht so groß, wie es den Anschein hat.
Wer arbeitslos wird, wird doppelt entlassen:
Mit deutschem Pass aus dem Solidarstaat,
ohne deutschen Pass auch noch aus dem Rechtsstaat.)

Wie absurd die die Debatte über eine vermeintliche Leitkultur und die Einbürgerungspraxis zuweilen wird, will ich an einem Beispiel zeigen. Nicht zufällig kommt es aus einem CDU- regierten Land, aus Baden-Württemberg.

Jahrelang regierte dort der Teufel, Erwin Teufel. Seit knapp einem Jahr ist Günther Oettinger neuer Ministerpräsident. Er drängte ins Amt. Aber auch die langjährige Kultusministerin hegte Ambitionen. Sie unterlag im parteiinternen Gerangel.

Insider verweisen gern auf zwei Makel, die Frau Schawan im Vergleich zu Oettinger habe. Sie sei keine Einheimische, sondern zugewandert. Außerdem wurde rechtzeitig gestreut, sie sei lesbisch veranlagt.

Diese Geschichte fiel mir wieder ein, als jüngst dieser fragwürdige Fragebogen bekannt wurde, nachdem die Behörden in Baden-Württemberg testen sollen, ob Zuwanderer auch deutsch-fähig seien.

Nach der Intention dieses Fragebogens sollen es muslimische Frauen zum Beispiel prima finden, wenn ihr Sohn schwul ist. Und muslimische Männer sollen sich freuen, wenn sie endlich eine Frau als Chefin bekommen. Das zeigt, wie absurd es in deutschen Leit-Kultur-Kreisen zuweilen zugeht.

Die Grünen im Bundestag haben natürlich sofort gesagt: Das ist rassistisch. Die FDP hat beklagt: Das ist ein Verstoß gegen Grund- und Bürgerrechte. Ich vermute etwas anderes: Das war ein Affront des protestantischen Oettinger gegen den katholischen Papst.

Denn Benedikt XVI. würde nie eine Frau über sich dulden. Und über einen schwulen Sohn darf er sich auch nicht freuen. Der Bayer Benedikt XVI. müsste daher in Baden-Württemberg eine Persona non Grata sein.
 

 

 

3.2.2006
www.petra-pau.de

 

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