Sechs Gründe für eine Plenardebatte

Bundestag, 28. September 2005, ISAF-Afghanistan-Mandat, Geschäftsordnungs-Antrag
Rede von Petra Pau

1. 

Zur Debatte und Entscheidung steht heute (Zitat) die „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der Nato...“
Sie schlagen dazu ein verkürztes Verfahren vor. Das heißt, die so genannte erste Lesung des Gesetzes soll ohne Debatte im Plenum erfolgen. Diesem Vorschlag widerspricht die Linkspartei.PDS im Bundestag. Ich berufe mich dabei auf § 80 Absatz 4 der Geschäftsordnung.
Ich begründe in sechs Punkten, warum diese Debatte und mein Antrag geboten sind.

2. 

Erstens: Nach uns werden die zuständigen Ausschüsse über den vorliegenden Antrag der Bundesregierung beraten. Danach, also heute Nachmittag, werden die Ausschüsse dem Plenum des Bundestages ihre Empfehlungen unterbreiten. Das ist das übliche Verfahren.
Ein sinnvolles Verfahren würde indes vorsehen, dass auch die Ausschüsse in Kenntnis der Meinungen tagen, die sie zuvor erfahren haben und nur hier im Plenum erfahren können. Deshalb beantragen wir diese Debatte und ich halte zwei Stunden für angemessen.

3. 

Zweitens: Der Antrag der Bundesregierung spricht von einer „Fortsetzung“ eines bestehenden Mandates der Bundeswehr. Das ist extrem tiefgestapelt. Denn tatsächlich soll das Mandat verlängert, das Personal aufgestockt und das Einsatzgebiet erweitert werden.
Es geht also um eine neue Qualität. Dem sollte auch der Bundestag mit einer angemessenen Qualität gerecht werden. Kurze Verfahren und Debatten-Verzicht entsprechen dem nicht. Deshalb widerspreche ich dem vorgeschlagenen Verfahren.

4. 

Drittens: Eine offene und gründliche Debatte ist auch deshalb nötig, weil die Bundesregierung bislang jede Bilanz über die bisherigen vier Jahre Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan verweigert. Es gibt nicht einmal offizielle Zahlen über verwundete oder gar getötete Soldaten der KSK, obwohl es sie gibt.
Mit einer Debatte zur ersten Lesung - und das ist mein GO-Antrag - könnte die Bundesregierung diese Bilanz nachreichen. Und damit würden alle Abgeordneten erfahren, worüber sie heute Nachmittag wirklich entscheiden. Das ist mein Punkt.

5. 

Viertens: Liest man im Antrag der Regierung das Großgedruckte, dann geht es vor allem um ein erweitertes Einsatzgebiet im Norden Afghanistans. Liest man aber das kleiner Gedruckte, das charmant Versteckte, dann wird schnell klar: Die Bundeswehr kann und soll künftig in ganz Afghanistan unter Nato-Befehl agieren. Das ist neu.
Auch darüber sollten wir reden, bevor die Ausschüsse tagen. Denn auch das ist ein Beleg dafür, dass es eben nicht einfach um die "Fortsetzung" eines bestehenden Mandates geht. Und deshalb wiederhole ich meinen Antrag: Ich fordere eine erste Lesung mit Debatte und nicht ohne.

6. 

Fünftens: Wir sind - und sie alle wissen es - in einer prekären Situation. Der 15. Deutsche Bundestag hat eigentlich keine Legitimation mehr, weit reichende Beschlüsse zu fassen. Er wurde auf Wusch des Bundeskanzlers aufgelöst. Und der neue, der 16. Deutsche Bundestag, ist so gut wie gewählt, also legitimiert.
Nun gibt es Fristen, wann über den weiteren Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan zu entscheiden ist. Das muss heute geschehen - so oder so. Aber es geschieht - so oder so - durch einen abgewählten Bundestag.
Umso mehr finde ich, sollte das Verfahren so transparent und so nachvollziehbar wie möglich sein. Genau das will die Linkspartei.PDS und deswegen spreche ich zur Geschäftsordnung. Jedes verkürzte Verfahren hätte einen faden Beigeschmack und genau so würde es von den Wählerinnen und Wählern auch wahrgenommen.

7. 

Sechstens: Wer die Bundeswehr ins Ausland schickt, begibt sich in eine permanente Erklärungspflicht - gegenüber den Soldatinnen und Soldaten, noch mehr gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. Die übrigens auch für die Kosten aufkommen und wir entscheiden heute über 318 Mio. €.
Und die selten gefragten Bürgerinnen und Bürger haben Fragen. Nehmen wir eine ganz simple. Der Afghanistan-Einsatz begann, um Bin Laden zu fangen. Viele Bürgerinnen und Bürger fragen inzwischen: Wurde er nun gefangen und man sagt es uns nur nicht? Oder war das nur ein Vorwand? Auch darauf ist der Bundestag nach nunmehr vier Jahren Militär-Einsatz Deutschlands in Afghanistan eine Antwort schuldig, überschuldig.

8. 

Also meine Bitte: Folgen sie unserem Antrag und geben sie in einer 2-stündigen Plenardebatte die nötigen Antworten. Sie würden sich damit selber ernst nehmen, auch den Deutschen Bundestag, die parlamentarische Demokratie und vor allem die Bürgerinnen und Bürger.
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

 

 

28.9.2005
www.petra-pau.de

 

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