Die Berliner CDU probt den Straßenkampf

PDS im Bundestag - heute von Petra Pau
Beitrag in „Disput“, Mai 2005

Eine Boulevard-Zeitung freute sich diebisch. Gregor Gysi will eine Berliner Straße nach Johannes Paul II., dem verstorbenen Papst, benennen. Das war eine dicke Schlagzeile wert. Als Erste sprang die örtliche CDU auf das Angebot. Sie schlug dafür die Karl-Marx-Allee vor. Die Resonanz war eher ablehnend, also legte die CDU nach. Der August-Bebel-Platz in Mitte wäre ebenso geeignet, meinte sie, und vollzog eine symbolische Namensgebung.

Ich habe lange überlegt, ob ich das inszenierte Medienspektakel ignorieren oder aufgreifen sollte. Zumal ich finde, dass Johannes Paul II. keinesfalls so verdienstvoll war, wie ihm zuweilen nachgesagt wird. Aber darüber lässt sich streiten, wie über fast jeden Namen, der Straßenschilder prägt.

Spannender fand ich: Die SPD blieb im Berliner Straßenstreit um Marx und Bebel relativ kleinlaut. Das müsste nicht verwundern, beruft sie sich doch immer weniger auf „ihren“ August Bebel und noch seltener auf Karl Marx, den Ur-Vater einstiger Sozial-Demokraten. Aber zur selben Zeit, da die Berliner CDU in den Straßenkampf zog, hatte just Franz Müntefering seine neue Kapitalismus-Kritik erfunden. Ein Gespenst scheint umzugehen.

Marx und Münte

Seither wurde allerorten spekuliert, was der SPD-Vorsitzende wohl im Schilde führe. Ablenkungsmanöver, Wahlkampfgetöse oder Torschlusspanik? Das waren jedenfalls die überwiegenden Deutungen. Mag sein. Ich sehe das pragmatischer. Noch vor kurzem wollte ein SPD-Generalsekretär das Wort „Sozialismus“ endgültig aus dem Programm seiner Partei streichen. Er sprach den Kapitalismus selig, und sein Kanzler ließ sich als „Genosse der Bosse“ feiern. Doch plötzlich ist sie wieder hof- und medienfähig: die Kritik am Kapitalismus.

Natürlich hat Müntefering den Kapitalismus nicht wirklich kritisiert. Der Papst tat es übrigens auch nie. Sie monierten Auswüchse, und sie appellierten an die Moral, etwa bei Managern der Deutschen Bank. Die hatten erst jüngst Rekordgewinne verbucht und zugleich Massenentlassungen verfügt. Das sei unanständig, meinte darob der SPD-Vorsitzende. Das finde ich auch, aber es ist nur konsequent unanständig. Obendrein ist es logisch, denn die Bank folgt lediglich den inneren Gesetzen des Kapitals, des Marktes.

Beide kennen bekanntlich keine Moral, weder das Kapital noch der Markt. Sie sind sozial taub und ökologisch blind. Umso erhellender fand ich, dass ausgerechnet die Grünen „der Wirtschaft“ beisprangen und, wie Claudia Roth, die großen Unternehmer gegen die kleinliche Kritik in Schutz nahmen. Die ehemals Unbestechlichen, die Rebellierenden, die Robin Hoods der 70er und 80er Jahre, ausgerechnet sie überholten nun selbst die CDU rasant.

Immerhin, die gebeutelte SPD-Seele fühlt sich gestreichelt. Bildchen machen die Runde, Klassiker, mit den Köpfen von Marx, Engels, Lenin und Münte. Die PDS in Nordrhein-Westfalen plakatierte sie großflächig. Auch gut. „Was halten Sie davon?“, wurde ich im Ruhrpott gefragt. Ich nehme die Kapitalisten-Kritik von Franz Müntefering als Schuldschein an, habe ich geantwortet, und ich fordere seine Einlösung. Eine erste Rate könnte in Stichworten heißen: Vermögensteuer, Mindestlohn, Tobinsteuer. Sie hebelten die Gesetze des Kapitals nicht aus, sie machten ihre Jünger auch nicht besser, aber sie schüfen Leitplanken und Spielräume. Leitplanken gegen den enthemmten Kapitalismus, den wir zunehmend erleben, und Spielräume für den Sozialstaat, den wir mehr denn je brauchen. Und schon waren wir im Gespräch über die Steuerpolitik, über „Agenda 2010“ und über Alternativen der PDS. Müntefering sei Dank!

Recht und Armut

Ende April debattierte der Bundestag über Kinderrechte. Die SPD und Bündnis 90/Die Grünen wollen eine überfällige Hängepartie auflösen. Es geht um die UN-Kinderrechtskonvention von 1992. Die Kohl-Regierung hatte sie damals ratifiziert, aber nur unter Vorbehalt. Eine beabsichtigte Folge war: Kindern von nichtdeutschen Eltern, vor allem Flüchtlingskindern und Kindern von Migranten und Migrantinnen wurden wesentliche Rechte vorenthalten, die ihnen eigentlich zustehen. Zuletzt festgeschrieben im so genannten Zuwanderungskompromiss. Das Gesetz sollte modern werden. Es wurde abstoßend. CDU und CSU hatten Hand angelegt. „Ausländische“ Menschen gelten weiter als Sicherheitsrisiko, bestenfalls als Lückenbüßer für wirtschaftliche Engpässe.

Die PDS hat das immer kritisiert und schon lange gefordert, die ungerechte Einschränkung der UN-Kinderrechtskonvention zu tilgen. Rot-Grün versprach das bereits 1998. Nun soll es endlich geschehen. Soweit die gute Nachricht. Die schlechte: Rot-Grün denkt nicht daran, selbst verfügtes Unrecht gegenüber Kindern zurückzunehmen. Zahlreiche Studien belegen es, und es ist im Alltag erlebbar: Die Kinderarmut in Deutschland ist hoch, und sie nimmt zu. Unicef hat sogar belegt, dass die Kinderarmut in Deutschland seit 1990 stärker gestiegen ist als in allen vergleichbaren Industrieländern.

Das ist ein erschreckender Befund. Zumal in derselben Zeit auch der Reichtum in deutschen Landen zunahm. Diese negative Entwicklung wird durch aktuelle Gesetze der rot-grünen Bundesregierung sogar noch befördert. Ich erinnere nur an die so genannte Gesundheitsreform und an die vier „Hartz“-Pakete. Sie treffen Kinder direkt.

Deshalb habe ich für die PDS drei Sofortmaßnahmen vorgeschlagen:

Bei Bezieherinnen bzw. Beziehern von ALG II darf das Kindergeld nicht angerechnet werden. Kindergeld muss alle Kinder erreichen.

Bezieherinnen bzw. Bezieher von ALG II sollten von Kita-Gebühren befreit werden. Auch das wäre sozial, gerecht und obendrein klug im Sinne der Kinder.

Außerdem müssten ALG-II-Empfänger von Zuzahlungen für rezeptfreie Medikamente befreit werden, die ihre 13- bis 17jährigen Kinder brauchen.

Alle drei Vorschläge lösen das sehr komplexe und grundsätzliche Problem der Kinderarmut nicht. Aber sie könnten lindern, und sie sind deshalb wichtig. Außerdem könnte die SPD zeigen, wie ernst ihre aktuelle Kapitalismus-Kritik gemeint ist. Doch bislang lächelten die „Münte“-Genossen leider nur finster.

Das taten die Leute, mit denen ich in NRW sprach, auch. Vier Tage lang war ich erneut dort, um der Landes-PDS im Wahlkampf zu helfen. In zahlreichen Städten liegt die Arbeitslosenquote längst über 15 Prozent. Ost-Verhältnisse. Die „Agenda 2010“ des Kanzlers wirkt. Die „Agenda Sozial“ der PDS kennt fast niemand. Das ist so. In Umfragen führt die CDU. Die SPD scheint abgeschlagen. Die PDS wird offiziell nicht gehandelt. Sie gilt noch immer vielen als Ost-Import oder als KPD-Verlängerung, also als Übel. Auf Schalke spielt man anders.

Rhein und Ruhr

Ich informierte mich bei Arbeitslosen-Initiativen, was „Hartz IV“ anrichtet. Ich habe mit Bürgerinitiativen gesprochen, welche kommunalen Probleme drücken. Und ich war bei der Belegschaft von KONE, einem finnischen Konzern, der seine Produktion von der Ruhr nach China und anderswohin verlagern will. Der Frust ist groß. Da hilft auch die allgemeine Kapitalismus-Kritik à la Müntefering nichts. Die Kumpel wollen Taten sehen.

Die versprechen ausgerechnet die Republikaner: „Jetzt was ändern!“ - gegen die Konzerne und ausländische Sozialschmarotzer, heißt ihr Lockruf. „Arbeit zuerst für Deutsche!“, fordert die NPD. Den türkischen Mitbürgerinnen wünscht sie eine „Gute Heimreise!“ Die so genannten Russlanddeutschen indes heißt sie im Wahlkampf willkommen. Sogar auf russisch.

„Wir wollen mehr Verbundenheit zwischen einheimischen und zugereisten Deutschen Brüder und Schwestern, unterstützt uns, die wir zu Euch stehen. Kommt zu uns und kämpft mit uns zusammen für ein Deutschland, das wieder so wird, wie es unsere Väter einst kannten.“ (Übersetzung: NPD)

Allerorten hängen die Plakatpappen der rechtsextremen Parteien am Mast, Sozialkritik vermischt mit Ausländerhass, Geschichtsklitterung und Deutschtümelei, das alte, neue Giftrezept. Als wir in Gladbeck waren, marschierten Neonazis auf. Sie wollten die deutsche Ehre hoch und uns davon abhalten, sowjetische Zwangsarbeiter und deutsche Wehrmachtsdeserteure zu ehren. Die Polizei griff ein. Ein Vorfall am Rand.

Durch die Medien jagte derweil der NRW-Spitzenkandidat der CDU, Rüttgers. Er setzte erneut die PDS mit der NPD gleich. Wie sein Parteifreund in Thüringen, Ministerpräsident Althaus, und vordem schon Sachsens neuer „König“, Milbradt. Schlimmer ist: Leute, die Wissen schaffen sollen und dafür hofiert werden, flankieren den unsäglichen Unsinn. Eckhardt Jesse ist Professor in Chemnitz. Die „Volksstimme“ handelt ihn als „Extremismusforscher“. Prof. Jesse unterscheidet zwischen „harten Extremisten“, zum Beispiel die NPD, weil sie die Demokratie offen in Frage stellt, und „weichen Extremisten“, wie die PDS, weil die dabei auf Akzeptanz stoße. Herr, werf Hirn herab! Wir schreiben das Schiller- und Einstein-Jahr. Monat für Monat befrage ich die Bundesregierung, wie viele rechtsextremistische Straftaten registriert wurden. Und ich vergleiche die Angaben mit weiteren Statistiken. Heraus kommt: Stündlich werden im Bundesschnitt inzwischen zwei Straf- und täglich fünf Gewalttaten erfasst. Und sie nehmen zu, in Ost und West.

Wort und Tat

Umso gespannter war ich auf die Rede von Bundespräsident Horst Köhler am 8. Mai, zum 60. Jahrestag der Befreiung. Immerhin musste er sich an der Realität und vor allem an einem seiner Vorgänger messen lassen, an Richard von Weizsäcker. Der hatte 1985 historische Worte gefunden und dabei zwei Botschaften gesetzt, die für die BRD-alt damals neu waren. Der 8. Mai 1945 „war ein Tag der Befreiung“, so von Weizsäcker, und wer über das Ende spricht, darf über den 30. Januar 1933, über die Machtübernahme der Faschisten, nicht schweigen. „Köhler hat sein Möglichstes getan“, kommentierte eine Tageszeitung nach seiner Rede. Auch wir, Gesine Lötzsch und ich, waren uns einig: Es war zu wenig. Wie bei einem schlechten Koch-Duell hatte der Bundespräsident alles mit allem verquirlt. Wir waren im falschen Programm.

Draußen wollte indes die NPD aufmarschieren. 3.000 Kameraden, schätzte die Polizei. Aber noch mehr Berlinerinnen und Berliner verhinderten es, durch Präsenz, mit Zivilcourage, engagiert und friedlich. Zehntausende protestierten gegen die NPD-Provokation, und Hunderttausend demonstrieren am Brandenburger Tor für Demokratie und Toleranz. Das war gut und sowieso wichtiger als eine schwache Staatsrede.

Umso wortgewaltiger heizte der NPD-Vorsitzende Voigt seinen Kameraden am Stellplatz ein. Mit Blick auf den Tag der Befreiung sagte er: „Der psychologische Krieg gegen das deutsche Volk wird heute von denen fortgesetzt, die mit den Besatzern gemeinsame Sache machten. In jedem Volk nennt man solche >Herrschaften< Kollaborateure.“ Die Wahrheit werde, so Voigt weiter, noch 60 Jahre nach dem Kriegsende verdreht, weil man Angst davor habe, dass sich das deutsche Volk wieder auf seine Werte und Tugenden besinne. Aber, so drohte der Rädelsführer: „Wir von der NPD und der gesamten neuen deutschen Volksfront werden diesen Herrschaften die >Umerziehungs-Suppe< gründlich versalzen und eines Tages ungenießbar machen ...“

Schließlich habe ich mich doch noch in den Berliner Namensstreit rund um Johannes Paul II. eingemischt. Das brachte mir ein paar empörte Anrufe ein, nicht von der NPD, sondern von gutbetuchten Berlinern. Ich hatte nämlich vorgeschlagen: Wenn schon eine Straße nach dem verblichenen Papst benannt werden soll, dann dringend die „Spanische Allee“. Sie führt durch Steglitz-Zehlendorf, also jenem Berliner Bezirk, der im Vorfeld des 8. Mai 2005 für Furore sorgte. Die Bezirksverordnetenversammlung hatte mit der Mehrheit der CDU- und FDP-Fraktion eine Resolution verabschiedet. Von „Befreiung“ war darin nur verschämt die Rede. Stattdessen wurden angebliche oder tatsächliche Gräuel aufgelistet, die von der Roten Armee auf ihrem Feldzug von „Ostpreußen bis nach Berlin“ angerichtet wurden. Wer über 1945 redet, muss auch über 1933 sprechen, hatte von Weizsäcker gemahnt. Und über 1936, füge ich hinzu. Damals zog die „Legion Condor“ gen Madrid, um im Spanischen Bürgerkrieg die Putschisten um General Franco an die Macht zu bomben. Als die „Legion Condor“, eine Spezialeinheit der Wehrmacht, 1939 wieder heimkehrte, wurde ihr von den Nazis ein jubelnder Empfang bereitet. Die Generalprobe für den 2. Weltkrieg war gelungen. Daran erinnert noch heute eine große Berliner Allee, die „Spanische Allee“.
 

 

 

31.5.2005
www.petra-pau.de

 

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