Für einen neuen Gesellschaftsvertrag

Bundestag, 10. März 2005, „Pakt für Deutschland“
Rede von Petra Pau

1. 

Fünf Millionen und mehr Frauen und Männer sind arbeitslos. Betroffen sind noch viel mehr. Kinder wachsen arm auf. Erwachsene werden entwertet. Ältere werden abgeschrieben. Das ist Alltag in einem der reichsten Länder der Welt - erlebbar, in Ost und West.
Das darf man nicht länger aussitzen, mahnt die CDU-Vorsitzende, Frau Merkel. Soweit stimmt die PDS im Bundestag der CDU/CSU sogar zu. Wir brauchen tief greifende Reformen: In der Wirtschaft, auf dem Arbeitsmarkt, bei den Sozialsystemen, bei Abgaben und Steuern.

2. 

Die meisten Bürgerinnen und Bürger sehen das ebenso. Sie wundern und ärgern sich nur, dass es ihnen nach jeder Reform schlechter geht. Damit komme ich auf die CDU/CSU zurück: Ob man sich bewegt, ist nur die halbe Frage. Wohin man sich bewegt, ist die entscheidende.
Und da sage ich mit Blick auf ihren „Pakt für Deutschland“: Die Richtung ist falsch und wer in eine falsche Richtung rast, der wird zum Geisterfahrer, zu einer Gefahr für die Allgemeinheit.

3. 

Wir brauchen keinen „Pakt für Deutschland“, jedenfalls keinen, wie ihn die CDU/CSU vorschlägt. Alle Elemente, die sie vorschlagen, wurden bereits getestet und alle haben im Praxistest versagt.
Was wir brauchen ist ein neuer Gesellschaftsvertrag. Ein Gesellschaftsvertrag, der unter neuen Bedingungen trägt: sozial, solidarisch und aktiv.
Schauen sie sich die Zahlen und Belege an: Unser Land ist nicht arm, es ist sogar reich. Arm sind wachsende Teile der Bevölkerung. Das ist ein zunehmender Widerspruch.
Unser Land ist nicht schwach, es ist sogar Exportweltmeister. Schwach ist der Binnenmarkt. Das ist der zweite Widerspruch. Unser Land ist nicht krank, es ist agil und dynamisch. Schwach sind die Sozialsysteme. Das ist der dritte Widerspruch.

4. 

Auf all diese tatsächlichen Widersprüche geben sie mit dem „Pakt für Deutschland“ keine Antworten. Im Gegenteil: Sie verschärfen sie.
Wir, die PDS im Bundestag, wollen etwas anderes:
Wir wollen den Sozialstaat und den Solidargedanken auf neue Füße stellen, auf Füße, die dem 21. Jahrhundert gemäß sind.
Das ist der Sinn eines neuen Gesellschaftsvertrages und deshalb werben wir für eine „Agenda sozial“.

5. 

Jede neue Zeit birgt Chancen und Risiken, das ist ein Allgemeinplatz. Konkret wird es, wenn wir nach der Verteilung der Chancen und Risiken fragen. Und da zeigt sich der Unterschied:
Sie wollen die Chancen privatisieren und die Risiken vergesellschaften. Deshalb verteilen sie Steuergeschenke an die Wohlhabenden und Soziallasten an die Armen.
Wir halten es da viel mehr mit der Bibel, als die Christlich Demokratische Union. Wir stehen nämlich zu dem Solidar-Gebot: „Einer trage des anderen Last“.
Auch deshalb sind wir für einen neuen Gesellschaftsvertrag und gegen einen „Pakt für Deutschland“.

6. 

Der Pakt für Deutschland der CDU/CSU ist ein 10-Punkte-Plan. Wir kennen ihn alle. Wir haben ihn schon einmal im Bundestag debattiert und aus guten Gründen abgelehnt.
Neu ist lediglich, dass Sie den „Pakt für Deutschland“ öffentlich wirksam als Werbe-Brief an das Bundeskanzler-Amt schicken. Ich habe zwei Vermutungen, warum sie das tun.
Vermutung Nr. 1:
Weil in NRW gewählt wird und die CDU dringend Werbung braucht.
Vermutung Nr. 2:
Weil Frau Merkel einen hoch dotierten Nebenjob bei der Post hat.

7. 

Nun haben Bundeskanzler Schröder, später auch SPD und Grüne signalisiert: Wir sind gesprächsbereit. Es wird ein „Gipfel“-Treffen geben.
Das ist wiederum gar nicht so widersprüchlich, wie manche meinen. Denn der CDU-„Pakt für Deutschland“ widerspricht der „Agenda 2010“ des Kanzlers nicht. Im Gegenteil: Er ergänzt sie.
Mit der „Agenda“, insbesondere mit „Hartz IV“, wurden jene zur Kasse gebeten, die arbeitslos sind. Und den „Pakt für Deutschland“ werden jene bezahlen, die noch Arbeit haben.
Die Wirkung beider Konzepte ist dieselbe: Die Reichen werden reicher und die Armen immer zahlreicher, der Sozialstaat verarmt und der Binnenmarkt lahmt.

8. 

Deshalb wiederhole ich: Das sind keine Reformen, das sind Teufelskreise. Und die müssen wir aktiv durchbrechen. Dazu brauchen wir ein klares gesellschaftliches Leitbild und verlässliche Vereinbarungen.
Deshalb mein Plädoyer für einen neuen Gesellschaftsvertrag. Er ist nicht mit Links zu machen, jedenfalls nicht nur. Aber er würde sich lohnen.
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

 

 

10.3.2005
www.petra-pau.de

 

Seitenanfang

 

Übersicht

 

Reden&Erklärungen

 

Lesbares

 

Startseite