Warme Prosa und kalte Fakten

Bundestag, 2. Dezember 2004, „Islamismus“
Rede von Petra Pau

1. 

Gegen Ismen
„Politischen Islamismus bekämpfen - verfassungstreue Muslime unterstützen.“ So heißt der CDU/CSU-Antrag. So weit, so gut.
Auch deshalb, weil „Ismen“ immer ideologische Dogmen und damit Gefahren für die Gesellschaft und ihre Mitglieder bergen.

2. 

Falsche Propheten
Das dumme am Antrag der CDU/CSU ist: Er wirbt in warmer Prosa und er zielt auf kalte Fakten. So wird betont: „Der Islam ist eine große Welt-Religion.“ Und dann wird ein spezifischer EU-Islam erfunden.
Was würde wohl der Papst von einem weiß-blauen Bayern-Katholizismus halten? Und wie könnte ein EU-Islam aussehen, mit dem Katholiken Stoiber und dem Evangelen Beckstein als Propheten?

3. 

Aussperrung statt Angebote
Gefährlicher ist die wiederbelebte Forderung nach einer deutschen Leitkultur. Was ist das: die Weißwurst, die Boulette oder der Döner? Die Französische Revolution, der „Tag der Befreiung“ oder Bayern München?
Immer, wenn die Debatte sachlich wird, dann bleiben von der angeblichen Leitkultur nur zwei richtige und wichtige Forderungen übrig: Wer hier lebt, sollte deutsch sprechen und verstehen können und das Grundgesetz achten. Dazu lädt der Antrag der CDU/CSU aber nicht ein. Er macht keine Angebote. Er droht mit Aussperrung.

4. 

Falle Leitkultur
Nun wissen wir wohl: Manche Antragsteller dünken auch mehr in die vermeintliche Leitkultur hinein. Sie geraten in eine böse Falle. Denn wer Menschen mit anderer Kultur gering schätzt, der missachtet ihre Würde, der bricht mit Artikel 1 des Grundgesetzes. Und wer das tut, signalisiert: Die deutsche Kultur sei höherwertiger. Wo das hinführen kann, sollten alle bedenken, vorher Die ganze Leitkultur-Debatte ist falsch, sie ist gefährlich und sie erweist der Integration einen Bärendienst.

5. 

Abbau von Bürgerrechten
Hinzu kommt im Antrag das übliche Spiel: Die CDU/CSU will Bürgerrechte abbauen und den Datenschutz schänden. Sie will noch mehr persönliche Daten sammeln, speichern und austauschen. Auch das steckt drin im Antrag. Das ist Trend, zunehmend auch bei der SPD und den Grünen. Die PDS lehnt das ab.

6. 

Bayern-Eid
Und dann gibt es auch noch richtige Treppenwitze. Wer nach Deutschland kommt, solle einen Eid aufs Grundgesetz leisten. Meint Edmund Stoiber, gestern wieder. Ausgerechnet der Ministerpräsident Bayerns, dessen Landtag im Mai 1949 das Grundgesetz mit Mehrheit abgelehnt hat.
Ich finde: Die historische Schmach ist tilgbar, indem alle Bürgerinnen und Bürger Bayerns einen Eid aufs Grundgesetz leisten. Aber: Bitte keine Extra-Wurst für Nichtdeutsche, gleiches Recht für alle, auch für Deutsche, auch für Bayern.

7. 

Mehr Demokratie
Weil wir schon beim Thema sind: Man hält kein Grundgesetz hoch, indem man es zugleich aushöhlt. Das aber ist seit 1990 Usus, in der Ära Kohl ebenso, wie mit der Regierung Schröder. Wie wir praktisch erfahren haben, wog für Kanzler Kohl in der CDU-Spenden-Affäre ein persönliches Versprechen mehr, als sein Amts-Eid aufs Grundgesetz. Man schafft auch keine bürgernahe Verfassung, indem man die Bürgerinnen und Bürger von Verfassungsentscheidungen ausschließt. Die Forderung nach Volksabstimmungen - zum Beispiel zur EU-Verfassung - bleibt aktuell. In nahezu allen EU-Ländern gehört das zur Kultur. Nur die besonders leitenden Deutschen, nicht nur bei der CDU/CSU, wollen davon nichts wissen.

8. 

Falsche Fragen
Ein Schlussgedanke: Bis in die SPD hinein wurde dieser Tage verkündet, die multikulturelle Gesellschaft sei gescheitert, sie wäre eine gefährliche Illusion. Ich finde das genauso langweilig, wie die Diskussion, ob Deutschland ein Einwanderungsland ist oder nicht. Wir sind beides. Die eigentliche Frage ist, wie wir positiv damit umgehen. Darauf gibt der CDU/CSU-Antrag keine Antworten. Das finde ich schade, aber das war ja wohl Absicht.
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

 

 

2.12.2004
www.petra-pau.de

 

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