Nein zum „Clement“-Haushalt

Bundestag, 27. November 2003, Debatte zum Haushaltsgesetz 2004, Einzelplan 09 Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit
Rede von Petra Pau

(es gilt das gesprochene Wort)

1.

Für die PDS im Bundestag gehört die Arbeitsmarkt-, Sozial- und Wirtschaftspolitik zu den zentralen Fragen der aktuellen Politik.
Es sind zugleich die Themen, die - neben der Friedensfrage - nahezu jeden bewegen und noch mehr betreffen.

Ich war jüngst in Thüringen, in Erfurt. Dort ist jeder Fünfte arbeitslos, nicht wenige sind hoffnungslos. Dasselbe habe ich in Bremerhaven erlebt. Saarländer schreiben mir. Auch aus Bayern erhalte ich Notrufe. Es ist etwas faul, im Staate Deutschland.

Am 1. November gingen in Berlin 100.000 aus Nah und Fern auf die Straße, um für eine soziale und gerechte Politik zu demonstrieren.

Ich stelle das alles voran, damit wir hier nicht nur Haushaltstitel deklinieren, die außerhalb des Bundestages niemand versteht.
Wir reden über 4 Millionen Arbeitslose und mehr. Wir sprechen über Tausende Jugendliche ohne Lehrstelle. Wir diskutieren über Wege aus der Ungerechtigkeit. Jedenfalls ist das der Anspruch der PDS.

2.

Nun weiß ich wohl, dass ich hier gegen eine Mehrheit rede. Die Opposition zur Rechten liegt im Streit mit sich selber. Sie sucht ihren Superstar - Merkel, Stoiber, Koch oder Merz? Mit sozialer Gerechtigkeit hat das nichts zu tun.

Allerdings lauert dahinter die Frage: Wie verdeckt oder offen lässt sich der Sozialstaat entsorgen? Frau Merkel steht für die verdeckte Variante, Herr Koch für die brutale und Herr Stoiber für die egoistische. Der Rest ist Partei-Taktik. Sie hilft keinem ohne Arbeit und niemanden ohne Lehrstelle.

3.

Früher bot die SPD ein Kontrast-Programm. Nun hat sie in Bochum getagt und grünes Licht für eine „Agenda 2010“ gegeben, die unsozial und ungerecht ist. Es war nicht anders zu erwarten.

Spannend war nur das Rahmenprogramm. „Das Wichtige tun“, hieß die Parteitags-Losung. So habe ich immerhin gelernt: Die SPD versteht sich als Partei der Wichtigtuer. Dann wurde gewählt. Wer die Agenda 2010 verbrochen hatte, wurde bestraft, wer dagegen war ebenso. Zum Schluss wurde auch noch gesungen: „Mit uns zieht die neue Zeit!“. Auch das klang kläglich, aber drohend.

4.

Der Kardinal-Fehler der Agenda 2010 bleibt: Sie machen 4 Millionen Arbeitslose dafür verantwortlich, dass es 4 Millionen Arbeitslose gibt. Mit derselben Logik kann man die 850 Millionen Menschen, die weltweit am Hungertuch nagen, dafür verklagen, dass es sie gibt.

Das Wesen ihrer Agenda 2010 besteht darin, die Betroffenen zu ermitteln, anzuklagen und abzustrafen. Arbeitslosen wird die Hilfe gekappt. Kranke werden abkassiert. Alten wird die Rente gekürzt. „Damit machen wir Ressourcen frei für wesentliche Zukunftsaufgaben.“ Das sagte gestern Bundes-Kanzler Schröder dazu. Mir fiel dabei ein Märchen ein. Vom Kaiser, der sich Klasse dünkte, in Wahrheit aber nackt war, was alle sahen, nur er und sein Hofstaat nicht.

5.

Die PDS im Bundestag hat nie behauptet, wir hätten den Stein der Weisen gefunden. Wir haben immer gesagt: Es muss grundlegende Reformen geben. Wir haben das übrigens schon gesagt, als sich die offizielle Alt-BRD noch für den letzten Schluss aller Geschichte hielt.

Schon damals war die Arbeitslosigkeit extrem hoch und die Staatsverschuldung mehr als bedenklich. Auch andere Fragen, etwa die demografische Entwicklung, drängten längst. Und dass die Arbeitswelt im 21. Jahrhundert eine andere sein wird, als im 19. Jahrhundert - mit Verlaub - das wusste schon Karl Marx. Ein Grund mehr, ihn beim ZDF zum „besten Deutschen“ zu wählen.

Die eigentliche Frage ist also nicht, ob etwas verändert werden muss.
Die spannende Frage ist, welchem Ziel Reformen dienen sollen. Ihre Reformen brechen mit guten sozialdemokratischen Werten, wie Solidarität und Gerechtigkeit. Und das Schlimme ist: Sie wissen es.

Es ist doch kein Zufall, wenn die Bundesanstalt für Arbeit Millionen für PR-Arbeit rausschmeißt - Steuer-€ und Beitrags-€, also alles Gelder, die ihm nicht gehören, sondern die ihm treugläubig anvertraut wurden. Ich nenne das Amtsmissbrauch.

Aber die Bundesregierung macht nichts anderes. Sie leimt landauf, landab Großplakate, um die Agenda 2010 schön zu malen. Keine Bürgerin, kein Bürger hat sie bestellt, aber wir alle müssen sie bezahlen - die Plakate und die Agenda 2010.

6.

Gerade zu obszön wird es, wenn die neuen Länder zum gelobten Land gekürt werden. Genau das aber versuchen - von den Grünen über die Unternehmerverbände bis zur CSU - nahezu alle Großpropheten.

Allein der Glaube, mehr Billig-Jobs seien gut gegen die Arbeitslosigkeit, ist absurd. Der Osten ist Billiglohn-Land. Die Forderungen nach längeren Arbeitszeiten werden immer lauter. Im Osten wird länger gearbeitet. Das Tarifrecht soll gelockert werden. Im Osten ist es so locker, wie nirgendwo. All diese Heilslehren werden in den neuen Bundesländern längst praktiziert. Was am Beispiel belegt: Sie machen nicht gesünder, sondern kranker. Deshalb lehnen wir die Agenda 2010 ab.

Hinzu kommt: Arbeitsbeschaffungs- sowie Ausbildungs-Maßnahmen sollen abgebaut und Fördermittel gekürzt werden. Das verschärft die Lage auf dem Arbeitsmarkt und für strukturschwache Regionen.
Fazit: Die PDS im Bundestag stimmt mit Nein!

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

 

 

27.11.2003
www.petra-pau.de

 

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